Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit


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war nicht wütend auf dich, sondern auf mich“, raunt er, dreht die Musik auf, die New Years Day von U2 anlaufen lässt und lenkt den schweren Wagen mit schwindelerregender Geschwindigkeit durch die Kurven, dass ich blass werde.

      Ich frage nicht weiter nach, um ihn nicht abzulenken. Die Strecke ist mörderisch.

      Geschmeidig zieht der Mustang die Straße hinunter und Erik grinst zufrieden. „Angst?“, ruft er mir durch die laute Musik zu und ich antworte ihm mit ernstem Blick, aber nicht laut genug, dass er es verstehen kann: „Nur, dass nun alles vorbei ist.“ Um meinen Magen lässt die Hand, die ihn zusammendrückt, etwas locker, jetzt wo ich meine Gedanken ausgesprochen habe.

      Erik konnte mich nicht verstehen und grinst immer noch wie ein Kind bei seinem Lieblingsspiel.

      Ich sehe aus dem Seitenfenster und mir ist zum Heulen.

      Als der Berg überstanden ist, werden wir von einem langsam fahrenden Fiat ausgebremst. Erik macht ein verdrossenes Gesicht und schimpft.

      Ich sehe weiter aus dem Seitenfenster und kämpfe immer noch mit der Niedergeschlagenheit, weil mir klar wird, dass ich es kaum ertrage, wenn Erik mich nicht mehr will.

      „Carolin? Alles in Ordnung?“, fragt der plötzlich und macht die Musik leiser. „Ist dir nicht gut?“

      Ich nicke nur und schlucke. Wie kann mich etwas so treffen, dass sowieso nicht sein soll und darf?

      Erik fährt an den Straßenrand und umfasst mein Kinn, sich in seinem Sitz zu mir herüberbeugend. „Hey, ist dir schlecht?“, fragt er mit so sanfter Stimme, dass ich schlucken muss, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Ich schüttele den Kopf.

      „Was ist es dann?“, fragt Erik und sieht mich verunsichert an. „Ist es, weil wir wieder miteinander geschlafen haben?“

      Ich nicke und er macht ein betroffenes Gesicht. Aber mir ist klar, dass ich etwas anderes meine als er. „Warum hast du mich beschimpft?“, frage ich leise. Ich habe Angst vor seiner Antwort.

      Er lässt mein Kinn los und setzt sich zurück, mich ungläubig anstarrend. „Ich sagte doch, ich habe dich nicht beschimpft“, raunt er. Scheinbar sagt ihm mein Blick, dass ich das anders sehe und er sieht auf seine verletzte Hand, die er auf das Lenkrad des Mustangs legt.

      „Tut mir leid. Ich meinte das nicht so“, murmelt er verlegen. „Ich war nur so irritiert …“

      Da ich wohl immer noch so aussehe, als würde ich gleich aussteigen, setzt er nach, so leise, dass ich ihn nur schwer verstehen kann: „Das ist so anders!“ Er sieht aus dem Frontfenster und das Brummen des Motors überspielt fast die Musik. „Es ist immer so ein Kampf, wenn ich einen dieser One-Night-Stands eingehe. Bei dir ist alles so leicht. Du bringst mich sofort hoch und ich brauche nichts zu tun … es überkommt mich einfach. Das ist echt verwirrend.“

      Ich bin mir nicht sicher, ob ich verstehe, was er da sagt. Aber es muss damit zu tun haben, dass es diesmal keinen langen Stand-by-Modus gab. Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist. So aufgebracht wie er war, wohl eher schlecht. Seine Worte jetzt lassen mich aber diesbezüglich unsicher werden.

      Da ich nichts sage und ihn immer noch verunsichert ansehe, murmelt er: „Vielleicht, wenn ich das alles etwas analysiert habe, kann ich dir sagen, was los ist.“

      Analysiert? Oh Mann. Sein Psychodenken. Dann soll er das mal analysieren.

      Er zieht den Wagen erneut auf die Straße und dreht die Musik etwas lauter. Aber ich komme nicht aus dem Loch heraus, in das mich sein Wutanfall auf dem Berg geworfen hat. Und dass es mich so trifft, dass ich Erik nicht wirklich haben kann, das erschreckt mich zutiefst. Was ist mit mir und Marcel? Was mit meiner Liebe zu ihm?

      Erik merkt das und strengt sich an, die lockere Stimmung wieder heraufzubeschwören. Er macht Witze und wirkt gar nicht so, als würde ihn etwas bedrücken. Aber warum soll ihn auch etwas bekümmern, was nicht viel Bedeutung für ihn hat?

      Mich quält das Ganze aber, und noch mehr der Gedanke, dass ich nicht weiß, was nun wirklich los ist … mit mir … mit ihm … mit diesem seltsamen, unwirklichen, unerträglichen Arrangement.

      Zu meiner Überraschung kommen wir an einem Gasthaus an, vor dem Daniels BMW steht.

      Ich sehe Erik fragend an und er lächelt wissend. „Die sind schon da! Hoppla! Unser Abstecher ins Grüne hat mich meinen Sieg gekostet.“ Er lacht leise und steigt aus.

      Ich steige auch aus. Ich bin froh, gleich Ellen zu sehen. Sie muss mich auf andere Gedanken bringen, sonst drehe ich noch durch.

      Erik kommt zu mir und nimmt meine Hand. Mit einem seltsamen Blick zieht er mich hinter sich her. Ich kann den nicht deuten. Aber er lässt meine Hand nicht los, als wir durch den Gang in den Gastraum gehen und auf die Theke zusteuern, an der Daniel und Ellen uns grinsend entgegensehen.

      Aus einer Gewohnheit heraus will ich meine Hand zurückziehen, aber Erik hält sie eisern fest. Ich sehe ihn verwirrt an.

      Daniel und Ellen entgeht diese Geste der Zusammengehörigkeit nicht und Ellen zwinkert Daniel zu. Ich bin froh, dass sie keine anzügliche Bemerkung macht.

      „Hey Alter, was war los? Ist dir dein Mustang unterwegs verreckt?“, fragt Daniel und lacht.

      Erik lächelt zurückhaltend und schiebt mich auf einen Hocker neben Ellen. Er bestellt für uns beide einen Cappuccino. Daniel und Ellen haben ihre schon vor sich stehe.

      Statt sich selbst auf einen Hocker zu setzen, bleibt er hinter mir stehen und lässt einen Arm um meine Hüfte gleiten. Wieder eine Geste, die mich verunsichert und Ellen und Daniel bestimmt nicht entgeht.

      Ich bin einen Augenblick versucht, seinen Arm wegzuschieben, nur um den Anschein zu wahren, dass da nichts zwischen uns ist. Aber ich kann es nicht. Diese kleinen Gesten rühren mein Herz und beruhigen es. Es hat die letzten Minuten so gelitten, dass Eriks zur Schau gestellte Zuneigung es aus der Untiefe, in die es versunken war, langsam wieder ans Licht befördert.

      Ich trinke meinen Cappuccino und versuche Ellen zuzuhören, die mir von der tollen Gegend erzählt, die sie gerade durchfahren haben und die nun vor uns liegt, wie ich erfahre. Scheinbar fahren Ellen und Daniel jetzt unsere Strecke zurück und wir ihre. Aber Eriks Arm um meinen Bauch zieht meine ganze Aufmerksamkeit auf sich und brennt an den Berührungspunkten wie heißes Eisen.

      „Nah, viel Spaß“, raune ich nur, um etwas den Anschein zu geben, etwas von dem mitzubekommen, was geredet wird.

      Erik verstärkt den Druck auf meine Hüfte und schiebt seine Hand auf meinen Oberschenkel, um sie dort liegen zu lassen. Dabei sagt er: „Oben auf dem Berg ist ein schönes Plätzchen. Lohnt sich anzuhalten.“ Er legt seine Hand erneut auf meinen Bauch und drückt mich kurz an sich und dabei schenkt er mir ein schelmisches Lächeln.

      Ich kann nur hoffen, dass ich nicht rot werde.

      „Du willst nur, dass du diesmal gewinnst“, antwortet Daniel und ich denke mir: „Hast du eine Ahnung.“

      Mir wird klar, wie leichtfertig Erik seinen Sieg verschenkte und er scheint es nicht eine Sekunde zu bereuen.

      Ich werde ruhiger und in mir steigt das Gefühl der Sicherheit hoch, dass alles zwischen uns doch noch in Ordnung ist.

      Zwischen uns … aber nicht in meinem Leben. Was mache ich hier überhaupt?

      Mir wird plötzlich klar, dass ich mich wirklich auf Erik mit all seinen Verrücktheiten, seiner durchgeknallten Art, seinem Kampf mit seiner Vergangenheit, seinen Drogengeschäften, seinem Drogenkonsum und seiner seltsamen Art der Zuneigung einlasse. Was ist mit Marcel? Was mit Tim? Was mit dem Fluch des Alchemisten? Erik passt noch weniger ins Bild als Marcel.

      Ich beschließe, dass ich einige Zeit brauche, um mir über alles klar zu werden. Wenn ich Erik doch nur dazu bringen könnte, mir diese Zeit einmal zu lassen.

      Als wir wieder in den Mustang steigen und Ellen mit Daniel davonfährt, sehe ich Erik an. Sofort spüre ich ein warmes Rauschen in meinem Körper und muss mir eingestehen, dass ich