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FILM-KONZEPTE 65 - Christian Petzold


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konform aufzufassen, sich ihren Hierarchien vorauseilend zu ergeben, denn als ein Weg, Sicherheit zu verleihen. Gespensterhaftigkeit wird bei Petzold zu einer Wahrnehmungsform des Selbst. Ein observativer Imperativ, handle stets so, als würdest du technisch beobachtet, scheint dem parallel zu laufen. Kontrolle und Gespensterhaftigkeit gehen bei Petzold Hand in Hand. Die Fehler, die da geschehen, machen bei aller Tragik Hoffnung.

       Geschundene Körper. Sexualität und Scham. Frau und Mann

      Wenn diese ungewollte Ablösung vom Leib in der Gespensterhaftigkeit nicht geschieht, kein Zwischenraum entsteht, so wird der Körper geschunden, meistens aus Preis des Eigensinns, aufgrund der Unangepasstheit malträtiert, oftmals auch autoaggressiv, vor allem die Körper der Frauenfiguren. Besonders deutlich wird dies bei YELLA. Hier ist die Last der Arbeitssuche in Form von Augenringen Nina Hoss bereits ins Gesicht geschminkt. Ihr Name wird regelrecht zum Fluch, weil er nur vom Stalker Ben aufgerufen werden muss, um Angst auszulösen. YELLA hat die Dramaturgie eines in die Realität hineinwuchernden Jump-and-Run-Videospiels, das der Protagonistin zusetzt, weil sie es als leiblichmaterielles Wesen nicht bestehen kann. Sie hat kein psychisches Problem, sondern die gestörte Wahrnehmung gehört zum Alltag einer Buchhalterin in Zeiten der Private-Equity-Unternehmen. Großartig ist die Szene, in der der frühere Chef ihr hinter einem Busch, aus dem Versteck, hervorwinkt, weil er sie bitten muss, Geld aus dem gepfändeten Büro zu entwenden. Ist es bei den Frauen der krankhaft werdende, zerfallende, operierte und sich nicht fügende Körper, so bei den Männern das Stigma. Es kann, wie in TOTER MANN, das Stigma der Fettleibigkeit sein, wie in JERICHOW das des sichtbaren Fremden, bei POLIZEIRUF 110: WÖLFE (2016) das der Lippen-Kiefer-Gaumenspalte oder des lädierten Körpers in UNDINE. Wer aufrichtig ist und ohne Makel, wie Dr. Gunthen (Burghart Klaußner) in YELLA, nimmt sich das Leben.

      In vielen deutschen Filmen, gerade in Fernsehfilmen, überspielen die Figuren ihre Misere. Sie lächeln, weil man es von ihnen verlangt, ungeachtet der Situation, in der sie stehen. Die dargestellten Figuren sind insofern schon Schauspieler ihrer selbst, bis der Konflikt ausbricht. Bei Petzold ist das anders. Nina Hoss lächelt auch zu Beginn von BARBARA nicht aus Höflichkeit. Dass sie sich nicht anpassen will, ist gesetzt und macht ihre Gestik zu einer Gratwanderung. Ihre Unangepasstheit zeigt sich nicht in den großen Gesten oder dem Protest, sondern in habituellen Miniaturen und Mikrogesten, in ihrer Intellektualität, die alles kontrolliert. Dadurch stockt auch die Erzähldynamik. Denn jeder gestische Ausdruck intendiert wie bei einem versierten Schachspiel einen Gegenzug bereits als Potenzial. Petzold setzt da an, wo andere aufhören, und inszeniert dieses Spiel der libidinösen Kontrolle achtungsvoll.

      In vielen Beispielen sind es die feinen Unterschiede, die sich in der Schicht-Zugehörigkeit äußern und die einer Liebe im Weg stehen. Johannes und das bosnische Zimmermädchen Ana leben ihre Lust aus. Sie haben aber gegenüber dem listigen Dr. Dreier (Rainer Bock), der ihn wieder mit der Ex-Freundin Sarah verkuppeln will, keine Chance. Es genügt eine Einladung zur Geburtstagsparty im Golf-Club, damit es zu einem Streit zwischen Ana und Johannes kommt.

      Ana: Komm, wir müssen da hin!

      Johannes: Nein, das ist doch peinlich.

      Ana: Was ist peinlich?

      Johannes: Na, alles. Die mit ihren blöden Gönnerposen, das kotzt mich an.

      Ana: Bin ich peinlich?

      Johannes: Wie kommst du denn jetzt darauf?

      Ana: Dann lass’ uns dahin gehen. Wir machen uns schön und wir werden Spaß haben.

      Johannes: Nein!

      Ana: Bin ich dir peinlich?

      Johannes: Nein.

      Ana: Johannes, bin ich dir peinlich?

      Johannes: Nein!

      Ana: Doch!

       Autofahrten