Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit


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mir einen schnellen Blick zu. „Das habe ich auch nicht vor, obwohl die kleine Stammkneipe von euch ja ganz schön ist. Aber ich möchte essen gehen und dich heute mal für mich allein haben.“

      Ich denke nur: Das hast du ja schließlich auch bezahlt.

      Mein Nuttendenken verwirrt mich. Wahrscheinlich sind das meine überdrehten Nerven und der verzweifelte Versuch, mein Handeln irgendwie vor mir selbst zu rechtfertigen.

      Plötzlich kommt mir alles falsch vor und die Angst schleicht sich in meinen Kopf, dass ich mich selbst am meisten mit diesem Handeln verletze.

      Als wir durch Osnabrück fahren, klaube ich mir eine Sonnenbrille von Tim von der Ablage und setze sie mir auf.

      „Blendet es dich?“, fragt Tim besorgt.

      „Meine Augen sind heute etwas empfindlich“, antworte ich. Aber mir geht es in erster Linie darum, dass ich keinem begegnen möchte, der mich kennt. Vor allem keinen dunkelgrünen BMW oder schwarzen Mustang.

      Wir fahren durch die Stadt hindurch, auf die andere Stadtseite, die ich vom Durchfahren mit Erik kenne. Dort lenkt Tim den Mercedes auf den Parkplatz eines griechischen Restaurants.

      „Hier war ich mal mit meinem Vater und seiner Familie. Da kann man wirklich gut essen.“

      Wir steigen aus und ich lasse mich von ihm an der Hand ins Lokal führen. Aber mir ist nicht nach Essen. Mir ist nach nichts.

      Ich sehe Tim an, der vor mir geht. Morgen reist er wieder ab und ich werde allein sein. Auch nichts, was mich im Moment beruhigt.

      Statt meine Gefühle im Griff zu haben, schlagen sie immer größere Kapriolen und ich bin froh, dass Tim den ganzen Abend nicht mehr über Gefühle oder uns spricht, sondern von seiner Tour erzählt.

      Ich schaffe es tatsächlich, zumindest so zu tun, als interessiere mich sein Leben. Er wirkt glücklich und zufrieden und ich spüre auch dahingehend etwas Genugtuung, ihm dieses Gefühl zu vermitteln und meine eigenen Gefühle unter Kontrolle zu halten. Wenn er wieder weg sein wird, werde ich sie mit aller Macht bekämpfen.

      Tim ist neben mir eingeschlafen. Ich schiebe mich aus seinem Arm und lege mich auf den Rücken. Erneut mit Tim zu schlafen, zeigte mir, dass ich bei ihm einfach nichts fühle. Ich rede mir ein, dass es an der Situation liegt. Alles andere macht mir zu viel Angst. Was ist, wenn mein Körper einfach nicht mehr will? Vielleicht habe ich etwas in ihm zerstört? Dass er zu lieben fähig ist, hatte er mir doch zu genüge bei Erik gezeigt. Und auch meistens bei Marcel. Warum klappt es bei Tim nicht?

      Er ist zu schnell, zu hektisch und ab einem bestimmten Punkt nur noch auf sich fixiert. Das wird sich wohl nie ändern. Aber ist das nicht auch besser so? Schließlich wäre es ernsthaft erschreckend, wenn ich nach den letzten zwei Tagen auch noch mit Tim ins Bett springen würde und alles wäre bestens.

      Aber zumindest kann ich stolz verkünden, dass ich eine gute schauspielerische Leistung hingelegt habe. Ich weiß, wie es sich bei Erik angefühlt hat und es fiel mir nicht schwer, das einigermaßen wiederzugeben. Dennoch reißt mich genau dieser Aspekt in ein Tief. Ich sehne mich nach den Gefühlen, die ich in den letzten zwei Wochen so geballt erfahren durfte.

      Tim ist glücklich und zufrieden sofort eingeschlafen. Ich bin unglaublich froh darüber. Er hat sich verändert. Er kann neben mir schlafen – ein Umstand, den er bei unserem ersten Zusammensein überhaupt nicht im Griff hatte. Ich atme deswegen erleichtert auf. In meinem Kopf hatte sich schon die Angst breitgemacht, dass Tim die ganze Nacht über mich herfallen will, erneut von dieser erschreckenden Unruhe geplagt. Aber scheinbar hat er sich etwas mehr im Griff oder er ist sich meiner jetzt wirklich sicher.

      Morgenmittag fährt er wieder. Er muss diesmal zu einem neuen Auftritt nach Stuttgart und fährt einige Stunden. Wir haben beschlossen, dass ich noch einen Tag die Schule schwänze.

      Einen Augenblick überlege ich, ob ich aufstehen soll, um mein Handy anzuschalten. Aber ich habe Angst davor. Angst vor der Welt, die da draußen wahrscheinlich wütend herumtobt, weil ich mich den ganzen Tag bei niemandem gemeldet habe.

      So beschließe ich, es nicht zu tun. Wenn Tim morgen weg ist, werde ich mich der Welt wieder stellen.

      Ein dumpfer Schmerz beginnt sich in mir auszubreiten und ich muss mit aller Kraft die Sehnsucht unterdrücken, die mich immer wieder packt, wenn ich nicht von Tim abgelenkt werde. In mir baut sich eine schleichende Angst auf, was mit mir passiert, wenn er nicht mehr da ist und ich auf mich allein gestellt sein werde.

      Ich will lieber nicht darüber nachdenken.

      Am Morgen werde ich von Tims meinen Körper erkundenden Händen und Lippen geweckt. „Guten Morgen, meine Sonne“, flüstert er und ich weiß erst gar nicht, was los ist. Ich sehe erst Tim verwirrt an und dann das Zimmer, in dem ich liege.

      Mir fällt ein, dass ich gestern mein Leben geändert habe. Und zwar von Grund auf.

      Fassungslos schließe ich die Augen.

      Marcel fehlt mir plötzlich so unglaublich, dass mir die Luft wegbleibt. Ich muss mir ins Gedächtnis rufen, dass er nun seine Sabrina hat und ich ihn sowieso ständig nur betrogen habe. Also nichts, was eine weitere Zukunft möglich macht. Und bei dem Gedanken an Betrügen baut sich Erik vor mir auf und ich spüre die gleiche Sehnsucht in mir hochkriechen und muss mir vor Augen halten, dass er ein Leben in trauter Zweisamkeit nicht will.

      „Hey, alles klar?“, fragt Tim und schiebt sich dichter an mich heran. „Du wirkst verwirrt und so unglaublich erotisch. Schenkst du mir noch einen Augenblick, bevor wir uns ein schönes Frühstück gönnen?“

      Er wartet gar nicht erst eine Antwort ab und schiebt sich auf mich. Sein heißer Körper auf meinem und seine Küsse lassen mich nicht völlig kalt. Für mich ist es ein Weg, noch einige Zeit der unvermeidlichen Gedankenflut zu entkommen, die mich schon wieder zu erdrücken droht.

      Ich lege meine Arme um ihn und lasse meine Fingerspitzen über seinen Rücken laufen. Meine Beine um seine Hüfte schlingend, gebe ich ihm nur die Möglichkeit, sich zu bewegen, wenn ich es will und ich flehe meinen Körper an, mir zu zeigen, dass er mit der neuen Situation einverstanden ist.

      Seine Küsse werden drängender und als ich ihm wieder Bewegungsfreiheit lasse, schwört er mir ewige Liebe und das mir alles gehört, was ihm gehört.

      Ich denke mir verdutzt … so leicht ist das? Was hat man für eine Macht! Ich war mir dessen nie bewusst und nun habe ich eine mietfreie Wohnung mit allem Drum und Dran.

      Trotz dem schalen Nachgeschmack, den Tim hinterlässt, als er sich keuchend von mir runterwälzt, versuche ich wenigstens darin einen Wert zu sehen. Aber unweigerlich drängt sich mir ein Satz auf - Sex ist nichts ohne Liebe.

      Ich lege mich auf die Seite, streiche Tim durchs Gesicht und schenke ihm ein Lächeln, das ihm zeigen soll, dass ich ihn mag. Irgendwo regen sich zumindest dahingehend einige kleinere Gefühlsregungen, die mich aufatmen lassen.

      Ich bin innerlich noch nicht so tot, wie ich befürchtete.

      Beim Frühstück erzählt Tim erneut von seiner Tour und natürlich auch, dass er es nicht abwarten kann, das nächste Mal zu mir zu kommen.

      „Ich bin so froh, dass ich die Wohnung behalten habe. Wenn du irgendetwas brauchst, rufst du mich an. Ich kann dir auch dein Handy schicken. Ich habe es immer noch. Oder willst du einen Festnetzanschluss? Den kann ich dir einrichten lassen. Du könntest auch mit dem Führerschein anfangen. Dann hast du ihn bald. Dann kaufen wir dir einen kleinen Wagen und du brauchst nicht mehr mit dem Bus fahren.“

      Ich sehe ihn fassungslos an. „Tim, bitte! Es reicht, dass ich die nächsten zwei Monate ein Dach über dem Kopf habe und um alles andere kümmere ich mich schon. Ich brauche keinen Festnetzanschluss. Ich habe mein Handy und du weißt, wann du mich erreichen kannst. Ansonsten schreib mir eine SMS, wann ich dich anrufen soll oder du mich anrufen willst. Und meinen Führerschein mache ich, wenn ich das Geld dafür zusammen habe. Jetzt mache ich erst mal die Schule weiter und fertig. Bitte mach dir um mich keine Gedanken.“

      Er sieht mich bestürzt an.