Sigrid Kraft

Ardeen – Band 10 | Teil 1


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Jawohl, das ist genau das, wonach ich gesucht habe. Wenn die anderen Bücher alle so interessant sind, dann habe ich hier einen wahren Schatz entdeckt. Doch zunächst las er weiter. Aber weil dies im Stehen äußerst unbequem war, ging er hinüber zu der Truhe und setzte sich auf den halbrunden Deckel. Der war mit vier Eisenbändern überspannt und alle Handbreit ragten die Köpfe von Nieten hervor. Obwohl das Buch fesselnd war, rutschte Eryn bald von einer Seite zur anderen, doch es gelang ihm nicht, eine bequeme Position zu finden. Schließlich hob er den Kopf und blickte zu dem Bett hinüber.

      Ich könnte mich hinlegen. Es wirkt geradezu einladend und ist sicherlich unglaublich bequem. Also erhob er sich, durchquerte mit drei großen Schritten den Raum, bis er dann vor dem Bett stand.

      Es schien ihn verführerisch zu rufen: ‚Leg dich hin und schlafe eine Runde. Das hast du dir verdient, Eryn. Du hast heute schon so viele Schätze entdeckt und der Tag war lang. Eine kleine Rast wird dir guttun.‘

      Doch dann blitzte eine Ermahnung des gestrengen Meisters Raiden in seinem Kopf auf: ‚Schlafen ist etwas für Schwächlinge. Ein wahrer Meister übt sich in Disziplin, wenn er die Kunst studiert.‘

      Er ist nicht hier und kann mich somit auch nicht tadeln. Die Verlockung des frisch gemachten Bettes war ziemlich groß und Eryn war kurz davor, sich einfach auf die weiche Bettdecke fallen zu lassen. Aber dann siegte die Disziplin über diese wohlige Lust, sich einfach gehen zu lassen. Denn Meister Raiden hatte durchaus recht, auch wenn Eryn das in diesem Moment niemals zugegeben hätte.

      Ich nehme mir das Kissen und lege es auf die Truhe, entschied er und schon streckte er seine Hand aus. Aber in dem Moment, in dem er das Kissen berührte, fiel etwas herunter und ein äußerst harter Schlag traf seinen Arm. Dabei wurde er zu Boden gerissen. All das ging unglaublich schnell und Eryn brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, was da gerade passiert war. Eine Stachelfalle in der Größe des Bettes war von oben heruntergefallen und das, obwohl Eryn zuvor alles genauestens abgesucht hatte. Dabei war ihm nichts Außergewöhnliches aufgefallen. Aber nun lag dieses Gitter mit seinen ellenlangen scharfen Spitzen gut sichtbar auf dem Bett, während ein paar einzelne Daunenfedern noch durch die Luft segelten. Blut lief Eryns Arm herunter, doch es hinterließ keinerlei Flecken und das Bettzeug hatte immer noch den Glanz frisch gewaschener Wäsche. Das schwere Gitter hatte seinen Arm gleich an drei Stellen durchbohrt. Ein spitzer Dorn steckte mitten in der Handfläche, ein zweiter im Unterarm und kurz über dem Ellbogen war der letzte durch seine Haut gedrungen. Gebrochen schien jedoch nichts zu sein, obwohl der Metallrahmen hart auf seinen Oberarm geprallt war, wo sich mittlerweile eine ganz schöne Beule gebildet hatte.

      Trotz des Überraschungseffekts behielt Eryn einen kühlen Kopf. Er stoppte zunächst die Blutung und betäubte seinen Arm. Wann habe ich meine Schilde fallen gelassen? Hier ist eine subtile Manipulation am Werk und ich habe nicht das Geringste gemerkt.

      Um sich zu befreien, wollte er das Gitter magisch anheben. Aber er merkte sofort, dass da etwas nicht stimmte, denn seine Magie wurde umgehend absorbiert.

      Welcher kranke Geist denkt sich so etwas aus? Nicht auszudenken, wenn ich mich tatsächlich auf das Bett gelegt hätte. Dann wäre ich jetzt mit Sicherheit tot.

      Just in dem Augenblick erschien neben dem Bücherregal eine schlanke Gestalt. Sie trug eine Robe und hatte die Kapuze über den Kopf gezogen, sodass man ihr Gesicht nicht erkennen konnte. Eryn scannte sofort und seine Magie verriet ihm, dass dies nur ein Trugbild war.

      Nicht jetzt auch noch eine dieser dämlichen Illusionen.

      „Du kleiner dreckiger Magier mit dem Kreis Gold. Hast du wirklich gedacht, du könntest mich so einfach bestehlen?“ Die Stimme war eindeutig männlich, doch sie gehörte weder Ador noch Prinz Raiden. Darum wunderte sich Eryn:

      „Hä, wer bist du?“ Doch der Fremde ignorierte die Frage gänzlich und fuhr einfach fort:

      „Widerwärtiges Geschmeiß aus Elverin ist in meine Falle getappt und hat seine gerechte Strafe erhalten. Springst hin und her wie ein Floh, bis man dich fängt und zwischen zwei Fingern zerdrückt. Nun schläfst du gut in diesem Bettchen und wirst keinen anständigen Magier mehr bestehlen.“

      Er denkt, ich wäre tot. Falsch, diese Illusion denkt nicht, sondern spult lediglich einen Text ab. Irgend so ein krankes Hirn hat hier eine Falle für einen Magier aufgestellt und verhöhnt nun auch noch den Toten.

      „Verrotte in der Hölle, elender Jünger Elverins. Sie springen durch Tore und schnüffeln überall herum. Aber ich bin klüger als diese Kakerlaken. Ich denke, wie sie denken und dann locke ich sie in eine Falle.“ Theatralisch schlug der Mann die Kapuze zurück und rief:

      „Ich, der große Meister Tiundor!“

      Zum Vorschein kam ein ausgezehrtes Gesicht, eingerahmt von einem langen schwarzen Vollbart. Durch die Mitte des Bartes zog sich eine einzelne weiße Strähne. Die Lippen waren dünn und darüber befand sich eine breite Nase. Unter buschigen Augenbrauen saßen hellbraune Augen und glitzerten irrsinnig. Die langen schwarzen Haare begannen nun in alle Richtungen abzustehen, während die Illusion die Arme hob und wiederholte: „Ich, der große Meister Tiundor!“

      Scheiße. Bei dem Namen klingelte etwas in Eryns Gedächtnis. Tiundor, war das nicht dieser verrückte Magier aus Draegnok? Zumindest kann ich sicher sein, dass der inzwischen tot ist, auch wenn ihn seine gehässige Falle überdauert hat.

      „Ich, der große Meister Tiundor!“

      Die Illusion war nun in eine Endlosschleife der Lobpreisung seiner selbst übergegangen und Eryn ignorierte die harmlose Zauberei. Ich muss mich befreien. Dabei ist äußerste Vorsicht angesagt. Standard nach Lehrbuch wird hier nicht funktionieren. Das habe ich zum Glück schon vorhin bemerkt und der nette Meister Tiundor hat mir diese Vermutung gerade eben auch noch bestätigt. Das Gitter absorbiert magische Energie, um dann einen Zauber zu entfesseln. Vermutlich eine Explosion. Zuerst aufspießen und dann grillen, solch ein teuflischer Plan passt zu diesem Verrückten. Also versuche ich es mit Negation und Absorption.

      Eryn löste so die Struktur des Eisens auf und sammelte sie weg, bis die Dornen derart ausgedünnt waren, dass sie wie verrottetes Holz brachen und er seinen Arm endlich herausziehen konnte. Normalerweise nutzte man diese Methode nicht, um sich zu befreien, da in den Wunden dann vermehrt kleine Splitter zurückblieben. Aber darin sah Eryn im Augenblick das geringere Übel. Erschöpft saß er nun auf dem Boden und heilte seine Wunden. Als er damit fertig war, ballte er die Hand zur Faust und öffnete sie wieder, um die Funktion zu überprüfen. Die neue Haut seines geheilten Armes spannte und die Muskeln fühlten sich schwach an. Aber das war nichts Ungewöhnliches.

      Ich kann von Glück sagen, dass das nur Fleischwunden waren.

      „Ich, der große Meister Tiundor!“, tönte es immer noch beständig und die Lobpreisung zehrte an den Nerven.

      Zeit, diesen Geist loszuwerden. Eryn schickte eine Negation auf den Weg, doch die Illusion zeigte sich davon reichlich unbeeindruckt.

      Dann soll er halt weiter rumkrakeelen. Zumindest kann er mit seinen Worten niemanden verletzen. Und dann ertappte Eryn sich dabei, wie er schon wieder zu dem Bett hinübersah. Obwohl das Stachelgitter Decke und Kissen durchbohrt hatte, spürte er weiterhin einen gewaltigen Drang, sich einfach hinzulegen.

      Diese Manipulation ist unglaublich. Ich kann den Zauber nicht einmal ansatzweise ausmachen und doch ist er da. Nicht auszuschließen, dass es hier noch mehr Fallen gibt. Darum schnappe ich mir jetzt die Beute und haue zügigst ab.

      Die Bücher nahm er einzeln von dem Regal und überprüfte jedes, bevor er sie vor sich aufstapelte. Dann legte er die Kleidung aus der Truhe gleich daneben. So, bereit.

      Wie gewohnt baute sich die Tormagie auf. Dann zog er das Tor über sich und die Beute.

      Er hätte nun neben der Säule herauskommen müssen, doch stattdessen blickte er wieder direkt auf das Bett und neben ihm rief die Illusion:

      „Ich, der große Meister Tiundor!“

      Was? Aber ich habe doch ganz sicher ein anderes Ziel initialisiert. Oder etwa nicht?

      Er