Isabella Kubinger

Raunen dunkler Seelen


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      Dann wurde alles schlagartig schwarz. Schwindel überfiel mich und ich stolperte hilflos über meine eigenen Beine, die bis zu den Knien im matschigen Schnee steckten. Ungeschickt fing ich mich mit den ausgestreckten Armen auf und griff in den kalten, nassen Schnee. Hätte schlimmer kommen können. Hinter mir erklangen belustigtes Auflachen und idiotische Kommentare von meinen beiden Freunden. Natürlich war ihnen nichts entgangen und wenn ich ehrlich war, würde ich auch mit ihnen mitlachen, wenn wir nicht gerade alle gemeinsam in unseren Tod marschieren würden.

      „Halt! Stehen bleiben!“, schrie ich wie ein Verrückter. Eilig rappelte ich mich auf, nur um geradewegs in die verdutzten Gesichter der morodekischen Krieger zu starren. Schnee fiel in kleinen Klumpen aus meinen längeren Haarsträhnen und ließ mich nicht wirklich wie ein ernstzunehmender Soldat aussehen. Im Gegenteil, ich schien mehr einem obdachlosen Schneemann gleichen, dem etwas Zuneigung nicht schaden würde.

      „Was ist los? Wird es unserem verwöhnten Prinzchen zu anstrengend?“, erklang Yanns vor Verachtung triefende Stimme zu mir herüber. In seinen wild funkelnden Augen lag eine gewisse Angriffslustigkeit, die mir den Magen umdrehte. In ihm hatte ich definitiv keinen Freund gefunden. Doch irgendetwas anderes glänzte ebenfalls kurz auf. Dieses Etwas war jedoch wieder so schnell verschwunden, wie es gekommen war. Daher konnte ich auch nicht sagen, ob es etwas zu bedeuten hatte.

      „Yann, behalte deine Kommentare für dich.“ Genervt rollte der morodekische Anführer seine Augen und wandte sich nun ganz mir zu. „Was hat dich veranlasst, uns zum Stehenbleiben zu bringen?“ Man sah ihm an, dass er trotz der eisigen Maske starke Schmerzen erlitt, die durch seine Schusswunde verursacht wurden. Wahrscheinlich hatte sich die Wunde mittlerweile sogar entzündet. Halvar sollte bei der nächstbesten Möglichkeit mal danach sehen.

      Fieberhaft überlegte ich, wie ich ihnen nun diese verzwickte Situation erklären sollte, nur fiel mir einfach keine passende Beschreibung dafür ein. Niemand würde nachvollziehen können, wie es war, elektrische Impulse anderer lebenden Wesen zu verspüren. Oder als körperloser Geist mit dem Wind zu ziehen. Wäre ich in deren Haut, würde ich mir kein Wort glauben.

      Ohne einer Vorwarnung veränderte sich Yanns Haltung schlagartig. Alles geschah gleichzeitig. Er riss sich die dicken Schichten Stofffetzen vom Leib und zückte zwei spitze Dolche, welche er nur einen Wimpernschlag später durch die Luft wirbelte. Eine scharfe Klinge bahnte sich geradewegs ihren Weg auf meine Brust zu, während die andere Waffe geradewegs auf Corvin zuraste. Ich wusste nicht, wie mir geschah, lag ich auch schon wieder mit dem Gesicht im kalten Weiß. Über mir spürte ich das massive Gewicht einer weiteren Person. Jemand hatte sich gegen mich geworfen. Sich vor mich geschmissen.

      Stöhnend rollte sich dieser Jemand von meinem Rücken und ließ sich ebenfalls in den Schnee neben mich gleiten. Währenddessen erklangen weitere frustrierte Ausrufe und unverständliche Befehle. Yann rief seine Leute. Corvin hatte sich nie gegen uns gewendet. Die schwerwiegende Erkenntnis fraß sich schmerzhaft in meinen pochenden Kopf. Es war von Anfang an der schlechtgelaunte morodekische Soldat gewesen. Ich hätte es wissen müssen oder zumindest erahnen.

      „Kommt. Steht auf. Wir müssen hier weg“, erklang Halvars panische Stimme. Ohne auf eine Antwort zu warten, griff er mir unter die Arme und zog mich auf die Beine zurück. Etwas überfordert, schüttelte ich erneut weiße Schneeklumpen von meinen fransigen Kleidungsfetzen. Auch Aaron, welcher sich, ganz wie es aussah, auf mich geworfen hatte, wurde ebenfalls aufgezogen. Nur im Gegensatz zu mir fluchte dieser unter zusammengebissenen Zähnen. Besorgt scannte ich seinen Körper nach der geworfenen Klinge ab. Tatsächlich ragte sie aus seinem linken Schulterblatt heraus und färbte bereits den verwaschenen Stoff dunkelrot.

      „Tut mir leid, die muss raus.“ Keine zwei Schritte und ich stand hinter ihm. Je schneller, desto besser. Sauber schnell zog ich den silbernen Dolch aus seinem Fleisch, was meinen besten Freund nur noch mehr zum Fluchen und Toben brachte. Halvar hingegen riss sich ein Stück Stoff von seinem weichen Umhang und band es Aaron um die Schulter. „Das müsste vorerst reichen“, murmelte Halvar.

      Behutsam legte ich mir seinen unbeschadeten Arm um meine Schulter und zog Aaron mit mir. Hinter uns ertönte lautes Kriegsgeschrei. Doch da wir dank mir angehalten hatten, bestand weiterhin ein nennenswerter Vorsprung. Zumindest mit etwas Glück. Jedoch stellte sich fluchtartiges Laufen bei diesen schweren Schneemassen als eine anstrengende Herausforderung heraus. Auch unseren bewaffneten Feinden schien es nicht besser zu ergehen. Ein kurzer Blick über die Schulter reichte, um mir zu bestätigen, dass Yann vor Wut schäumend versuchte, uns einzuholen. Keine Chance. Egal wie sehr er uns mit seinem brennenden Blick töten wollte, seine metallischen Klingen würden die Distanz zwischen uns nicht überbrücken können.

      Befehle um Befehle erklangen, nur erreichte uns kein einziger der bewaffneten Männer. Ich spürte meine verkrampften Muskeln protestieren, doch ich ließ nicht locker. Nicht jetzt. Zu dritt stapften wir uns unseren Weg in Sicherheit. Es dauerte Stunden, bis unsere Verfolger aufgaben, und uns ziehen ließen. Wahrscheinlich machte es auch einfach keinen Sinn, uns weiter zu verfolgen, da wir geradewegs auf ein gewaltiges Wintersturmgebiet zuliefen. Unsere Überlebenschancen waren damit drastisch gesunken und es war dennoch die einzige Möglichkeit gewesen. Was mit Corvin und Eleonora geschehen war, konnte ich nicht sagen. Mir war erst viel zu spät aufgefallen, dass sich keiner von beiden an unserer Seite befand. Ich konnte nur hoffen, dass sie noch lebten, obwohl mir das bei Erinnerung an Yanns vom Wahnsinn zerfressener Fratze als eher unwahrscheinlich erschien.

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