in der Süddeutschen Zeitung. Dort heißt es bewundernd im Titel nur: »Eine Stimme Frankens«.158
Hans Max von und zu Aufseß im Spiegel der Tagebücher
Tagebücher sind aus Sicht der Geschichtswissenschaft eine nicht unproblematische Quellengattung. Auf der einen Seite suggerieren Tagebücher Unmittelbarkeit und Unverfälschtheit, auf der anderen Seite filtern und literarisieren auch Tagebuchschreiber die berichteten Ereignisse. Auch Tagebücher folgen literarischen Regeln des ›roten Fadens‹, des Spannungsaufbaus, des rhetorischen Satzbaus und der geschickten Wortwahl. Je gebildeter der Schreiber ist, desto größer ist die Gefahr, dass hinter den sprachlichen Kompetenzen die tatsächlichen Ereignisse verschwinden. Selbst die Adressaten von Tagebüchern sind keineswegs immer nur die Schreiber selbst. Ein Diarium kann geführt werden, damit der Autor, und zwar ausschließlich er, sich später besser an die Ereignisse erinnern kann. Doch sind auch Fälle bekannt, in denen Tagebücher vom ersten Wort an für einen größeren Lesekreis konzipiert wurden. So behauptet von Aufseß in seinem Tagebuch, dieses vor allem für seine Frau zu führen. Voller Sentimentalität schreibt der Freiherr am 25. September 1944: »Wenn nicht ich, so bleibt vielleicht mein Tagebuch am Überleben und dann soll meine Frau sehen, wie ich mein Getrenntteil von ihr gelebt habe.«159 Auch die inneren Beweggründe, Tagebuch zu schreiben, sind oft unklar. Ihre Kenntnis wäre aber wichtig, um den jeweiligen Quellenwert besser beurteilen zu können. So macht es einen Unterschied, ob der Schreiber traumatische Ereignisse festhält, um sie besser verarbeiten zu können, oder Erfolge, um sich in diesen zu sonnen. Von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels ist z. B. bekannt, dass ihm seine Tagebuchnotizen eine wichtige ›Egostütze‹ waren und er die Rechte an den Tagebüchern zum Zweck der Veröffentlichung an den Hausverlag der NSDAP, den Eher-Verlag, verkauft hat. Goebbels legte seine Tagebücher damit auch auf ihre Wirkung in der Öffentlichkeit an.
Tagebücher können damit nicht ›naiv‹ als direkte Zugänge zu geschilderten Ereignissen gelesen werden. Vielmehr besteht ihr eigentlicher Quellenwert darin, dass sie Einblicke in zwei Aspekte erlauben, die jenseits von historischer Faktizität auf einer Metaebene liegen. Zum einen ermöglichen sie in begrenztem Maß Aussagen über die Wahrnehmung von Ereignissen durch den Tagebuchschreiber, zum anderen zeigen sie aber stärker noch, dass dieser Ereignisse erinnernd so gestaltet, wie er sie auch später noch rezipiert wissen möchte. Dieser bewusste oder unbewusste Wunsch nach Steuerung einer späteren Rezeption von Ereignissen, Gefühlen, Gesprächen kann sich an das in der Zukunft liegende Ich des Schreibers, aber eben durchaus auch an spätere weitere Leser wenden.
Die Tagebücher des Hans von Aufseß sind so nicht primär Quelle für die Ereignisse auf den Inseln. Diese Ereignisse ließen sich durch andere Quellen – Akten, dienstliche Briefe, Verordnungen, Verwaltungsakte – deutlich besser rekonstruieren. Die Tagebücher können in Einzelfällen bei bestimmten Ereignissen als Referenz oder zum Abgleich hinzugezogen werden, sie selbst erzählen aber nichts Ereignisgeschichtliches, das nicht durch andere Dokumente besser belegt wäre. Sie geben aber in begrenztem Umfang Bericht von der Sicht des Freiherrn auf die Besatzung und auf seine deutschen Kameraden. Sie legen ebenfalls begrenzt Zeugnis ab von seinen Interessen, Taten, Gedanken und Gefühlen. Sie zeigen bei oberflächlicher Betrachtung in gewisser Weise auch das zuweilen wenig gedankenvolle, dafür aber den schönen Seiten zugewandte Leben eines adeligen ›Dandys‹ und Flaneurs auf einer britischen Ferieninsel.
Am meisten verraten die Tagebücher aber zwischen den Zeilen darüber, wie sich Hans Max von Aufseß an die Zeit auf den Kanalinseln später erinnern wollte. Dass die Tagebücher im Hinblick auf eine 1943 bereits absehbare Kriegsniederlage einer apologetischen Stilisierung vor späteren Anklägern dienen sollten, ist denkbar. Sollte dies nicht schon 1943 im Blick des Freiherrn gelegen haben, wie Joe Mière vermutet, so doch spätestens 1985, als es ihm nach jahrelangem Bemühen gelingt, sie – wenigstens auf Englisch und in Großbritannien – veröffentlichen zu lassen. 1985 muss sich von Aufseß keinen juristischen Klägern mehr stellen, sein Bild von der Zeit auf den Inseln möchte er aber dennoch beeinflussen. Die zunächst unkritische Rezeption des Freiherrn und seiner Rolle auf den Kanalinseln zeigt, dass diese Stilisierung gelungen ist. Dieser Erfolg bedeutet keineswegs, dass alles im Tagebuch des Freiherrn Erzählte erfunden ist und er sich seinen guten Ruf nicht in Teilen verdient hätte. Für die Begründung seiner Reputation als ›guter Deutscher‹ kann nur bedauerlicherweise nicht das Tagebuch als Quelle dienen. Aus subjektiven Zeugnissen lassen sich kaum objektive historische Urteile herleiten.
Das Bild, das Hans Max von Aufseß in den Tagebüchern abgibt, ist von mehreren deutlich erkennbaren Tendenzen geprägt.
Der Freiherr dokumentiert in seinen Tagebüchern ein intellektuelles Dandytum in ständig wertender Auseinandersetzung mit Büchern und Filmen, die er im deutschen Kino auf Jersey sieht. Von Aufseß investiert dabei in erheblichem Umfang Zeit und Gedanken. Seine Urteile zeugen zwar von Bildung und Urteilsfähigkeit, aber auch von erheblichen Vorbehalten gegen die geistige Moderne seiner Zeit. So wettert von Aufseß am 28. Oktober 1944 in seinem Tagebuch gegen Bilder, die man in der Wohnung zweier festgenommener Französinnen findet, und damit gegen die zeitgenössische Kunst: »Nicht nur dass die Wohnung voll der sinnlosesten kubistischen Bilder war (…).«160 Bei dieser Gelegenheit zeigt sich noch eine weitere Tendenz der freiherrlichen Persönlichkeit. Hans Max von Aufseß ist Antisemit161. Einen der Kerngedanken des Antisemitismus teilt von Aufseß offensichtlich: Er hält Juden für Mitglieder einer degenerierten ›Rasse‹. Er bezeichnet die beiden festgenommenen Künstlerinnen, Lucy Schwob und Suzanne Malherbe, als Jüdinnen und befindet: »Wir haben auf den Inseln nur ganz wenig Juden. 2 verhaftete Jüdinnen gehören aber zu dem Schlimmsten, was diese Rasse hervorbringt. Sie verteilten lange Zeit Flugblätter an die Soldaten, in denen sie diese zur Erschießung ihrer Offiziere aufforderten. Endlich wurden sie entdeckt. Bei der Hausdurchsuchung fanden sich die widerlichsten Perversitäten. (…) Hier liegen mir einmal unverfälschte Dokumente vor, die allerdings alle gegen die Juden verhängten Maßnahmen rechtfertigen würden.«162 Die Textstelle lässt sich allerdings trotz ihres unverstellten Antisemitismus auch als eine dezente Ablehnung der bis zu diesem Zeitpunkt getroffenen antijüdischen Maßnahmen verstehen, für die er erst mit dieser Festnahme Argumente zu erkennen glaubt. In der englischen Ausgabe von 1985 hat von Aufseß seine antisemitischen Bemerkungen zum Teil getilgt, zum Teil abgeschwächt. Ob dies aus Einsicht oder aus Gründen der schon angesprochenen Stilisierung geschehen ist, muss offenbleiben. Der Antisemitismus des Freiherrn ist in deutschen Adels- und Militärkreisen sowie bei Akademikern im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine bedauerliche Communis opinio.163 Von Aufseß ist hier vor allem das Produkt einer durch seinen Stand geprägten Sozialisation. Dass sich jedoch jemand, der sich so deutlich seiner geistigen Fähigkeiten und Bildung rühmt wie von Aufseß in seinen Tagebüchern, keine reflektierte Distanz zu den moralisch und intellektuell ohne größeren Aufwand als so abwegig wie intellektuell schlicht zu erkennenden Argumenten der Antisemiten findet, ist bemerkenswert. Das führt zu einer weiteren Tendenz in der Persönlichkeit des Freiherrn im Spiegel der Tagebücher. Von Aufseß ist bei freundlich-verbindlichen Manieren gleichzeitig dünkelhaft und bis zur Eitelkeit von sich eingenommen. Er urteilt zum Teil scharf aus ›Herrenreiterperspektive‹ über seine Mitmenschen. Häufig verbindet er dabei Charakterschilderung mit Bewertungen der Physiognomie der geschilderten Menschen. So schreibt er über den Bailiff von Guernsey, Carey: »Der Bailiff von Gy macht ein unbeholfenes, freundliches Gesicht und seine schlappen Gesichtszüge und die hängende Unterlippe geben ihm neben der sichtlichen Aufregung doch den Ausdruck des Nichtbegreifens und des Nichtgewachsenseins der Situation.«164 Einerseits steht von Aufseß damit in der Tradition der Lehren Johann Caspar Lavaters und der Physiognomik, andererseits zeigt sich hier auch ein nationalsozialistisches Ideologem in der Annahme, dass ›minderwertige‹ Menschen an ›minderwertigen‹, unschönen Körpern und mangelnden geistigen Fähigkeiten zu erkennen seien. Der Glaube, Menschen nach Kategorien der eigenen Überlegenheit kategorisieren und letztlich vernichten zu können, ist ein wesentlicher Bestandteil der nationalsozialistischen Ideologie. Später hat von Aufseß seine harten und oft ungerechten Urteile allerdings bedauert. Im Vorwort der englischen Ausgabe der Tagebücher schreibt er: »In retrospect, much of my censure (…) seems unduly harsh, but