von Waterburgh. Ihr kleiner drahtiger Körper steckte in einem spitzenbesetzten Stoffkleid, das mit englischen Rosen bedruckt war. Mit ihrem dezenten Goldschmuck und ihrer altertümlichen Hochsteckfrisur wirkte sie, als ob sie in ein falsches Jahrhundert hinein geboren worden war. Es war das Haus ihrer Eltern, das sie jetzt schon fast vier Jahrzehnte ihr Eigen nannte.
Sie hatte das Haus seit dieser Zeit alleine bewohnt. Die große Liebe hatte sie nie gefunden, Mühe hatte Mrs. Lewingston sich auch nicht gegeben diese zu finden. Sie war mit ihrem Leben zufrieden und war der Meinung, je mehr Menschen um sie herum waren, um so mehr erhöhte sich der Faktor Streit und Streit war eines der Dinge, die das Leben so unangenehm rau machten.
Der Westminster-Klang ihrer Türglocke ließ die alte Dame aufschrecken, es dauerte eine Weile, bis sie die arthritischen Gelenke bewegen konnte, mit kleinen bedachten Schritten trippelte sie zur Tür.
»Wir suchen ein Zimmer«, sagte Damian, als die Tür aufging und zeigte auf das blankpolierte Messsingschild, das das Haus als Pension auswies.
»Sicherlich«, Mrs. Lewingston faltete ihre Gicht verknoteten Finger ineinander.
Es entstand eine Pause, auch wenn diese nur wenige Sekunden dauerte, empfand Ashley sie als äußerst unangenehm.
»Haben Sie noch ein Zimmer für uns?«, unterbrach sie schließlich das Schweigen.
»Sicherlich«, antwortet Mrs. Lewingston.
Mit einem Mal bemerkte Ashley die seltsamen Spiegelungen in den Augen der alten Dame. Ihr wurde klar, dass sie versuchte, Damian und Ashley anhand der Stimmen zu analysieren, da sie wohl schlecht oder fast gar nichts mehr sah.
»Sind Sie verheiratet? Wissen Sie, ich vermiete eigentlich nur an junge alleinstehende Damen. Die machen am wenigsten Ärger. Sind Sie verheiratet?«
Damian nickte zögerlich. Er hatte noch nicht bemerkt, dass Mrs. Lewingston ihn nicht richtig erkennen konnte.
»Ja, seit zwei Jahren«, antwortete Ashley in einem heiteren Tonfall und ihre Wangen wurden bei der Lüge von einem leichten Rot überzogen.
»Wie wunderbar. Wenn ich noch einmal so jung wäre wie Sie, würde ich auch heiraten. Aber der Richtige muss einen über den Weg laufen. Bei mir war das ...«, Mrs. Lewingston verstummte. Die wenige Gesellschaft, die sie in ihrem Alter noch pflegte, ließen sie ein wenig übereifert plappern.
»Kommen Sie rein. Ich zeige Ihnen das Zimmer, das ich noch zu vermieten habe.«
Das Zimmer passte zum Haus. Es war altmodisch, aber gemütlich eingerichtet und an Sauberkeit nicht zu übertreffen. Das Bett war breit genug für zwei und die Bettwäsche ähnelte auf frappierende Art und Weise dem Kleid der alten Dame. Die Fensterscheiben waren durch Leisten unterbrochen und führten zu einer wenig befahrenen Straße. Das kleine Badezimmer war mit nostalgische Porzellan und Armaturen ausgestattet und schien wie Mrs. Lewingston aus einer anderen Zeit zu stammen.
Damian und Ashley gefiel das Zimmer. Es ähnelt so wenig den schmierigen Absteigen, in denen sie die letzten Tage mehr gehaust als gelebt hatten.
Sie bezahlten das Zimmer eine Woche im Voraus.
Danach waren sie pleite.
Damians Kreditkarte blieb unbenutzt in seiner Geldbörse. Zu groß die Gefahr, dass sie mit dem Autodiebstahl und der Prügelei mit dem Motelbesitzer in Zusammenhang gebracht werden konnte. Dass dies auf einem großen Zufall beruhen musste, war Damian klar, aber er wollte die Chance, dass dies passiert, kleinhalten.
So mussten Damian und Ashley sich in Waterburgh nach einem Job umsehen. Die meisten Geschäfte wiesen sie ab, sie verließen sich lieber auf die Einheimischen, auch wenn diese aus den Trailerparks am Rande der Stadt kamen.
Neben dem »Cunt Temple - Bar & Burlesque«, einer Striptease-Bar mit riesigen Parkplatz, stand das einzige Diner von Waterburgh mit dem wenig einfallsreichen Namen »Waterburgh Diner«. Er war im klassischen Stil gehalten, der schon in die Jahre gekommen war. Nachts feierte die Neon-Reklame ihren eigenen Abgesang. Die Röhren der Buchstaben »n« und »r« waren seit Ewigkeiten kaputt und orakelten unbeabsichtigt das nahende Ende der Stadt.
Die Einrichtung des Diners war verschlissen, aber da die meisten Gäste aus der Gegend kamen, waren sie mit dem Diner gealtert und hatten weder die eigene noch die Veränderung des »Waterburgh Diner« wahrgenommen.
Damian öffnete eine der Flügeltüren und ließ Ashley den Vortritt. Der Gestank von altem Fett, Kaffee und ungewaschenen Gästen schlug ihnen entgegen. Die Luft schien eine andere Atmosphäre zu besitzen. Dicht, so dass die Geräusche einen eigenartigen Klang bekamen.
Aus einem billigen Radio krächzte Countrymusik. Die Gespräche waren verstummt. Neue wurden in Waterburgh immer genau unter die Lupe genommen, besonders wenn sie so jung wie Damian und Ashley waren.
Normalerweise zogen die jungen Leute weg von Waterburgh, in die Großstadt, dort wo das Leben pulsierte. Hier in Waterburgh blieben nur die Alten zurück, um der Stadt beim Sterben zuzusehen.
»Was darf es sein Fremder?« Ein dicklicher Mann mit Fett bespritzter Kleidung trat durch die Schwingtür, beäugte sie mit einem gewissen Misstrauen und rieb sich seine schaufelgroßen Hände an einem dreckigen Handtuch trocken.
Kapitel 9
Jonathan Tailor.
Jonathan Tailor war als Junge nach Waterburgh gekommen. Seine Eltern hatten von ihrem Ersparten einen einigermaßen passablen Trailer erstanden, der auch der einzige Besitz im Leben der alten Tailors bleiben sollte.
Jonathan hatte sich mit Mühe und noch größerer Not durch die Schulzeit geschlagen und diese vorzeitig abgebrochen. Eigentlich keine willentliche Entscheidung, sondern eine spontane Handlung, deren Grund Jonathan Tailor nie überdacht hatte. Er hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, während er dem alkoholgeschwängerten Untergang seiner Eltern zuschaute.
War Jonathan in der Schule eher schüchtern gewesen, so ließ er jetzt seinen Gefühlen freien Lauf. Wobei das Wort »Gefühl« eher mit brutalen Sex gleichzusetzen war. Frauen, die seine Vorliebe teilten, fand er nicht und gab es nach immerhin zwei Versuchen auf, eine zu finden. Seine Sexpartnerinnen wurden zu Opfern. Er überfiel sie in den Wäldern, wobei er es mit dem Alter auch nicht so genau nahm. Die Jungen waren ihm lieber, kam nur eine reife Frau in Frage, beugte er sich dem Schicksal. Die vergewaltigten Frauen erstatteten Anzeige, aber weder konnten sie den Täter genau beschreiben noch trieb er permanent sein Unwesen in den Wäldern von Waterburgh. Die Polizeiermittlungen verliefen nach einiger Zeit im Sand und danach in Vergessenheit.
Eines unglückseligen Tages machte sich Jonathan Tailor auf, seine Triebe abzukühlen. Sein letzter Auftritt in den Wäldern war schon mehr als drei Jahre her.
Sie war blond und allein. Jonathan zog seine schwarze Maske über das Gesicht und schlich sich an. Aber irgendein Sinn muss die Blondine gewarnt haben. Sie kreiselte herum, gerade als Jonathans kräftige Hände sie packen und zu Boden reißen wollten. Die Frau stolperte, fiel, zog aber noch geistesgegenwärtig einen Revolver aus dem Holster, den sie versteckt unter ihrer dünnen Sommerjacke getragen hatte, und schoss. Da Fallen und Zielen meistens nicht miteinander harmonierten, verfehlte die Frau den Schädel von Jonathan Tailor. Die Kugel suchte sich den Weg zwischen den Beinen und wurden von den beiden Hoden gestoppt. Der Schmerz war mörderisch und Jonathan Tailor sank mit blutigen Schritt zu Boden.
Die Frau entkam.
Jonathan schaffte es noch bis in seinen Trailer, bevor er bewusstlos zusammenbrach. Als er erwachte, sickerte das Blut immer noch aus der Wunde, aber nicht mehr so stark, dass er um sein Leben fürchten musste. Er entledigte sich seiner Hose. Die Schmerzen trieben ihm immer wieder schwarze Wolken vor die Augen und er hatte Mühe das Bewusstsein zu behalten. Zwischen seinen Beinen hing nur noch ein blutiger Fetzen Haut, dass nicht mehr im weitesten entfernt an einen Beutel erinnerte. Jonathan Tailor traf eine Entscheidung. Ein Arzt würde Fragen stellen und hier draußen in der Provinz hilft sich in der Not ein Mann selber. Er suchte eine Flasche Whisky und als er betrunken und einigermaßen schmerzunempfindlich