Anne Pallas

Lust auf Sex, Blut und Rache


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Persönlichkeiten der Stadt kennen.“

      Der Oberbürgermeister scheuchte ein paar andere Partygäste beiseite und führte mich quer durch den Raum zu einer etwas geschützt liegenden Nische.

      „Mister Croyd, Mister Bender, Mister Sorens, Mister Cramer.“ Er grinste listig und beschrieb mit blumigen Worten die außerordentlichen Eigenschaften der Männer. Ich hörte nur teilweise zu, meine Aufmerksamkeit galt Alexander Lebedev. Der russische Wissenschaftler stand nur wenige Meter entfernt und unterhielt sich angeregt mit Kollegen.

      Das Brennen meines Blutes wurde plötzlich noch schlimmer. Ich spürte einen fast unüberwindlichen Widerwillen in mir aufsteigen. Die Musik in meinen Ohren schien plötzlich schriller zu klingen. Die Bewegungen der Männer wirkten plötzlich irgendwie hölzern und gezwungen, und in ihren Worten schien ein drohender Unterton mitzuschwingen.

      Böse.

      Der Gedanke stand klar und mit unbezwingbarer Kraft in meinem Bewusstsein.

      In diesem Raum war etwas Böses anwesend!

      Oder war das Böse in meinem Blut und brachte es zum Kochen?

      Ich merkte kaum, wie Donald Wilson mich ansprach. Erst, als er mich sanft am Arm berührte und ich dem besorgten Blick seiner Augen begegnete, löste sich der Bann, der von mir Besitz ergriffen hatte.

      „Was ist mit Ihnen, meine Liebe?“, fragte der Oberbürgermeister. „Fühlen Sie sich nicht wohl? Sie sehen etwas blass aus.“

      Ich schüttelte hastig den Kopf. „Es ist ... nichts, Mister Wilson. Wirklich.“

      Aber Wilson ließ sich nicht beirren.

      „Sie fühlen sich nicht wohl, nicht wahr?“, fragte er verständnisvoll und lockerte demonstrativ seinen Krawattenknoten. „Es ist verdammt heiß hier.“

      „Wirklich, Mister Wilson, es ist ... nichts“, wehrte ich ab. „Wenn mir vielleicht jemand den Weg zu den Damentoiletten zeigen könnte. Ich werde mich ein wenig frisch machen, danach geht es mir sicher besser.“

      Donald Wilson nickte, und ich registrierte erfreut, dass er meine Erklärung offenbar akzeptierte.

      „Meine Frau wird Ihnen den Weg zeigen“, sagte Wilson. Er drehte sich um, stellte sich auf die Zehenspitzen und schrie dann, ohne sich um Etikette oder die Feinheiten gesellschaftlichen Zusammenseins zu scheren: „Mary!“

      Eine Reihe missbilligender Blicke trafen Wilson. Aber das schien ihn nicht zu stören.

      „Mister Wilson“, sagte ich, „es ist wirklich ...“

      Wilson brachte mich mit einer energischen Geste zum Schweigen und rief ein zweites Mal nach seiner Frau. Seine Bemühungen wurden nach wenigen Augenblicken belohnt.

      Mary Wilson war eine kleine, stämmige Frau, die in dem teuren Ballkleid ebenso deplatziert wirkte wie ihr Mann im Smoking. Sie kam mit kleinen, schnellen Schritten auf ihren Mann zu. Auf ihrem Gesicht stand eine Mischung zwischen Missbilligung und Ergebenheit. Wahrscheinlich vermutete ich, hatte sie schon vor langer Zeit aufgehört, sich über das Benehmen ihres Mannes zu wundern.

      „Sei so lieb und kümmere dich um Miss Pallas“, sagte Wilson. „Sie möchte sich ein wenig frisch machen.“

      „Gern. Kommen Sie ...“

      Ich atmete innerlich auf, als Mary Wilson ihren Arm bei mir unterhakte und wir die Nische verließen. Mir war, als würde ein dumpfer Druck von meiner Seele genommen.

      „Ihre Arbeit muss sehr anstrengend sein, meine Liebe“, sagte Mary Wilson leutselig. Sie führte mich in einem komplizierten Zickzackkurs zwischen den übrigen Partygästen hindurch und steuerte auf die rückwärtige Wand des Ballsaales zu.

      „Mein Mann hat schon den ganzen Tag von Ihnen geredet, Miss Pallas“, sagte sie. „Er schien ganz begeistert von Ihnen zu sein.“

      Ich lächelte verlegen. „Wir kennen uns doch gar nicht.“

      „Aber er hat von Ihnen gehört“, gab Mary Wilson zurück. „Wenn ich ehrlich sein soll, ich bewundere Sie ebenfalls. Als Frau einen so gefährlichen Job ausüben. Und dann noch so attraktiv.“

      „Man gewöhnt sich daran“, erwiderte ich. „Außerdem habe ich Unterstützung.“

      „Mister Barnes, ich weiß“, nickte Mary Wilson. „Ich habe ihn bereits kennengelernt. Ein fähiger Mann.“ Sie blieb stehen und sah sich um. „Er wird sicher in der Zwischenzeit auf unseren Ehrengast aufpassen, ja?“

      Ich nickte. „Er wird den Russen nicht aus den Augen lassen.“

      Ich entdeckte Robin Barnes bei einer Gruppe in der Nähe des Russen. Wir verließen den Saal und gingen durch einen langen, von kostbaren Seidentapeten behängten Korridor und blieben an einem hässlichen, rechteckigen Fleck hängen.

      Mary Wilson lächelte entschuldigend, als sie den fragenden Ausdruck in meinem Gesicht bemerkte.

      „Es sieht nicht sehr hübsch aus, ich weiß“, sagte sie bedauernd. „Ist es bei Ihnen auch so schlimm mit den Handwerkern?“

      Ich sah die Gastgeberin fragend an.

      „Schrecklich, meine Liebe, schrecklich, sage ich Ihnen“, fuhr Mary Wilson kopfschüttelnd fort. „Ob Sie es glauben oder nicht, sie werden im ganzen Haus keinen Spiegel finden.“ Sie lachte spöttisch. „Vor zwei Wochen hat Donald die Handwerker beauftragt, sie durch andere zu ersetzen. Abgeholt haben sie sie, aber ...“

      „Ersetzen?“, hakte ich nach und spürte, wie mein gerade besänftigtes Unbehagen erneut erwachte. Allmählich formten sich in meinem Inneren die verschiedenen Teile eines Puzzlespieles zu einem Bild. Das Fehlen von Spiegeln kann nur im Interesse eines Vampirs liegen! Hatte das etwas mit der Schwarzhaarigen zu tun, die ich mit dem Auto anfuhr, und die mich anschließend kratzte? Ich versuchte Zusammenhänge zu erkennen, aber meine Gedanken waren durch mein kochendes Blut unklar.

      Mary Wilson zuckte mit den Achseln.

      „Donald hat versucht, es mir zu erklären, aber ich muss gestehen, dass ich kaum etwas verstanden habe. Irgend so eine verrückte Erfindung, glaube ich – Spiegel, die nicht mehr anlaufen, oder so. Sicher, die Putzfrauen werden sich freuen. Aber wir stehen jetzt seit zwei Wochen ohne einen einzigen Spiegel da. Und ich hatte so gehofft, dass die Sache vor dem heutigen Tag in Ordnung gebracht wird.“ Sie blieb stehen und deutete auf eine kaum sichtbare Tapetentür. „Wir sind da.“

      Ich nickte und betrat den Raum. Helles, blendfreies Licht flammte bei meinem Eintreten automatisch auf und tauchte den Raum in schattenlose Helligkeit. Aber ich hatte keinen Blick für die kostbaren Bodenfliesen, die vergoldeten Armaturen und die schweren, aus weißem Marmor gearbeiteten Handwaschbecken an der Wand.

      Mary Wilsons Worte klangen noch immer nach: »Ob Sie es glauben oder nicht – aber wir haben seit zwei Wochen keinen einzigen Spiegel mehr im Haus«

      Und plötzlich wusste ich, was mir seit dem Unfall ein ungutes Gefühl beschert hatte: Die junge Frau, die ich mit dem Wagen angefahren hatte – es war keine Täuschung gewesen. Sie hatte kein Spiegelbild gehabt!

      Ich schloss die Augen und versuchte mich zu konzentrieren. Aber es gelang mir nicht, stattdessen umhüllte mich tiefe Finsternis. Ich fiel in ein schwarzes Loch, schien den Boden unter den Füßen zu verlieren.

      Es war eine Bewusstlosigkeit, und doch keine richtige. Ich fühlte mich weggetreten, aber trotzdem anwesend.

      „Was ist mit Ihnen, Miss Pallas“, rief Mary Wilson erschrocken aus und umfasste meine Hüften, da ich zu stürzen drohte. „Kommen Sie, und setzen Sie sich.“

      Sie führte mich in eine Toilettenkabine und drückte mich auf den WC Sitz. Ich ließ mich nach hinten an die Wand sinken. Meine Kraft schien spürbar abzunehmen, mein Blut kochte unverändert.

      Mary Wilson kniete sich neben mich, legte ihre Hand auf mein Knie und sprach beruhigend auf mich ein: „Es ist alles gut, Miss Pallas. Es war sicher nur die Hitze in der Halle. Sie sollten