C.-A. Rebaf

'I'-Gene


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von ihr und sie bot auch schon einmal auf Offerten, die sie nicht für ihren Job, sondern privat interessierte. Inzwischen hatte sie in ihrer Wohnung schon kleine Häufchen mit Datenträgern verteilt. Das Prinzip ihrer Ordnung war dabei ihr Geheimnis. Da fiel ihr ein besonders günstiges Einstiegsangebot auf, das gleich eine ganze Kiste voll mit Datenträgern vom Ende des zwanzigsten Jahrhunderts versprach. Folgender Text beschrieb das angebotene Produkt:

      ‚Ich habe auf meinem alten Speicher zwei Schuhschachteln von „Salamander“ und „Rieker“ mit Disketten und gold-silbrig schimmernden CDs gefunden. Aus der Beschriftung geht hervor, sie stammen aus der Zeit ca. 1970 – 1990. Ich verkaufe die Ware als 'defekt', da ich nicht weiß, wie gut die Datenträger zu lesen sind und ob sie die heute gängige Formate enhalten. ‘

      „Wie konnte das sein? Computer oder PC gab es doch erst in den 1980er Jahren oder?“ Sie wurde jetzt besonders neugierig und konnte sich nicht zurückhalten. Da niemand anderer darauf mithielt, erhielt sie den Zuschlag für kleines Geld.

      Schon fragte sie sich: „Was habe ich da schon wieder gemacht? Was soll ich eigentlich damit? Das gibt ja sicher wieder unzählige neue Häufchen in meiner Wohnung!“, dachte sie vor sich hin und schaltete frustriert den PC aus. Dann hatte sie alles schnell verdrängt. Erst als sie nach einigen Tagen eine patzige Mahnung bei ihren E-Mails sah, bezahlte sie und nahm sich vor, am besten alles sofort zu entsorgen.

      Wieder ein paar Tage später kam das Paket mit einer Post-Drohne. Liebevoll waren die beiden Schuhkartons verpackt, deren alte Etiketten ‚Kinderschuhe mit Fußbettchen‘ anpriesen: Einmal Winterstiefel und einmal Sandalen. Es war ein Zettel beigelegt: ‚Viel Spaß mit ihrem ersteigerten Produkt! ‘

      Andromeda begann sogleich mit der Sortierung. Es gab große Disketten, mit 5 ¼ Zoll, kleine Disketten, im 3 ½ Zoll Format, mit 750 kB oder 1,44 MB, CDs mit 720 MB und einige wenige DVDs, mit 4,7 GB. „Also fünf Stapel insgesamt!“, dachte sie für sich.

      Ihr Notepad hatte nur USB-Schnittstellen und keine Laufwerke mehr. Sie erinnerte sich allerdings, dass im Magazin ihres Instituts noch externe Laufwerke zu finden sein sollten, die diese uralten Formate vielleicht lesen könnten und die sich über USB an ihr Notepad anschließen ließen. Sie wollte in den nächsten Tagen diese Geräte ausleihen und für ihre einsamen Abende mit nach Hause nehmen. Es waren wirklich viele Daten und sie wurde neugierig. „Welche Art von Daten wurden hier konserviert? Wer hat sie erzeugt?“, überlegte sie.

      Tage später schloss sie die Peripheriegeräte an und mit viel Mühe gelang es ihr dann, die alten Formate zu knacken.

      Sie fand Textfiles und zu ihrer Überraschung auch Dokumente aus einer Zeit vor den PCs. Dies waren wohl die ältesten und interessantesten Daten. Sie stammten wohl aus den sechziger Jahren. Es waren Blätter, die mit einer alten Schreibmaschine mit einer Schrift der 1920er Jahren geschrieben waren. Sie wurden wohl später gescannt und sorgfältig als Grafikfiles elektronisch konserviert.

      „Aha, das ist des Rätsels Lösung! Gescannte Dokumente aus den 1960ern, geschrieben auf einer Maschine der 1920er!“ Andromeda dachte jetzt überhaupt nicht mehr daran, die Daten zu entsorgen. Teilweise fand sie auch Kohlepapierkopien-Scans von Briefen, deren Originale in die Welt hinaus gingen und sicher dort verschollen sind.

      Ganz anders war es mit den großen 5 ¼ Zoll-Disketten. Sie konnte den Inhalt nur mit einem speziellen Laufwerk lesen, aber das dann zum Vorschein kommende Datenformat war ihr völlig unbekannt. Auf dem Außenetikett der Diskette stand: 'Start mit dem Befehl: 'brun.teditor''. War das ein Format weit vor der Microsoft-Windows-Ära? Andromeda recherchierte im Netz und fand, dass hier Files vorlagen, die mit einem Apple IIe erzeugt wurden. Nur mit großem Aufwand konnte sie diese entziffern. Aber immerhin waren die Datenträger alle noch lesbar!

      Nach der Aneinanderreihung der Files hatte Andromeda das unbestimmte Gefühl, eine Beschreibung einer seltsamen Freundschaft auf ihrem Bildschirm zu sehen.

      Beim flüchtigen Drüberschauen fielen Andromeda immer wieder Namen auf: „Felix, Al, Walt und Geraldine. Es scheint, dass die Personen oft ineinander übergehen. Welche Personen stehen hinter diesen Namen? Wer waren Sie? Was war ihr Geheimnis?“

      Mit zunehmender Beschäftigung damit fühlte sie, einen Teil der Geschichte zu werden. Ja, sie wurde geradezu in das Beziehungsgeflecht hineingezogen. „Ich will das gar nicht! Welche geheimnisvolle Macht schubst mich immer wieder hinein?“, fragte sie sich. Ab einem bestimmten Zeitpunkt sprang die Geschichte in ihre Gegenwart und wurde ein Teil von ihr.

      Andromeda las den ersten entzifferten File auf ihrem Notepad und fand sich in einer unbekannten Vergangenheit mit diesem alten Dokument wieder:

       Geraldine

       Wir befinden uns in einer frühen Phase und es wird Zeit, eine Frau vorzustellen, die ich Geraldine nenne. Sie war klein. Diese einfache Tatsache – eigentlich völlig harmlos – wurde ihr oft zum Spott. Sogar ihr Freund litt anfangs mit ihr unter ihrem ‚Kleinsein‘, doch dann wurde ihm die Erotik des Kleinseins klar, so dass er von nun an nur mit einer kleinen Frau zusammenleben wollte. Überhöhte sie in ihrer Kleinheit sein eigenes Selbst und brauchte er dies? Ihr Haar trug sie sehr oft anders. Wer ahnte damals, dass sie hiermit ihr Problem mit ihrer Weiblichkeit offen legte. Langes Haar gab ihr ein melancholisches, verspieltes Aussehen, besonders, da ihr Haar dann in langen Locken lag. In Verbindung mit ihren rehbraunen Augen hatten diese rotblonden Locken etwas Engelhaftes. Ihr Haar, wie ein Theatervorhang, lichtete sich ab und zu, um romantisch vertiefte Blicke ihrer Augen freizugeben. War das ihre weibliche Seite? Sonja Kirchberger spielte diese Rolle in dem Film 'Die Venusfalle' , von R. Ackern, sehr viel später. Aber es gab auch die männliche Frau in Geraldine, mit extrem kurzem Haar, was ihrem Typ einen sehr kessen Anstrich gab, aber auch einen harten. Auch dieser Typus Frau wird bei Ackeren in besagtem Film als Kontrast gezeigt, dargestellt von einer dann schnell in der Versenkung verschwindende Schauspielerin, mit Namen Myriam Roussel. In dieser Metamorphose erschien sie ihm immer etwas älter. Das Rotblond ihrer Haare wurde dann auch brünett, zuweilen im Winter auch braun. War dies ein Hinweis, dass sie doch lieber mit Frauen den männlichen Part leben sollte? Konnte sie sich das eingestehen?

       Auch ihre Ohren waren klein und meist von Haar bedeckt. Ihren Augen konnte kein Mann widerstehen. Weder Felix noch Walt. Selbst ich war oft in Gefahr von ihnen verführt zu werden. Manchmal waren ihre Augen 'comme la biche', wie es ein Chorlied von Debussy am besten beschreibt. Die deutsche Übersetzung: 'wie eine Hirschkuh' klingt blöd! Nur das Französische gibt die geheimnisvolle Stimmung im Wald wieder, voll Angst und Umsicht, die Bäume widerspiegelnd. Wenn sie ganz glücklich war, schlossen sich ihre Augen, um alles für sich zu behalten. Ihre Augen hätten sie sonst zu sehr verraten.

       Ihre Nase war eigenartig: Ihr Nasenrücken war kantig und bildete in der Mitte eine kleine fast waagrechte Plattform, verengte sich, um dann am Ende wieder auseinander zu gehen. Ihr Mund war von der Seite wie ein rotes Löwenmäulchen mit elfenbeinernen Staubblättern. Sie liebte sie sehr, seine innigen Küsse auf ihren Hals und ihren hervorstehenden Schlüsselbeinen. Ihr Rücken war stets dankbar für alle Arten von streichelnden Liebkosungen.

       Ihre Haut war ein süßes Geheimnis. Wenn er sie berührte, verfiel er in einen romantischen Traum: In einem lichten Waldhain, in den die Sonnenstrahlen mild durch die Blätter rieseln und so alles in zartes Grün hüllen, lockten ihn tausend kleine nackte Nixen mit holden Stimmen zu einem ganz bestimmten Ort, auf den sie mit ihren zierlichen Händen deuten. Ihre kleinen, weißen Brüste erschienen unter dem Blattwerkfilter wie von einem verführerischen grünen Schleier umwoben. Mit zarten Stimmen riefen sie: "Komm, süßer Knabe, komm, folge uns. Wir führen dich zum Glück!" Parsifal... Ein prickelndes Gefühl von Abenteuer, Begierde, Leidenschaft und Lust überfiel ihn dann und ließ ihn folgen. Der Wald wurde dichter, es ging bergan. Plötzlich eröffnete eine mächtige Buche, die durch ein Unwetter besiegt, zerbrochen am Boden lag, ein gleißendes Lichtloch, durch das das grelle Tageslicht in den dämmrigen Waldschatten fiel. Er blickte hindurch und entdeckte eine zauberhafte Landschaft mit tropischen, üppig wuchernden Pflanzen und Blüten. Daraus erhoben sich zwei kleine, kreideweiße Hügel, die grell in der Sonne standen und von Nymphen umtanzt wurden. Auf ihrem Gipfel blühen fleischfarbene