Gudrun Baruschka

Himmelgelb


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trat ihr jetzt mit den gefüllten Gläsern in den Händen entgegen.

      „Mhm, Rotwein“, schwärmte Bea und nahm ihr Glas.

      Sie stießen an, und bevor sie tranken, küssten sie sich. So hatten sie es seit jeher getan, über zwanzig Jahre lang. Durstig trank Bea gleich aus, Arno füllte nach und schaltete Musik ein. Ihre CD. Electrik Light Orchestra. Innig tanzten sie. Fast auf der Stelle.

      „Weinrot steht dir“, neckte Bea, und Arno war für einen winzigen Moment irritiert. Meinte sie seinen Pyjama? Kecker Augenaufschlag. Ach so, seine Wangen, die der Wein gerötet hatte. Es war einfach immer so, er konnte es nie verhindern.

      „Und das kleine Schwarze dir...“, lenkte er ab und streifte den dünnen Träger von ihrer noch sommerbraunen Schulter.

      „Du stehst mir“, seufzte Bea überzeugt und hielt ihn ganz fest.

      „Wir stehen uns beide“, beeilte er sich, die drei unsichtbaren Punkte in ihrem Satz zu vollenden.

      „Wie recht du doch hast“, flüsterte sie, ganz an ihn gedrückt.

      „Ich hab doch immer recht.“

      Da boxte sie ihn leicht, traf nicht, weil er auswich. Aber ganz schnell hatte er sie wieder im Arm, hörte ihr Murmeln: „Für heute Abend jedenfalls hast du recht. Das ist mal sicher. Früher aber, da hatte ich immer recht...“

      Dieses Du-und-ich-Spiel amüsierte sie beide wie immer, wer was und wann sagte und ungesagt hörte. Jetzt verschloss Arno gerade ihren Mund mit wilden Küssen und versuchte, ihre freche Zunge zu bändigen.

      Bea kam zu sich durch die glatte Kühle des Lakens unter ihrem bloßen Rücken. Sie hielt sich an Arnos Oberarmen fest, gab sich seinen fordernden Händen hin, stöhnte schon auf in Gier nach jener warmen reißenden Berührung in ihrem Schoß. Dann kam ein Rausch aus Gefühlen und Erleben, stieg an und ebbte ab, gipfelte in einem spitzen Lustschrei, der Arno eine Gänsehaut über den Körper trieb, die Bea wiederum unter ihren Fingerkuppen fühlen konnte.

      Als sie später ihren Wein austranken, wechselte Arno auch eine Reihe der Teelichter aus und entzündete sie. Und dann rieb er jeden Zentimeter von Beas Körper mit warmem, würzig duftendem Massageöl ein. Er wusste ganz genau, wie gern sie das mochte. Er konnte sie fast wie eine Katze schnurren hören, und wenn sie sich zwischendurch an seine Brust verkroch, kneteten ihre Finger rhythmisch seine Haut, und ihre Nägel gruben sich manchmal hinein und verursachten einen kleinen Schmerz.

      Und sie fühlte oft die Bewegung seiner Wimpern als leichtes Kribbeln an ihrem Hals, wenn er die Augen öffnete und schloss...

      Sie mochten beide nicht aufhören, sich zu streicheln und zu küssen.

      Irgendwann aber, als seine ruhigen Atemzüge verrieten, dass Arno zufrieden eingeschlummert war, zog Bea die Decke über ihn und sich und erwartete im verglimmenden Teelichtermeer den Schlaf.

      Inmitten der leisen Musik hörte sie noch, wie sich ein Schlüssel hart im Schloss der Wohnungstür drehte, wie das Licht im Korridor angeknipst wurde.

      „Hey, Leute“, flüsterte eine Mädchenstimme vorsichtig, „ich bin zurück.“

      Aber das war vielleicht schon ein Traum.

      Himmelgelb

      Unvergesslicher April. Die Sonne wärmt schon. Das fühlt sie auf ihrer Lederjacke. Im Gesicht den Fahrtwind drückt sie sich enger in den Rücken des Motorradfahrers, umschließt seine Taille mit den Armen.

      Ein Tag wie gelbe Chrysanthemen. Hell und fedrig. Und begonnen hatte er auf dem Bahnhof.

      Die Reisetasche vor sich her balancierend war sie im altmärkischen Stendal ausgestiegen und ließ die Eiligen an sich vorbei.

      „Darf ich helfen, schöne Frau?“

      Ein ovales Gesicht. Fröhliche Augen. Über den vollen Lippen bog sich ein Bärtchen. Sprachlos nickte sie.

      „Müsste ich... Sie kennen?“, fragte sie ironisch.

      Gestattete, dass er die Tasche nahm. Er wiegte den Kopf und schmunzelte.

      „Wir sind uns sicher schon öfter begegnet.“

      Sein Blick senkte sich kurz in ihre Augen, verstärkte eine Vertrautheit, die vom ersten Moment in ihr war. „Katzenaugen“, stellte er fest.

      „Kaffee?“, fragte sie spontan. „Da drüben im Bahnhofshotel?“

      „Zeit hätte ich ja... und Lust auch.“ Wie er das sagte, erzeugte Kribbeln in ihrem Bauch.

      „Ich bin gebürtige Berlinerin“, plauderte sie, als sie sich im Restaurant gegenüber saßen. „Mit 19 bin ich daheim weg. In die große weite Welt. Das war die Altmark damals für mich. Ein fremder Landstrich. Ein Abenteuer.“

      „Dann sind Sie mit dem ICE vorhin aus Berlin gekommen.“

      „Ja, meine Eltern leben noch dort. Seltsam, dass man sich bei ihnen wieder wie ein Kind fühlt...“

      „... und noch die Schrammen an den Möbeln findet, die man selbst verursacht hat“, vollendete er schmunzelnd ihren Gedanken.

      „Oder den Geruch in den Zimmern...“, sinnierte sie.

      „Wie meinen Sie das?“

      „Ach, da gibt’s so 'ne Kohlrouladen-Geschichte. Und ich spiel' die Hauptrolle... Ist schon ziemlich her... Damals war ich vielleicht 15. Aber an den Schreck erinner' ich mich noch heut.“

      Sie goss Sahne in ihren Kaffee und rührte um.

      „Wir wohnten damals gemeinsam mit einem Wellensittich parterre in einem großen Häuserblock.

      An einem Sonnabend um die Mittagszeit erhielt mein Vater, als Taxifahrer in Bereitschaft, einen Einsatzruf. Während ich Geschirr spülte und sich meine beiden Geschwister das Abtrocknen teilten, bereitete meine Mutter noch schnell Kohlrouladen für den Sonntag vor und schob sie im Brattiegel in den Ofen.

      Und weil wir zur Kaffeezeit mit unserer Oma verabredet waren, zogen wir uns danach noch rasch um.

      Meine Mutter, beim Haare toupieren, bestimmte noch, dass wir die Rosen aus der Vase nehmen und ins Seidenpapier wickeln und das Päckchen neben dem Telefon nicht vergessen sollten.

      Weil ich mir grad' die Hände eincremte, griff meine Schwester nach den Blumen. Mir entging die Neckerei unseres Bruders, der wohl immer wieder am Seidenpapier zupfte, aber ich sah, wie meine Schwester nach ihm schlug. Sie traf dabei die Vase. Die kippte, ehe ich dazugesprungen kam, und das Wasser schwappte aus, lief die Tischplatte entlang und auf den danebenstehenden Polsterstuhl und dann auf den Teppich.

      'Auweia, jetzt gibt’s Ärger', raunte unser Bruder scheinheilig und vorwurfsvoll zugleich.

      Aufgebracht lief ich nach einem Tuch zum Trocknen und schimpfte dabei: 'Mensch, passt doch auf!'

      Und meine Mutti fragte: 'Was ist denn wieder?' Na, wie das eben so in einer großen Familie zugeht. Sie sagte dann noch: 'Gudy, stellst du bitte mal den Gasherd auf kleine Flamme?'

      Ich war grad' dabei, das Malheur zu beseitigen und ging kurz, den Herd auf Sparflamme zu schalten. In der Stube schubsten und zankten sich halblaut meine Geschwister. Mir ging das auf die Nerven. Zumindest die Schwester mit ihren 11 Jahren hätte ja zugreifen können, doch sie hielt Abstand zu dem kleinen Wasserfall; es konnten ja Spritzer ihr weißen Faltenröckchen treffen.

      'Hier! Bring mal weg!' Damit hielt ich ihr den nassen Lappen entgegen, als ich fertig war.

      'Ph! Kann er doch machen!'

      Ich fand, das ihr kesser Haarschopf den hochmütigen Gesichtsausdruck noch verstärkte.