Gudrun Baruschka

Himmelgelb


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menschlichen Körpern, denen etwas fehlte, ein Bein, ein halber Arm, der Kopf oder ein Fuß; kastenförmige Bauten dahinter oder daneben. Der Gegensatz zu seinen Bildern vom Anfang ihrer Bekanntschaft war ungeheuerlich.

      „Was soll das?“

      „Das ist unsere Welt, Betty.“

      „Wo sind denn die Farben, wo ist die Natur?“

      „Hast du sie beim Leben in Betonblöcken? Siehst du da Wiesen und Wälder?“

      „So liegt es an uns. Wir müssen sie mehr in unseren Lebenskreis holen.“

      „Falsch! Wir sollten sie nicht vernichten. Wir grauen uns selbst ein.“

      „Warum zerstückelte Menschen, Simba?“

      „Die Erde ist so im Großen: Länder. Die in sich selbst: Parteien. Du kannst das fortführen bis zu einem einzelnen Individuum. Alles ist uneins, zerstört, wirkt auf anderes ebenso ein.“

      „Das ist deprimierend. Ich seh’s anders. So hör doch!“

      Sie deklamierte:

      „Dunkles Atmen, friedlicher Schlaf,

      haschende Nebelfiguren,

      da ein schmaler Lichtstreif sie traf,

      verschwanden sie ohne Spuren,

      im frischen Wind ein Wispern lag,

      es regten die Wipfel sich bald,

      im Lärmen der Vögel nahte der Tag

      und Sonnenfinger neckten den Wald.“

      „Deine Verse... sie sind mir zu banal, zu lyrisch!“, entschied Simba energisch.

      „Was hast du gegen Poesie?“

      „Nichts gegen Schiller und Heine... aber heutzutage solche Worte zu verwenden, haut nicht hin. Siehst du nicht, wie gefährdet unser Leben ist? Autos überfahren Menschen und Tiere, Flugzeuge stürzen ab, Bäume werden zu Tausenden gefällt...“

      „Ich bin ja nicht blind. Das geschieht. Schlimm genug. Wir Menschen sind schuld. Das ist erkannt; wir ändern es doch schon. Idylle zu lassen, ist uns nicht gegeben. Wir könnten nicht mehr existieren.“

      „Warum schreibst du dann sowas ohne den Schrei, dass der Regenwald stirbt?“

      „Es besteht ja aus reiner Beobachtung. Ich empfinde so und gebe ein romantisches Bild weiter an Freunde, die es nicht sehen konnten oder einfach nicht darauf geachtet haben. Manche Leute erleben gleiches. Das bestärkt doch. Was du hineinhaben möchtest, verdirbt diese Verse. Sie sind eine lyrische, zugegeben romantische, Impression.“

      „Romantik... Kitsch ist das!“

      „Halt, Simba. So red nicht mit mir! Sind dein ‚Schlangenmensch’ oder der ‚Kophta’ keine romantischen Bilder?“

      „Ja, verflucht noch mal. Doch die Sachen verkauf ich. Hab schon lange das Gefühl, der Ramsch müsste verschwinden. Wie konnte ich das malen?“

      Auf und ab wanderte Simba mit raumgreifenden Schritten in der engen Kammer, fuhr sich durch die Haarflut und funkelte Betty aufgebracht an. Die schwieg nun, war verletzt und verstimmt, verabschiedete sich auch bald und verließ seine Dachkammer zum ersten Mal ohne Bedauern.

      Sie wusste schon, dass sie Simba gern hatte. Ihre gemeinsame Arbeit verband. Mit Witz und Lachen meisterten sie viele Schwierigkeiten. Sie fühlte oft, wenn er sie ansah, dass auch sie Simba etwas bedeuten mochte. Deshalb konnte sie ihre steten Reibereien über seine Grafiken und ihre Gedichte nicht verstehen. Es machte sie verrückt, dass sie sich in ihren Auffassungen so voneinander entfernt hatten und keiner dem anderen ein Recht einräumen wollte.

      Sie hätte viel darum gegeben, zu sagen: „Also gut, jetzt hast du mich überzeugt.“

      Dann wäre in seinem Gesicht etwas Frohes gewesen. Vielleicht auch hätte er sie dann an sich gezogen und geküsst, wie sie es sich wünschte in manchen Augenblicken. Aber... es ging nicht.

      Ihre Verse mit den zarten Umschreibungen und kraftvollen Eindrücken zu tauschen gegen seine faden quälenden Zeichnungen... nein, so waren das Leben und die Welt nicht. Und, dass sie nie so sein werden, dafür wollte sie mit Worten eintreten, wollte bewahren, was sie sah und fühlte.

      Betty wusste nicht, wie es Simba erging. Ob er wohl manchmal ebenso innig gewollt hatte, sie zu verstehen?

      Die Praktikumszeit verging. Simba zog aus der Dachkammer und verließ die Stadt.

      Eine fröhliche bunte Collage lag zum Abschied auf Bettys Schreibtisch.

      Betty ertappte sich eben dabei, immer noch auf eines der Bilder in der Kleinen Galerie des Museums zu starren, genau in diese silberkühle glasblaue Stelle hinein. Warum war ihr nur all das wieder eingefallen? War dieses atemberaubende Blau daran schuld?

      Sie vernahm ein Geräusch und wandte sich um. Dr. Christoph war hereingekommen. Kleinwüchsig, mit schütterem Haar und wie immer rauchend eilte er auf sie zu, fasste ihre Hand und strahlte:

      „Gut, dass Sie hier sind, Betty ... über die Manuskripte lassen Sie uns nachher reden... Was sagen Sie zu den Malereien? Sie haben sich doch sicher schon umgesehen, nicht wahr? Der Mann zeigt Talent, finden Sie nicht ... und er wollte seine Bilder unbedingt in unserer Stadt, in unserer Galerie ausstellen...“

      Ehe Betty darauf antworten konnte, erschien ein junger Mann in der Tür. Während er herankam, sagte er, und die Stimme kannte sie:

      „Unser Streit von damals hat mir keine Ruhe gelassen.“

      Als er sehr nah war, flüsterte er fast fassungslos, weil er es wohl selbst erst in diesem Moment erkannte:

      „Es ist die Farbe deiner Augen, die mich verfolgt hat. Ich habe es immer wieder malen müssen, dieses silberkühle, glasreine Blau...“

      Nacht der Teelichter

      Als sie die Gartenpforte öffneten, summten beide noch immer. Drei Stunden live Electric Light Orchestra. Die Autorückfahrt hatte der Stimmung des Konzerts nichts anhaben können, immer wieder hatten sie sich verliebt angesehen und berührt.

      Ihr Haus war dunkel, barg eine zärtliche Stille, in die sie eintauchten mit pochenden Herzen, mit verstohlenem Lächeln. Diese Nacht würde ihre sein...

      Sie hatten ein bisschen nachgeholfen. Ihr Zwölfjähriger war begeistert darauf eingestiegen, bei seiner Lieblingsoma übernachten zu dürfen. Ihr mittelster Sohn und die große Tochter gingen schon lang eigene Wege, verbrachten natürlich diese Freitagnacht mit Freunden in der Disco, würden sowieso erst beim Hellwerden heimkommen.

      Bereitwillig überließ Bea Arno das Bad, nahm geschliffene Weingläser aus der Bar, stellte sie neben ihre Betten, zog aus ihrem Nachtschränkchen das schwarze Negligé, legte ihren Silberschmuck ab, kleidete sich aus...

      Arno stöhnte überrascht auf, als sie zu ihm in die Dusche kam und sich unter den warmen Wasserstrahlen an ihn schmiegte. Er suchte und fand ihren Mund. Weicher Schaum floss von seinen Armen über ihren Rücken zu den Füßen hinab...

      Als sie sich etwas atemlos von seinen Lippen löste, griff er fast ohne hinzusehen nach Beas Duschgel und begann, ihren Körper langsam damit einzuseifen. Sie half ihm dabei, führte seine Hände über ihre üppigen Brüste, über ihre runden Hüften, lehnte sich verspielt gegen ihn, spürte und sah seine Erregung. Mit kleinen schnellen Küssen lenkte sie ihn jedoch in Richtung Kabinentür, stupste ihn sacht fort und sagte lächelnd: „Den Rest mach ich allein.“

      Ihre Stimme vibrierte leicht.

      Als er endlich ausstieg, pfiff er.

      Ein Meer aus brennenden bunten