Emma Gold

Die Untreue der Frauen (Band 3)


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      Nachdem ich mich im Empfang angemeldet und eingetragen hatte, wurde ich kurz darauf von einer jungen Pflegerin abgeholt, die mich zum Gebäude 51A bringen sollte. Natürlich hätte ich den Weg auch allein gefunden, aber die Vorschriften besagten, das sich nur das angestellte Personal frei bewegen durfte. Und ich gehörte nicht mehr zu diesem Kreis. Also wurde ich abgeholt und von einer Pflegerin begleitet.

      Erneut bewunderte ich die Parkanlagen, die so harmonisch gestaltet waren, die großblättrigen Eichen und die Pappeln. Wir kamen an einem hochgewachsenen, dunkeläugigen jungen Mann mit einem intelligenten Asketengesicht vorüber. Er stand unter einem Ahornbaum und berührte vorsichtig mit seinen langen, zarten Fingern die Rinde, beugte sich vor, und sah sie aufmerksam aus nächster Nähe an.

      Dann drehte er sich um, und starrte mich aus schreckgeweiteten, furchtsamen Augen an.

      „Guten Morgen, Herr Burgstaller“, sagte meine Begleiterin.

      „Sind Sie eine neue Patientin?“ fragte er unvermittelt und sah mir direkt in die Augen.

      „Nein.“

      „Aha. Lesen Sie Georg Büchner?“

      „Ich habe im Gymnasium Dantons Tod gelesen“, antwortete ich freundlich.

      „Welcher Ansicht konnten Sie eher folgen? Der von Danton oder der von Robespierre?“

      „Ich fand die politischen Vorstellungen der Dantonisten liberaler und toleranten.“

      „Hm. Da könnten Sie recht haben. Darf ich Ihre Titten sehen?“, fragte er plötzlich. Seine Stimme hatte sich verändert und seine Augen stierten auf meine Oberweite.

      Ich blieb bei dieser Frage und seinem Stimmungswechsel völlig gelassen. Meine lange Ausbildung in diesem Krankenhaus hatte mich das gelehrt.

      „Nein“, antwortete ich ruhig und lächelte den Mann freundlich an.

      „Blöde Fotze! Dann verschwinde von meinem Baum! Außerdem werde ich nicht mehr mit Ihnen über die Werke von Georg Büchner sprechen, es sei denn, Sie zeigen mir Ihre Titten.“

      „Das wird nicht geschehen.“

      „Dann verschwinde endlich, du Dreckstück!“

      Ich wurde sanft am Arm berührt. Es war die junge Pflegerin, die mich begleitete.

      „Kommen Sie, Doktor Gold. Wir sollten weitergehen. Außerdem wird es gleich zu regnen beginnen.“

      Ich blickte nach oben. Sie hatte recht. Es waren zwischenzeitlich dunkle Wolken aufgezogen und kündigten den baldigen Beginn eines Sommergewitters an.

      Wir verließen den Mann. Es waren keine fünf Minuten auf diesem Gelände vergangen, und ich wurde daran erinnert, wo ich mich befand.

      Kurz darauf betraten wir das Gebäude 51A. Ein breiter Gang, der mittig durch die Etage führte, teilte die Station in zwei Hälften. Die Krankenzimmer gingen links und rechts von diesem Gang ab, und waren spärlich möbliert. Die meist vorhanglosen Fenster waren vergittert.

      An der Stirnseite des Stationskorridors waren zwei schwere Metalltüren, hinter denen Isolierzellen lagen. In Augenhöhe war ein kleines Fenster angebracht, durch das man die Kranken beobachten konnte. Neben dem Eingang zur Station befand sich als erstes ein kleiner Raum für die Krankenschwestern, der durch eine Glaswand vom Gang abgetrennt war. Das Südende des Korridors ging in eine vergitterte, gemauerte Veranda über, wie sie in jeder Etage vorgebaut war.

      In der Mitte der Stationen befand sich ein großzügiger Aufenthaltsraum, indem sich die Patienten mit Lesen, Karten spielen oder Gesprächen beschäftigen konnten. Zwölf Frauen bevölkerten gerade diese trostlose Szenerie. Sie hockten auf Stühlen oder dem Fußboden herum. Manche wanderten ziellos umher. Die meisten von ihnen waren noch jung.

      Als ich aus dem Fenster blickte, erkannte ich, dass es mittlerweile zu regnen begonnen hatte. Es war ein typisches Sommergewitter, sehr heftig, aber schnell wieder vorüber.

      Elvira Bergström war in Zimmer 109 auf der rechten Flurseite untergebrachte. Meine Begleiterin verabschiedete sich von mir. Ich trat vor die Tür und klopfte. Nach einer Weile pochte ich stärker. Als ich noch immer keine Antwort bekam, öffnete ich einfach die Tür und betrat das Krankenzimmer.

      Ich sah Elvira Bergström nicht sogleich, denn sie stand vor dem Fenster. Automatisch wanderte mein Blick durch das Zimmer, so wie dies immer geschieht, wenn man einen noch fremden Raum betritt. Ich bemerkte einige aufgeschlagene Bücher und beschriebene Blätter. Der Raum hatte einen sehr femininen Geruch, so wie ich es bei meiner Patientin in Erinnerung hatte. Elvira Bergström benutzte ein Parfüm mit einem frischen, kühlen, blumigen und ein wenig bitteren Duft.

      All diese Eindrücke empfing ich während eines einzigen Augenblicks. Es gehörte zu meiner beruflichen Routine, alles mit einem kurzen Blick einzusaugen.

      Als ich näher zu Elvira Bergström trat, sah ich, wie meine Patientin am Fenster stand und mit dem Finger den Weg eines Wassertropfens an der nassen Scheibe nachzeichnete. Sie schien fasziniert den heftigen Regen zu betrachten.

      Obwohl sie mir den Rücken zukehrte, bescherte mir die Haltung ihres Körpers, das seidige blauschwarze lange Haar, ein seltsames Wiedererkennen. Als ich Elvira Bergström zuletzt gesehen hatte, war das Haar ungewaschen und leicht verfilzt gewesen. Jetzt hatte es wieder diesen überirdischen Glanz, den ich von unseren ersten Terminen her kannte.

      „Ich habe Sie nicht zu mir gebeten, Doktor“, sagte sie, ohne sich umzudrehen.

      „Ich habe Ihnen versprochen, mich auch weiterhin um Sie zu kümmern, Frau Bergström“, antwortete ich.

      Langsam wandte sie mir den Kopf zu. Da war es wieder, dieses zarte Gesicht, die spöttisch blickenden grünen Augen, die wilde Zärtlichkeit des Mundes und die anmutigen Hände.

      „Habe ich Ihnen gefehlt, Doktor Gold?“

      „Wie geht es Ihnen, Frau Bergström?“, stellte ich die Gegenfrage. Ich wollte nicht auf ihre Frage eingehen, sondern den Ablauf des Gespräches in den eigenen Händen halten.

      „Sehe ich krank aus?“

      „Nein. Ganz im Gegenteil. Sie sehen wieder so attraktiv aus, wie ich sie von unseren ersten Terminen in Erinnerung habe“, sagte ich ehrlich.

      „Also habe ich Ihnen gefehlt?“

      „Es geht nicht um mich, Frau Bergström, sondern alleine um Ihre Gefühle.“

      „Sie haben mir gefehlt, Frau Doktor. Ich mag Sie wirklich“, antwortete meine Patientin und lächelte mich zärtlich an.

      „Konnten Sie sich bereits hier einleben?“

      Sie lächelte und lehnte sich gegen den Fensterrahmen. Mit der rechten Hand zerteilte sie eine Strähne ihres langen Haares. Sie sah mich unter gesenkten Lider hervor an und fragte: „Werden Sie künftig meine behandelnde Ärztin sein?“

      „Nein. Ich arbeite in meiner Praxis in Schwabing. Aber ich werde Sie regelmäßig besuchen kommen, und mit den behandelnden Ärzten sprechen.“

      Elvira Bergström setzte sich auf das Bett, faltete die Hände ineinander, ließ sie auf ihren Schoß sinken, sah geneigten Kopfes nieder auf ihre bloßen Füße.

      „Ich hätte Sie gerne auf eine Tasse Tee eingeladen“, sagte Elvira. „Aber ich habe hier keine Küche.“

      „Das macht nichts, Frau Bergström. Es freut mich aber, dass Sie mich zu einer Tasse Tee einladen wollte. Vielen Dank.“

      Sie wirkte plötzlich nachdenklich und in sich gekehrt, wandte den Blick zum Fenster, saß da und starrte die regennasse Scheibe an.

      „Darf ich spazieren gehen?“

      „Es regnet“, antwortete ich.

      „Es hört doch bereits wieder auf. Sollte es wieder stärker regnen, dann gehen wir sofort zurück ins Haus. Das verspreche ich.“

      Ich sah sie nachdenklich an. Ich wusste