Madlen Schaffhauser

Little Pearl


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      Seine Schwester?

      Für einen Moment starre ich ihn fassungslos an, bin überrascht. Nicht weil Cee seine Schwester ist, sondern weil ich ein paar Sekunden eifersüchtig war.

      Ich muss fast lachen. Ich und eifersüchtig, das ist lächerlich und unmöglich. Ich will mich nicht verlieben und sicher nicht binden. Nicht mehr.

      Nach kurzer Überlegung legt Evan eine Hand auf meinen unteren Rücken. Genau wie das letzte Mal. Und genau wie damals, strahlt seine kleine Berührung Geborgenheit und Wärme aus. Ich wünschte, er würde seine langen Finger für immer da liegen lassen.

      »Lass uns in mein Büro gehen. Dort können wir uns in Ruhe unterhalten.« Evan führt mich in sein Büro, in dem nach wie vor ein großes Chaos herrscht. Das letzte Mal meinte er, es gleiche mehr einer Abstellkammer als einem Büro. Da kann ich nur zustimmen.

      »Wenn du mir einen Job geben würdest, würde ich als erstes dein Büro auf Vordermann bringen.«

      Er sieht sich in dem kleinen Raum um, in dem sich so viele Kartons türmen wie in einem Schuhladen. »Das wäre gar nicht mal so eine schlechte Idee. Nimm doch Platz.« Er zeigt auf die Couch, während er sich den alten Stuhl unter dem improvisierten Tisch hervorzieht und ihn gegenüber dem Sofa hinstellt. Als sich Evan auf den Stuhl setzt, gibt der ein geräuschvolles Knarzen von sich. »Hast du irgendwelche Bewerbungsunterlagen dabei?«

      »Nein, es war eine ganz spontane Entscheidung«, sage ich was nur zur Hälfte der Wahrheit entspricht. Ich lege die Tasche auf meine Beine, als ich mich setze und warte gespannt ab, was Evan als Nächstes sagen wird. Wird er mich darauf hinweisen, dass es ohne Bewerbungsunterlagen schwierig werden wird, Arbeit zu finden und mich fortschicken? Oder gibt er mir trotzdem eine Chance?

      Ich hoffe so sehr auf Letzteres. Seit einem Jahr reise ich in den Staaten herum, auf der Suche nach einem Platz, an dem ich so etwas wie Geborgenheit empfinde. An dem ich ein neues Leben aufbauen kann. In Little Pearl, ausgerechnet in einem Kaff, wo jeder jeden kennt, fühle ich mich willkommen.

      »Dann erzähl mal, warum du diesen Job haben willst.« Er spielt mit dem Handtuch, das er die ganze Zeit um seinen Hals hatte und das jetzt auf seinem Schoß liegt, dabei sieht er mich abwartend an.

      »Ich kann keinen genauen Grund nennen«, beginne ich zögernd. Nervös nestle ich an meiner Tasche herum, mein Blick ist auf das schwarze Kunstleder geheftet. »Ich bin längere Zeit herumgereist und habe hie und da Arbeit angenommen, um meinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Ich habe keinen Job aus Freude gemacht. Es war immer nur ein Mittel zum Zweck.« Überrascht, weil ich so ehrlich zu Evan bin, stoße ich hörbar die Luft aus. »Aber ich mache meine Arbeit gut und mit großer Sorgfalt«, füge ich schnell an. Ich will nicht, dass er glaubt, ich würde die Sache nicht ernst nehmen, oder nur dem Geld wegen.

      Evan schweigt eine Zeitlang. Als ich schon glaube, das wars, stellt er mir weitere Fragen. »Hast du eine Lehre gemacht? Vielleicht aufs College gegangen oder so?

      Innerlich krümme ich mich. Das ist kein einfaches Thema für mich. Doch wenn ich die Gelegenheit bekommen will, hier zu arbeiten, muss ich Evan ein wenig entgegenkommen. »Ich war auf dem College, aber ... ich habe es vor zwei Jahren abgebrochen.«

      »Warum?«

      Ich lecke mir über die Lippen, suche nach einer Erklärung, die der Wahrheit am nächsten kommt. »Es stimmte nicht mehr für mich.«

      Ich halte angespannt die Luft an, während ich auf seine nächste Frage warte.

      »Wie lange hättest du noch machen müssen?«

      »Ein knappes Jahr.« Evan nickt, seiner Mimik ist deutlich anzusehen, was er von einem Collegeabbruch hält. Weshalb ich das Gefühl bekomme, mich zu verteidigen. »Ich habe nicht aufgehört, weil ich keine Lust mehr hatte. Ich ... es ging einfach nicht mehr.« Er soll nicht glauben, ich würde das Handtuch werfen, sobald ich keine Lust mehr habe.

      »Wie alt bist du?« Diese Frage verblüfft mich nur kurz.

      »Zweiundzwanzig.«

      »Seit zwei Jahren reist du also herum und suchst dir ab und an eine Arbeit?« So wie er es sagt, klingt es fast etwas vorwurfsvoll. Oder ist er einfach nur überrascht?

      Es fällt mir schwer in seinem verschlossenen Gesicht zu lesen.

      Eine unangenehme Stille breitet sich aus, in der ich überlege, welchen Weg ich einschlagen soll. Ich entscheide mich für die Wahrheit, wobei ich einen Teil meines Lebens auslasse.

      Mit einem Räuspern hebe ich den Kopf, um Evan direkt in die Augen zu blicken. Es ist mir wichtig seine Reaktion zu sehen. »Nicht ganz. Ich war erst eine Zeitlang in einer Klinik.«

      »Drogen?«

      Ich schüttle den Kopf. »Nicht in so einer. Ich war in einer Psychiatrie.«

      Er lacht nicht, wie ich im ersten Moment erwartet habe. Evan sieht mich einfach nur an. Vermutlich versucht er dadurch herauszufinden, ob ich ihm einen Witz auftischen will. Leider ist dieser Abschnitt meines Lebens kein Scherz. Außer meiner Familie und meinen engsten Freunden weiß niemand von meinem Jahr in der Psychiatrie. Eigentlich wollte ich es auch niemandem sonst erzählen. Und bestimmt nicht jemandem den ich kaum kenne. Aber Evan hat etwas an sich, das mich dazu bringt, ein wenig aus mir herauszukommen.

      »Und weswegen? Du machst keinen irren Eindruck auf mich.«

      Wenn du mich vor der Einlieferung gesehen hättest, würdest du jetzt etwas anderes behaupten. »Ich hatte eine Weile Probleme.«

      »Gibt es einen Grund dafür?«

      Ich knete verzweifelt die Hände, die Zeigefinger schmerzen schon. »Ich möchte nicht darüber reden.«

      Evan beugt sich nach vorn, stützt die Arme auf die Beine, wodurch er mir gefährlich nahekommt. »Du glaubst also, dass du trotz deiner ausweichenden Antworten einen Job bekommst?«

      »Ich wollte es versuchen. Eine andere Möglichkeit habe ich nicht.«

      »Ich weiß nicht, ob ich das tun kann.« Seine bedrückte Miene brennt sich in meinen Blick.

      Ich nicke. »Das verstehe ich«, sage ich, obwohl ich hoffe, er möge mir Arbeit geben, wenngleich es bloß Kloschüssel putzen wäre. Denn auf einmal weiß ich, ich will – muss - in seiner Nähe sein.

      »Nehmen wir mal an, ich hätte einen Job. Wie lange gedenkst du, ihn zu machen? Eine Woche? Zwei?« Er klingt ein wenig misstrauisch.

      Wieder befeuchte ich mit der Zunge meine Lippen. Das mache ich oft, wenn mir nicht gerade eine geeignete Antwort einfällt oder nervös bin. Dann zucke ich mit der Schulter. »Mal schauen, wie wir miteinander auskommen?«

      Er schmunzelt leicht, als er meine Antwort hört, und für einen Moment verschwindet der sorgenvolle Ausdruck, der bereits in seinen Augen stand, als ich ihn bei den Kraftübungen beobachtet habe.

      »Du hättest unterschiedliche Arbeitszeiten.«

      »Kein Problem.«

      »Du wärst, ich benutze jetzt mal deine Worte: ›So etwas wie ein Mädchen für alles‹.«

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