Georgian J. Peters

Kettenwerk


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Bruchteil von Sekunden löste er seinen Blick von dem dunklen Fenster.

      Ungläubig und ratlos zugleich betrachtete er Kessie, während in seinem Kopf der Wundschmerz tobte: „Aber das kann doch gar nicht sein … eher ist es doch so, dass hier draußen die Zeit stehen bleibt, oder? Du weißt schon … der Zeitsprung“, wobei seine Augen bereits wieder zum Fenster zurückwanderten. „Aber umgekehrt? Ich hab’n Schlag in den Nacken bekommen!“

      „Ich weiß auch nich’!“, dann erst registrierte er Matjes’ letzten Satz, „Was ist? Was sagst du da?“

      „Einen Schlag in den Nacken. Seitdem weiß ich nix mehr.“ Er beendete den Satz mit einem tiefen Seufzer, „Aufgewacht bin ich hier unter der Tanne und sah in das grelle, rote Licht, verdammt!“

      Irritiert ließ sich Kessie nach hinten fallen.

      In den vergangenen Jahren hatten sie so manche schrecklichen Dinge erlebt und viele waren schrecklicher als das hier … Aber jetzt war alles irgendwie anders.

      Jetzt traten die Vorzeichen viel unberechenbarer an sie heran.

      Noch immer konnte er sich nur lückenhaft an alles erinnern, doch er fühlte, dass diesmal etwas Unheilvolles und Endgültiges im Aufwachen begriffen war und dieses Gefühl wollte ihm etwas Wertvolles aus dem Leib reißen. Plötzlich fielen ihm Georgie und die anderen ein.

      Er sah auf die Uhr. Zwölf Minuten vor zehn.

      „Matjes, lass uns von hier verschwinden. Georgie und die anderen kommen gleich. Wir haben uns am Haupteingang verabredet … In zehn Minuten!“

      „Wieso? Was habt Ihr vor?“, mit dieser Frage richtete sich Matjes auf, stöhnte und fasste sich erneut in den Nacken, „Wie spät ist es denn schon?“

      „Kurz vor zehn.“

      „Was? So spät schon? Ja, gibt’s denn das?“

      „Was meinst du?“

      „Na Mann, dass mir so verdammt viele Stunden fehlen!“

      „Hee, erzähl’ das später“, wehrte Kessie ab, „du kannst dir gleich richtig Gedanken darüber machen … wenn alle da sind.“

      „Ja, ja, alles klar … Aber Vorsicht, das kann jeden Moment wieder losgehen … und mit jedem Mal wird es stärker!“ Matjes wies mit der Hand hinter sich.

      Kessie überlegte kurz. Ihm kam eine noch bessere Idee: „Alles Quatsch! Bleib’ du hier, ich mach’ mich zum Zaun ’rüber und gebe ihnen Lichtzeichen, wenn sie nicht schon vorher von diesem Licht angelockt werden und nach uns suchen.“

      „Das ist ’ne Idee“, stöhnte Matjes erleichtert.

      Auf allen Vieren kroch Kessie zum Zaun, als das gleißend rote Licht hinter ihm wieder entbrannte.

      Doch plötzlich durchfuhr ihn ein Gedankenblitz, der ihn buchstäblich zu Fall brachte. Aus tiefer Kehle stöhnte er sogar auf, bevor er nach Matjes rief: „Mein Gott, Matjes“, dann erst sah er über die Schulter zurück. Matjes jedoch nahm ihn nicht mehr wahr. „Was ist, wenn wir schon längst wieder in einem verdammten Zeitsprung sind … dass das also auch hier passieren kann?“ Er kam auf die Knie und wollte gerade zu Matjes zurückkriechen, als ihm Georgie wieder einfiel. Auf jeden Fall musste er ihn irgendwie warnen, falls das überhaupt möglich war. Obwohl … er überlegte, wenn auch sie diese Gabe haben, würden sie ebenfalls unmerklich in den Zeitsprung oder vielmehr in den Zeitsog geraten.

      Einige Sekunden verweilte sein Blick an dem Fenster mit dem kleinen, blonden Mädchen, das wieder regungslos rechts die Wand anstarrte, und er dachte fast belächelnd: Was sie da wohl so Interessantes sieht? … Und sie sieht echt ’n bisschen aus wie meine Mutter.

      Die Ankunft

      – 21:56 Uhr –

      Kapitel 13

      Fast gleichzeitig trafen sie am Haupteingang ein. Georgie parkte seinen hellblauen VW1200 auf der gegenüberliegenden Parkfläche, blieb aber im Wagen sitzen.

      Er war die Langenhorner-Chaussee hinaufgerast und schließlich in die Essener-Straße eingebogen. Er hatte den längsten Anfahrtsweg. Die anderen wohnten in Garstedt. Ulli fuhr eine Vespa Piaggio-GS 3, an der er hing. Er hatte sie eigenhändig frisiert und sogar selbst lackiert. Aus seiner Sicht ein Einzelstück … ein Schmuckstück.

      Er kam aus der anderen Richtung.

      Er stellte die Vespa dicht neben den Käfer und grinste ins Wageninnere. Ironisch sagte er: „Hee! Gut, dass wir uns hier treffen, haben wir nich ’n Auswärtsspiel heute?“, dabei klatschte er sich auf die Schenkel und lachte. Dann stieg er herunter von seiner Piaggio. Auf dem Rücken trug er einen länglichen, schwarzen Rucksack. Als sein Blick Richtung Haupteingang wanderte, tauchten seine Gesichtszüge in Eiswasser ab. Für mehrere Sekunden verweilte sein Blick an dem stählernen Torbogen, wobei seine Augen fast metallisch glänzten. Georgie stieg aus, klappte den Sitz vor, um ebenfalls einen schwarzen Rucksack herauszuholen. Er schlug die Wagentür zu und ging um die Haube herum. Er hatte noch nichts gesagt, nicht einmal ein Hallo. Ulli erwartete keine begrüßenden Worte. Nicht jetzt! Statuenhaft stand er da, mit eisgrauer Miene, als wollte sein Blick den Haupteingang ausradieren.

      „Es ist gleich zehn.“

      „Ja“, antwortete Ulli tonlos.

      Sichtlich erleichtert verfolgte Kessie das Eintreffen der anderen. Er konnte sie also doch sehen. Demnach bedeutete es, dass auch sie in den Zeitsog geraten waren. Irgendwo musste sich so eine Art Tunnel oder Kanal befinden.

      Um sie besser sehen zu können, zog er sich am Zaun hinauf. Der Parkplatz war linkerhand, keine 15 Meter entfernt. Mit einiger Mühe schob er die Taschenlampe durch den Zaun und hielt sie in ihre Richtung, dann blinkte er ihnen das gemeinsame Lichtzeichen entgegen. Zweimal lang und dreimal kurz.

      Der gebündelte Lichtstrahl war stark genug, um den VW zu erreichen, bloß reagierten sie nicht. Noch immer sahen sie zum Haupteingang hinüber.

      Kessie zog die Taschenlampe zurück und richtete sich ganz auf, sodass er das Zaunende in Kopfhöhe hatte. Er kletterte einige Querverstrebungen hinauf, um mit der Taschenlampe über den Zaun zu reichen. Jetzt wiederholte er das Lichtsignal.

      Diesmal hielt er die Taschenlampe ganz dicht an seinen Kopf, um genauer zielen zu können. Der Strahl sollte Georgie genau ins Gesicht treffen. Zweimal lang und dann … dreimal … Er kam nur bis zweimal lang. Plötzlich drehte Georgie seinen Kopf langsam in den Strahl. Kessie erschrak über den eiskalten Gesichtsausdruck.

      Die Warnung war übermittelt.

      Georgie tippte Ulli an: „Komm.“ Mit einer knappen Bewegung schwang er den Rucksack auf den Rücken und lief in gebückter Haltung hinüber zur Ecke des Jägerzauns. Kommentarlos folgte Ulli.

      Vorsichtig spähten sie um die Ecke, orteten die Lichtquelle kaum fünfzehn Meter weiter.

      Er muss auf der anderen Seite sein, kombinierte Georgie, da er keine Umrisse am Zaun ausmachte.

      „Einer von uns ist da drinnen“, flüsterte er, während er den Kopf halb zu Ulli drehte, ohne ihn jedoch anzusehen.

      In diesem Augenblick entwich gleißend rotes Licht dem Bauch des Kinderhortgeländes. Wie aus einer langsam geöffneten Gruft, in der ein wildes Feuer loderte, breitete es sich aus.

      Das Licht erfasste jedes Atom rings umher und gewann deutlich an Helligkeit, je länger es zu sehen war. Erschrocken wichen die beiden zurück. Fast gleichzeitig hielt ein zweiter Wagen neben Georgies Käfer. Reifen quietschten und blockierten.

      Der alte Opel Kadett rutschte auf dem grobkörnigen Boden, bis er zum Stehen kam. Tommi fuhr einen alten Opel Kadett.

      Neben ihm saß Holmi.

      In nur wenigen Sekunden war alles von dem gleißenden Licht eingefärbt, selbst die erschrockenen Gesichter von Holmi und Tommi. Instinktiv tauchten sie ab und drückten sich tief in ihre Sitze.

      Zuerst