Rohan de Rijk

Schnee am Strand


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      Kapitel 7

      Für den Bruchteil eines Momentes schoss ein greller Blitz durch die Büsche, gerade lang genug, um Ashleys Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Zwischen dem verdorrten Gestrüpp konnte sie die raue Oberfläche eines Sees ausmachen. Die Herkunft der Lichtreflexion.

      »Rechts in den Weg«, Ashley zog Damian am Ärmel.

      Dieser reagierte. Bremste den Wagen scharf ab und riss das Steuer herum. Der Camaro rollte einen kleinen Pfad entlang. Steine flogen mit einem unangenehm metallischen Geräusch gegen den Unterboden und ein paar Mal setzte der Wagen auf, ohne aber stecken zu bleiben.

      Damian ließ den Camaro am Kiesstrand des Sees ausrollen. Der Motor erstarb und eine unnatürliche Stille breitete sich im Inneren aus.

      »Versenken wir den Wagen«, sagte Damian und stieg aus.

      Ashley holte das Speed und die Pistole aus dem Handschuhfach und verstaute es in ihrem kleinen Rucksack, ehe sie Damian folgte.

      Damian schmiss die Taschen aus dem Kofferraum auf den Kies und knallte den Deckel zu.

      »Lass uns die Fenster runterkurbeln, dann sinkt der Wagen schneller«, sagte Ashley.

      Damian versenkte die Fenster, während Ashley den Trampelpfad zurückging, um zu kontrollieren, ob ihnen jemand gefolgt war. Sie versuchte, dem unguten Gefühl in der Magengegend nachzuspüren. Aber dort war nichts, außer einem leichten Anflug einer Paranoia. Nur der Wind strich durch die dürren Büsche und erfüllte die Luft mit tinitusartigen Geräuschen.

      Ashley beschloss, zu Damian zurückzukehren, wollte aber kein Wort über die seltsamen Gefühle verlieren.

      Damian stellte den Wählhebel auf »N« und dann schoben sie den Camaro in den See. Widerwillig glitt der Wagen ins Wasser. Die Steine, die sich unter der Wasseroberfläche befanden, wurden durch das Gewicht des Wagens nach vorne geschoben und bildeten einen Keil, der das Auto schließlich zum Stehen brachte. Bis zur Stoßstange stand der Wagen im Wasser, dann ging nichts mehr.

      Damian und Ashley mobilisierten ihre gesamten Kräfte, aber der Camaro bewegte sich kein Stück.

      »Scheiße, verdammte Scheiße«, schrie Damian und hieb mit der Faust auf den Kofferraumdeckel.

      »Nimm Schwung und fahr ihn ins Wasser.«

      »Was?«, Damian schien für einen Moment die Wut vergessen zu haben.

      »Fahr ihn bis an Ende des Strandes, gib Gas und spring dann raus.«, sagte Ashley.

      »Du bist genial«, Damian nahm Ashleys Gesicht in beide Hände und drückte seine Lippen auf die ihrigen und schob ihr die Zunge in den Mund. Ashley spielte mit ihr. Ließ ihre Zunge um seine kreisen, lutschte daran, um sie mit einem Mal fest einzusaugen. Damians Augen weiteten sich und ein leichter Schmerz durchfuhr ihn.

      »Mehr gibt es, wenn der Wagen abgetaucht ist«, lachend stieß Ashley ihn in Richtung des Camaros.

      Kies spritze auf und trommelte gegen die Radkästen, als Damian mit immer steigender Geschwindigkeit auf den See zuraste. Er war mittlerweile so schnell, dass es unmöglich für ihn schien, aus dem fahrenden Wagen zu springen.

      In diesem Moment tauchte der Camaro mit einer riesigen Fontäne ins Wasser ein. Als der Motor das brackige Wasser einsog und es sich mit dem Benzin vermischte, bockte der Camaro für einen kurzen Moment auf, das Geräusch brechenden Metalls übertönte das sterbende Blubbern des V8. Für einen Moment schwamm der Wagen an der Oberfläche des Sees, um dann mit dem Bug zuerst zu versinken.

      Damian robbte zum Fenster raus und ließ sich ins Wasser gleiten. Keinen Augenblick zu spät, denn der Camaro sank immer schneller und hätte Damian mit in die nassen Fluten gezogen.

      Damian hängte seine nassen Sachen an die niedrigen Zweige eines Baumes. Die Sonne hatte noch genug Kraft, um das Wasser aus der Kleidung zu saugen.

      Das feuchte Grab des Camaros hatten sie verlassen und sich durch den kleinen Wald geschlagen. Als sie das Gefühl hatten, weit genug vom See entfernt zu sein, hatten sie eine Rast eingelegt.

      Ashley lehnte an einem Baum und hatte die Augen geschlossen.

      Die grobgenarbte Rinde drückte gegen ihr Rückgrat und verursachte einen permanenten, wenn auch leichten Schmerz. Diesen Schmerz benutzte Ashley, um ihre Gedanken zu ordnen. Viel zu viel war in den zwei Tagen und unzähligen Stunden in Unordnung geraten. Das spießige Leben ihrer Eltern war ihr zwar zutiefst zuwider, aber Schießereien waren doch auch für sie eine ganz andere Liga. Eine gewöhnungsbedürftige Liga.

      Die Stimme ihres Bauches gab ihr nur diffuse Antworten auf ihre Fragen. Einerseits genoss sie die Unabhängigkeit, auf der anderen Seite wusste sie nicht, wo sie der Weg hinführen würde. Obwohl sie hart und schnell leben wollte, hatte sie Damians Gewalt schockiert. Ihre Worte hallten immer noch in Ashleys Kopf nach, hart und schnell, sie hatte die Befürchtung, dass Damian dies für ein Versprechen gehalten hatte. Ein falsches Versprechen, wenn hart und schnell auch brutal bedeuten sollte. Vielleicht hatte sie sich auch in Damian getäuscht. Unter der weichen Schale aus Empathie und immerwährender Gutmütigkeit schien ein anderer Damian zu lauern. Ein Monster, das jede Situation ausnutzte, um sein wahres Gesicht zu zeigen.

      Ein Schatten legte sich auf ihr Gesicht und riss sie aus ihren Gedanken. Damian hatte sich umgezogen.

      Seine Augen hatte er leicht zusammengekniffen, so dass eine steile Falte über seine Stirn lief. Ashley hatte das Gefühl, das Damian sich in ihre Gedanken schleichen wollte, um zu ergründen, wie es in ihr aussah.

      Damian kniete sich nieder und der Schatten, den er geworfen hatte, verschwand. Ashley schützte ihre Augen gegen die plötzlich einfallende Helligkeit.

      Als sie die Umwelt wieder in einem normalen Licht wahrnehmen konnte, bemerkte sie, dass Damian zwei Telefone in der Hand hielt. Eins davon gehörte ihr.

      Sekunden verstrichen, in denen Ashley das Gefühl hatte, Damian wartete darauf, dass sie etwas sagte.

      Aber Ashley blieb stumm.

      »Wir müssen unsichtbar werden«, sagte Damian, als noch ein paar lange Sekunden des Schweigens verstrichen waren.

      »Ohne Mobilfunk werden wir unsichtbar?«

      »Ohne die Telefone kann uns die Polizei nicht orten«, sagte Damian.

      »Aber die wissen doch gar nicht, wer wir sind«, antwortete Ashley.

      »Noch nicht«, sagte Damian, stand auf und zerstörte die Telefone mit einem Stein, den er vor Ashley verborgen hatte.

      Ein trockenes Knacken durchbrach die warme Stille des Nachmittags und das erste Telefon zerstreute seine elektronischen Eingeweide auf der staubigen trockenen Erde.

      Die zerschmetterten Leiber der Telefone begrub Damian unter einem Baum und bedeckte die Erde wieder mit den herabgefallenen Nadeln einer Kiefer.

      Kapitel 8

      Waterburgh wirkte provinzial. Eingebettet in einer Mulde, umringt von lichten Kiefernwäldern. Der feuchte Nebel hüllte die Stadt regelmäßig in eine watte-graue Schicht und der Sommer trieb die schwüle Luft durch die Straßen. Ein Gürtel aus vornehmen kleinen Häusern umringte das Stadtzentrum.

      Genau genommen war Stadtzentrum eine Übertreibung. Eine Straße, die sich über vier Blocks erstreckte, bildete das Herz von Waterburgh. Ihre größte Attraktion war, dass sie aus der Stadt hinaus führte. Gegründet durch einen niederländischen Emigranten wuchs die kleine Stadt nur mäßig, bis die Population sich irgendwann auf 1200 Einwohner einpendelte. Die großen Supermarkt-Ketten machten einen Bogen um Waterburgh und so gab es hier noch die Spezies von Einzelhandelsläden zu bestaunen.

      Verließ man Waterburgh auf der Hauptstraße nach Osten, bildeten zwei heruntergekommene Trailer-Parks das Ende des Stadtgebiets. Verwahrloste Hütten und alte Trailer boten ein Bild des ständigen Verfalls. Waterburgh rekrutierte hier seine Hilfskräfte: Regaleinräumer und Burgerbrater.

      Mrs. Lewingston