Dieter Gronau

"Und jetzt, kommen Sie!"


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gerechtes Urteil zu sorgen, diesen Gedanken,“ schmiedete ich halblaut vor mich hin.

      „Mensch, nicht so laut! Für das, was du vorhast und planst, bist du viel zu laut und auffällig. Das musst du viel geschickter abwickeln. Das läufst du noch Gefahr, von dem hageren und gebückten Mann ein paar Sitzreihen hinter dir im Bus entdeckt und enttarnt zu werden. Du würdest ein großes Risiko eingehen und Gefahr laufen und eventuell von dem Kerl noch eins auf die Rübe bekommen. Vielleicht auch nicht schlecht, es soll manchmal nichts schaden, so zur rechten Zeit. Bestimmt bist du danach ein ganz brauchbarer und friedlicher, Mitbürger und denkst nicht mehr so eigenartig über deine Mitmenschen an deiner Seite.“ ermahnte mich das Ich.

      „Eigentlich könnte ich ruhig mal einen halben oder ganzen Tag blau machen aus irgendwelchem triftigem Grund. Was viele meiner Kollegen machten, durfte ich bestimmt auch mal. Die rufen morgens beim Chef an und sagen, sie können heute leider nicht aus den und den Gründen kommen und entschuldigen sich höflich. Was soll der arme Chef da schon machen, schlucken und zusehen, wie er mit einem tüchtigen Mitarbeiter weniger über die Stunden des Tages kommt., dafür war er Chef, trug viel Verantwortung und wurde für alles mehr oder weniger gut entlöhnt. Ich, als Arbeitnehmer, hatte da eben meine kleinen Freiheiten nach Lust und Laune.,“ stellte ich zufrieden fest.

      Zwei Haltestellen rauschte unser Bus jetzt durch, ohne anzuhalten, denn es wollte keiner aussteigen, noch zu uns einsteigen.

      Dann aber, an der vorletzten Bushaltestelle vor der Endhaltestelle und der U-Bahnhaltestelle, bremste unser Bus scharf und schwenkte in die Haltebucht vor der überdachten Haltestelle. Beide Türen flogen krachend auf, ein kleiner obeiniger, schwarzhaariger Mann in einer viel zu großen Hose steigt ein. Er grüßte unsere Busfahrerin überschwenglich und dankte ihr vermutlich, das sie ihn noch eine Station mitnahm und er nicht noch weiter laufen musste. An einem Gürtel hatte er sich eine lederne braune Aktentasche über die Schulter gehängt. Geschwind zwängte er sich durch den Mittelgang im Bus und setzte sich auf einen der vielen freier Sitzplätze. Er streift den Gürtel mit der Tasche von seiner Schulter, versucht die Tasche auf den freien Sitzplatz neben sich zu stellen, die Tasche kippt sofort um, fällt ein paar Mal beinahe auf den Fußboden wird dann der Länge nach von ihm wieder auf den Sitz gelegt. Schließlich lehnt er sich an seine wichtige Aktentasche und streift den Gürtel über sein Knie. Das geht solange hin und her, bis wir endlich an der Busendhaltestelle ankommen.

      Kurz nach der vorletzten Haltestelle, steht der Bartstreichler von seinem Sitzplatz auf, klemmt sich seinen schwarzen Lederkoffer unter den rechten Arm und hangelt sich mit der linken freien Hand in Richtung vom mittleren Busausgang. Er muss wohl immer der Erste sein, beim Aussteigen. Der Erste, hier im Bus, oder auch an seiner Arbeitsstelle bei seiner Tätigkeit? Das wüsste ich zu gerne! Es soll ja meist genau das Gegenteil von Privat und Beruf sein. Das würde jetzt bei ihm bedeuten, im Beruf rangiert er unter den letzten. Deswegen auch der schöne elegante schwarze Aktenkoffer, wie bei einem Supermanager. Er musste in seinem Leben wenigstens einmal, morgens und auf dem Weg zur und von seiner Arbeit, für alle seine Bekannten und Nachbarn, einmal der Erste und mit dem entsprechenden Statussymbol ausgerüstet zu sein. Welch ein für keinem nachvollziehbares Glücksgefühl! Er war wer! Er war der unter den Besten an seinem Arbeitsplatz, einfach himmlisch! Und sei dieses Gefühl auch nur während der Fahrt zu Arbeitsplatz. Aber auf dem Weg dorthin und wieder zurück, gab es viele Menschen, die ihn aufgrund seiner edlen Aktentasche in schwarzem glänzenden Leder, das sah man sofort, das sie einige hundert Deutsche Mark gekostet hatte, grenzenlos beneideten.

      Unsere Busfahrerin trat ungewöhnlich stark auf die Bremse, als sie in die Haltebucht an der Endhaltestelle einfuhr. Alle Köpfe der Fahrgäste schwangen nach vorn und wieder zurück, die beiden Bustüren flogen mit einem Ruck auf und mit einem Riesenschritt sprang der Bartstreichler aus dem Bus auf den Gehweg und verschwand mit komischen kurzen Schritten um die Ecke in die U-Bahnstation. Ein ungewöhnliches Tempo legte er vor. Richtig, er durfte heute der erste aus unserem Bus sein, der auf dem U-Bahnsteig ankam. Das war für ihn das zweite Erfolgserlebnis des Tages, der Erste aus dem Bus, der Erste auf dem Bahnsteig vor allen anderen Busfahrgästen. Er brauchte dafür heute gar nicht zu kämpfen, denn meist gab es weitere Fahrgäste mit ähnlichen Aktionen. Heute war er weit und breit wirklich der Erste und der Einzigste. Was für eine Leistung! Ob er es heute seiner Frau erzählte?

      „Das hast du aber nur erträumt, schau da, fast hätte die ständig lesende Frau aus dem gleichen Bus ihn doch beinahe noch eingeholt. Es lag wohl heute daran, das sie heute Sandalen und wollene Socken an den Füßen anhatte, so waren ihre Fußmuskeln ständig besser durchgewärmt für so einen kurzen Sprint bis auf den U-Bahnsteig., als die des Bartstreichlers. Vielleicht hatte die Frau, die Buchleserin, auch tatsächlich längere Beine unter ihrem faltigen Rock, somit hätte sie ihn beinahe eingeholt und auch noch überholt.,“ so machte mich mein Ich auf einige wichtige Punkte aufmerksam. Das wäre eine fürchterliche Niederlage für den Bartstreichler geworden. Der ganze Tag würde ihn jetzt bestimmt schieflaufen, nach so einer peinlichen Niederlage, noch dazu gegen eine Frau. Er hätte sich bestimmt beide Beine sprichwörtlich ausgerissen, die Schrittzahl

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      erhöht, die Beinlänge verlängert und geatmet wie bei einem Langstreckenlauf, zehn Atemzüge eingeatmet und zwölf wieder aus. Das müsste doch alles für ihn ein leichtes sein! Für ihn den Mann. Er käme dann fast erschlagen und am Rande seiner körperlichen Kräfte an seinem Arbeitsplatz an, aber er hätte heute einen wichtigen Sieg errungen, einen Sieg gegen eine Frau, eine langberockte! Keiner seiner Arbeitskollegen wüsste, was heute mit ihm los wäre. Keiner würde ihn danach fragen, aber alle würden im Stillen spekulieren und so ihre eigenen Vermutungen haben. Außerdem könnte er doch keinem von seiner peinlichen Niederlage erzählen, welche Blamage, alle würden ihn für einen Schwächling oder ein Weichei halten. Er wurde im Sprint von einer Frau, einer vollkommen fremden Frau geschlagen, die er nicht einmal mit Namen nennen könnte, oh nein!

      Außerdem hätte er sich bei der Erhöhung womöglich überschlagen, wäre gestolpert und gefallen und lang auf dem Bahnsteig hingeschlagen, auf seinen schwarz glänzenden Aktenkoffer gestürzt, ihn verschrammt und verbeult, in trauter Zweisamkeit mit seiner zerbrochenen und verbeulten Brille, alles hätte liebevoll mit ihm gemeinsam auf dem Bahnsteig gelegen. Vermutlich hätte er seine Weiterfahrt ins Büro abrupt abgebrochen und wäre verschämt, verletzt und gekränkt mit einer Taxe nach Hause gefahren und hätte sich einige Tage bei seinem Arbeitgeber Krank gemeldet, mit oder ohne triftigem Grund, der Wahrheit, es wäre ihm jetzt alles egal gewesen. Nur um seine peinliche Niederlage und sich selber ausgiebig zu bemitleiden.

      Vor dem Bus an der Haltestelle im Dämmerlicht der Straßenlaternen, standen zwei dunkel gekleidete muskulöse Männer in einer Betriebsuniform der U-Bahnwache von Hamburg. Sie traten schnell an den kleinen Buckligen Mann mit dem Rucksack heran, nahmen ihn in die Mitte, stoppten ihn bei seinem Versuch, schnellen Schrittes und teilnahmslos hinter dem Bus in der Dunkelheit des Morgens zu verschwinden. Der etwas größere der beiden Männer sprach ihn an und hielt ihn an seinem Arm fest. Sie gingen mit ihm in den an drei Seiten mit Glas verkleideten Bushaltstellenunterstand., zwängten ihn in eine Ecke und redeten auf ihn ein.

      „Siehste, es ist heute nichts mit deiner Idee, dir einen arbeitsfreien Tag zu genehmigen, um diesem kleinen gebeugten Mann mit dem Rucksack zu folgen, um rauszufinden, wo er heute Morgen noch hinwollte und was er so vielleicht noch so trieb. Die U-Bahnwache war schneller. Die Busfahrerin hatte vermutlich alles über Funk an ihre Zentrale weitergeleitet und die hatten sich für diese Kontrolle, wozu sie auch berechtigt waren, entschieden,“ jubelte mein Ich. Der größere hielt noch immer den etwas gebeugten Mann aus unserem Bus in Schach, der ständig noch immer versuchte, den beiden irgendwie zu entwischen, während der andere ihm den Rucksack von der Schulter nahm, ihn vorsichtig öffnete und in ich hineinsah, so gut es bei dem schwachen Lampenlicht am Morgen möglich war. Er holte einige Gegenstände hervor, die aussahen wie ein Autoradio und, so konnte ich weiter erkennen, einen Gegenstand, der aussah, wie eine Pistole. Danach telefonierte er kurz über sein Handy und nicht einmal drei Minuten später hielt ein Streifenwagen der Polizei in der Bushaltestelle. Der Mann wurde von einem Polizeibeamten ergriffen und in den hinteren Teil des Streifenwagens verfrachtet. Er wehrte sich zwar heftig,