Kurt Pachl

Die Engel der Madame Chantal


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war eine wenig nervig geworden. Gott sei Dank besaß sie auch das Feingefühl, kurz davor zu sein, eine unsichtbare Schwelle zu überschreiten. Von einer Sekunde auf die andere veränderte sich ihre Mimik.

      »Entschuldige bitte. Aber das kennst du höchstwahrscheinlich zur Genüge. Unheimlich viele Menschen, die mitten im Beruf stecken, machen oft den Fehler, nicht rechtzeitig abschalten zu können. Madame Chantal – sie müssen mir versprechen, mich künftig darauf aufmerksam zu machen, die schönen Seiten dieses Lebens nicht aus den Augen zu verlieren. Versprochen?«

      »Madame Chantal wird künftig darauf achten«, gluckste Chantal. »Wenn ich mich nicht irre, hat die schöne Miranda einen Vorschlag, wie es weitergehen könnte. Oder?«

      »Was hältst du von einem entspannenden Whirl-Pool-Besuch – vielleicht zusammen mit Musik von Vivaldi?«

      »Oh ja. Das wäre himmlisch.«

      Neben einem kleinen Schwimmbad befand sich eine Sauna. Im Anschluss daran dominierte eine Whirl-Pool-Landschaft.

      Ehe sich Chantal versah, war die Besitzerin der Villa im Whirl-Pool eingetaucht.

      Es stellte sich heraus, dass sie unter ihrem dünnen Samtkleid nur nackte Haut trug. Sie hatte noch nicht einmal einen Slip getragen.

      Ihre Arme über den Rand des Whirl-Pools gelegt, verfolgte sie aufmerksam, wie sich Chantal entblätterte. Und die tat dies ganz bewusst sehr langsam und betont aufreizend. Miranda quittierte dies mit genüsslichen Tönen; in vielen Oktaven; passend zu den Vier Jahreszeiten.

      »Oh mein Gott. Du hast einen herrlichen Körper. Komm. Komm rein«, jauchzte sie erwartungsvoll.

      Im Whirl-Pool musste Chantal zwischen den Beinen der Seufzenden Platz nehmen; den Rücken an die relativ kleinen Brüste angelehnt. Zitternd streichelte Miranda die festen und wohlproportionierten Brüste ihres Gastes. Irgendwann begaben sich ihre Hände auf weitere Erkundungen. Als Chantal zu verstehen gab, dass ihre Hände auch hilfreich werden wollten, hauchte Miranda:

      »Später. Später mein Engel. Der Abend ist noch lang. Gemeinsam werden wir sehr viele

      Wunder durchleben. Das verspreche ich dir. Es liegt mir viel daran, dass wir uns noch oft sehen.«

      Am anderen Morgen, kurz nach 7.00 Uhr, fühlte Chantal einen Kuss auf ihren Lippen. Es war Miranda, die sich über ihr Gesicht beugte.

      »Für mich war es himmlisch. Ich danke dir mein Engel mit den schwarzen Haaren und den wunderbaren Händen. Gerne hätte ich noch mit dir gefrühstückt. Aber die Pflicht ruft. Du hörst wieder von mir. Zieh‘ die Tür einfach hinter dir zu. Au revoir.«

      »Au revoir mon amie«, konnte Chantal nur noch flüstern. Danach sah sie eine Frau im dunklen Hosenanzug verschwinden. Kurz darauf hörte sie, wie ein schweres Fahrzeug rasch davonfuhr.

      »Diese Frau hat enormes Vertrauen zu mir. Dabei kennen wir uns doch erst seit gestern Nachmittag«, dachte Chantal.

      Im Erdgeschoss angekommen wartete die zweite Überraschung auf sie. Miranda hatte den Frühstückstisch liebevoll gedeckt. Während Chantal saß, und den Kaffee genoss, las sie immer und immer wieder die Zeilen des Briefes:

      »Guten Morgen mein Engel. Für eine Frau, die bislang nur Männer verwöhnt hat, warst du für mich die Erfüllung. Ich fiebere unserem nächsten Rendezvous entgegen. Bis bald meine Liebste. Deine Miranda.«

      Woher sie diese Information wohl hatte? Manuela hatte Stein und Bein geschworen, ihrer bisherigen Gespielin nichts, aber auch gar nichts, über Chantal erzählt zu haben. Wie

      auch immer. Dieses Geheimnis musste Frau Dr. Miranda Meinhard noch preisgeben. Später. Irgendwann.

      Nach dem Frühstück spülte Chantal das Geschirr, und brachte Bett und Bad in Ordnung. Bevor sie die Tür hinter sich zuzog, drückte sie ihre geschminkten Lippen auf Mirandas Schreiben, um dieses an der Blumenvase auf dem Tisch anzulehnen. Miranda sollte es sofort sehen, wenn sie heute Abend nach Hause kam.

      Während der Fahrt nach Frankfurt ließ sie noch einmal den gestrigen Abend und die lange Nacht Revue passieren.

      Vor wenigen Tagen hatte Chantal dunkel und bitter gelacht. Im Grund genommen war es mehr als unverzeihlich, dass sie, eine Hure, sich so wenig mit der sexuellen Bandbreite beschäftigt zu haben. Oh, was war sie froh „normal“ zu sein. Ihre Cleopatra kommunizierte mit einem Cäsar. Aber selbst hier gab es unendlich viele Spielformen; je nach Geschmack.

      Sollte sie Miranda bemitleiden? Nein. Das hatte sie nicht verdient. Sollte sie jetzt sich bemitleiden oder gar anklagen, über eine unsichtbare Grenze gegangen zu sein? War es ein Fehler?

      Nein. Nein. Es war kein Fehler. Es war schön, wunderbar, herrlich. Diese Frau hatte sie auf die Wolken gehoben und dort lange Zeit schweben lassen. Sie beide hatten gemeinsam viele und herrliche Höhepunkte erreicht. Es war unbeschreiblich. Nein. Das wollte sie nicht

      missen. Unter keinen Umständen.

      War es schöner, als mit einem Mann? Diese Frage stellte sich für Chantal ab heute nicht mehr. Sie war jetzt in beiden Welten, ja es waren Welten, zuhause. Ihr sexuelles Leben war jetzt doppelt so schön geworden.

      Und plötzlich dachte sie an Harald. Warum Harald? Vielleicht weil er ihr verzieh, mit anderen Männern zu schlafen. Aber würde er ihr verzeihen, auch mit einer Frau geschlafen zu haben?

      Glücklich, ja fast überglücklich, fuhr sie langsam auf Umwegen nach Frankfurt zurück. Sie konnte nicht wissen, dass das Schicksal bereits dunkle Wolken heranschob.

      Kapitel 9

      Am 29. September, es war ein Samstag, landete das Flugzeug in Quebec.

      Chantal und Harald hatten sich vorgenommen, den Indian Summer in all seinen Farben zu erleben, in sich aufzunehmen und in ihrer Seele zu verstauen. Sie wollten ihn im Winter wieder hervorholen, wenn sie zuhause vor dem knackenden Kamin sitzen würden.

      Doch dunkle Schatten tauchten bereits am ersten Urlaubstag auf.

      Harald war bereits vor dem Abflug schweigsam geworden. In den zurückliegenden Wochen hatte Chantal ihn einige Male bekniet, zum Arzt zu gehen. Er kam ihr schlanker vor. Und seine Gesichtsfarbe schien sich auf eine undefinierbare Weise verändert zu haben.

      »Ich bin ein bisschen überarbeitet. Gott, was freue ich mich auf diesen Urlaub«, hatte er leicht geseufzt und ihr einen Kuss auf die Stirn gegeben. Immer, wenn er ihr einen Kuss auf die Stirn und nicht auf den Mund gab, war Vorsicht geboten.

      »Warum musst du noch mit neunundsechzig jeden Tag an die Front? Du hast doch weiß Gott genug gerackert in deinem Leben«, hatte sie noch vor eine Woche gefaucht.

      »Ist ja in Ordnung. Du hast ja recht. Nur noch bis zum Ende dieses Jahres. Dann …«

      »Sobald wir aus dem Urlaub zurück sind, übergibst du alles deinem Geschäftsführer. Okay?«

      »Hm. Aaach«, hatte er gestöhnt.

      »Was heißt das jetzt auf Deutsch?!«

      »Ich weiß nicht, ob ich mich noch auf Kunzmann verlassen kann.«

      »Dann schmeiß‘ ihn raus. Hol‘ dir einen Neuen. Kosten dürfen im Moment keine Rolle spielen. Du weißt, dass ich mich noch nie eingemischt habe. Nichts liegt mir ferner, als die intelligente Tussi zu spielen. Aber deine Gesundheit … Harald … ich brauch‘ dich!«

      »Danke mein Schatz. Das tut gut. Ich liebe dich«, flüsterte er.

      Und heute, am ersten Urlaubstag, hatte er sich einige Male übergeben müssen. Danach nahm er Tabletten ein; viele Tabletten.

      »Harald. Liebling. Was schluckst du denn da in dich hinein? Sollte ich etwas wissen?«

      »Nein. Lass‘ uns den Urlaub genießen. Heute Nachmittag habe ich einen Flug gebucht. Bei den kleinen Flugzeugen wird mir in den letzten Jahren übel. Das ist zur Vorbeugung.«