eine Bestätigung der Versicherungsgesellschaft, dass die Prämie der Lebensversicherung Ihrer Frau vor Kurzem erhöht wurde. Die Indizien sind eindeutig. Ihr Konto ist überzogen, Sie haben Schulden, und plötzlich so etwas. Ehrlich, Mann, das passt zu gut zusammen.“
Die Information, dass sein Konto überzogen sein sollte, war gänzlich neu für John. Er verdiente gut, und über Geld machten sie sich schon seit Jahren keine Gedanken mehr. Die Lebensversicherung von Emma hatten sie vor zwölf Jahren nach ihrer Hochzeit gemeinsam abgeschlossen, um Felix abzusichern für den Fall, dass einmal etwas passieren sollte. Nichts von all dem, was Tenner ihm erzählte, ergab für John einen Sinn. Seine Trauer wurde von Wut weggespült, er fühlte sich wie ein in die Enge getriebenes Tier.
„Wie geht es jetzt weiter?“, wollte er von Tenner wissen.
„Sie kommen morgen nach der Autopsie noch einmal vorbei. Sagen wir, gegen acht Uhr früh. Wir brauchen Sie, um die Frau und den Jungen zu identifizieren.“
John war müde und fühlte sich schwach auf den Beinen.
„Gut, dann bis morgen, Inspector Tenner.“
Er stand auf und verließ das Revier auf schnellstem Weg.
John beschloss, zu Fuß zu Marco zurückzugehen, er musste seinen Kopf freibekommen, er musste nachdenken, auch wenn er gerade das Gefühl hatte, nicht bis drei zählen zu können. Je länger John lief, desto mehr spürte er in sich einen Zorn aufsteigen, den er so in seinem ganzen Leben noch nie gespürt hatte. Aber der Zorn schärfte seinen Verstand, und mit einem Mal war ihm klar, was er als Nächstes zu tun hatte.
GESCHÄFTE, NEW YORK, ANFANG 2015
Ronald saß in seinem Büro im 44. Stock des Grump Towers. Das Büro war so eingerichtet, wie er es sich gewünscht hatte. Vielleicht ein wenig protzig, aber ihm gefiel es. Es war ein riesiger Raum, damit die Kameras für seine Show genügend Platz hatten.
Hier wurde unter normalen Umständen nicht gedreht, aber einige Szenen hatten ihn bei Arbeitsmeetings gezeigt, und er liebte es, dass alle Welt sah, wie und wo er arbeitete. Etliche Geschäftsabschlüsse ließen sich darauf zurückführen, dass Partner sich in diesem Filmset sehr wohlfühlten und sich als Teil der Show verstanden.
Wehmütig dachte er an die ersten Folgen seiner TV-Show. Wieder einmal so eine glückliche Fügung. Ronald war rechtlich gesehen bankrott. Er hatte über 350 Millionen Dollar Schulden allein bei der Finanzbehörde, die Schulden bei seinen Geschäftspartnern nicht mitgerechnet, die summierten sich leicht auf das Doppelte.
Aber er hatte dieses untrügliche Gefühl im Bauch, das nur wahre Hasardeure und wirklich erfolgreiche Geschäftsmänner haben: Da war viel mehr drin als nur eine Gage.
Er hatte die Show in eine wahre Geldmaschine umgewandelt; das eigentliche Konzept sah vor, dass er nach einer Staffel aussteigen würde und der nächste Prominente übernahm, aber er sah das Potenzial und schuf etwas wirklich Großes.
Pro Jahr kam er mit der Show leicht auf 50 Millionen Dollar Gewinn, nicht nur als Produzent und Moderator. Er machte eine Marketing-Show aus seiner Sendung, zeigte Produkte von Waschmittel bis Pizza und kassierte dabei mit ab. Nebenbei wurde er immer berühmter, sodass die Werbefirmen Schlange standen, um Krawatten, Hemden, ja sogar Unterwäsche mit seinem Namen zu verkaufen. Manche Ideen waren weit hergeholt und funktionierten trotzdem prächtig. Steaks mit seinem Namen wurden verkauft, Wasserflaschen und allerlei anderes Zeug wurden mit dem Grump-Logo versehen, und es verkaufte sich. Es war eine glückliche Zeit, nur einige Probleme oder, besser gesagt, Ärgernisse blieben.
Den Respekt, den er sich vom „alten Geldadel“ versprochen hatte, bekam er nicht. Nicht einmal, nachdem er gegen alle Widerstände den Grump Tower hochgezogen hatte. Eine wahre Heldentat, die niemand außer ihm geschafft hätte.
Zuerst erwarb er gegen eine 50-prozentige Beteiligung an dem Bauprojekt von einer Versicherungsfirma das Grundstück. Als Nächstes ließ er das alte Kaufhaus abreißen, kaufte dem benachbarten Tiffany die Rechte ab, in die Höhe bauen zu dürfen. Offiziell war es untersagt, Hochhäuser zu bauen, aber durch den Kniff, alte, bestehende Rechte zu nutzen, umging er die Regeln. Hauptsächlich wurden jede Menge illegaler Arbeiter auf seiner Baustelle beschäftigt, das drückte die Kosten, und diese irrsinnigen Arbeitszeitregeln konnten vernachlässigt werden. Man behauptete, dass er über die einzige Baustelle in New York verfügte, auf der Tag und Nacht gearbeitet wurde.
Er verbündete sich mit allen im Zement- und Baugeschäft tätigen Mafiafamilien; ohne deren Beteiligung entstand in New York kein Gebäude. Er konnte nicht verstehen, was man gegen diese Leute haben konnte. Klare Regeln, das Geschäft ging immer vor, und man hielt sich an Absprachen. Mehr, als man von jedem Politiker aus diesem verlogenen Washington jemals bekommen würde.
Seine Idee, Boni in Anspruch zu nehmen für Gebäude mit gemischter Nutzung für Läden, Wohnungen und Büros, war brillant, damit konnte er noch weiter in die Höhe bauen, und als er dann auch noch ein öffentlich zugängliches Atrium plante, erlaubte ihm die Stadt sogar, noch höher zu bauen. Leider bekam er nicht seine gewünschte Anzahl von 63 Stockwerken, aber die 58 genehmigten waren weit mehr, als er sich erhofft hatte, mit jedem weiteren Stockwerk vervielfachte sich sein Gewinn.
Aber wurden diese Leistungen anerkannt? Nein!
Er wäre zu laut, zu glamourös, zu oft im Fernsehen, sein Geld würde stinken, weil er mit der Mafia zusammenarbeitete, was sich natürlich nicht beweisen ließ. Alles Nonsens. Er hatte aus dem, was sein Vater ihm hinterlassen hatte, ein Imperium aufgebaut. Eine Marke, er war die Marke.
Casinos, Golfplätze, Hotels – alles das trug seinen Namen. Er hatte es geschafft, zu den ganz Großen im amerikanischen Geschäft aufzusteigen. Er allein.
Ein Problem blieb: Das Geld durch die Fernsehshow war nicht genug. Die Zahlungen an die Mafia, die Pleite seines Casinos in Atlantic City, die Schulden und Beteiligungen bei Geschäftspartnern und diese verflixte Steuer, all das ließ sich mit den Einkünften aus einer Show nicht begleichen. Was er aber bei alldem gelernt hatte: Bauen bringt Geld, Eigentümer von Grundstücken zu sein, bringt richtig Geld und dazu noch Macht. Und diese beiden Dinge liebte Ronald mehr, als er jemals überhaupt einen Menschen lieben könnte. Es war nicht vergleichbar mit dieser platten Liebe zu anderen Menschen, die vergänglich ist und erneuert werden muss. Geld und Macht blieben und wurden zu einem Begleiter, der Schutz und Distanz schuf.
Wie gerne hätte er jetzt seinen alten Mentor angerufen. Nun musste er selbst sehen, wie er mit diesem Problem fertigwurde. Sein Mentor hatte ihn unauffällig in diese gewissen Kreise eingeführt, in denen beiläufig Geschäfte gemacht wurden und man sich doch nur über Mittelsmänner kannte. Nichts nachvollziehbar, keine Spuren hinterlassen. Immer auf der Hut vor den staatlichen Behörden.
Er ging zum Telefon und rief einen seiner alten Kontakte an. Er hatte diese Nummer schon lange nicht mehr gewählt und musste das kleine Büchlein aus seinem Wandtresor holen. Die Zahlenkombination war sein Geburtsdatum rückwärts eingegeben. Brillant!
Es klingelte nur einmal in der Leitung, bevor eine Stimme zu hören war. Man stellte sich nicht vor, sondern kam gleich zur Sache.
„Ich benötige Ihre Unterstützung, ich suche in Manhattan Baugrund, idealerweise in der Nähe meines Towers, und würde zu den üblichen Konditionen die Regulierung der Verbindlichkeiten übernehmen.“
Schweigen in der Leitung. Dann die leise, ein wenig kratzende Stimme.
„Ich melde mich morgen wieder bei Ihnen.“ Damit war das Gespräch beendet.
Ronald ging in die Küche und machte sich ein riesiges Sandwich. Mit Bedacht vermied er dabei alles, was nur ansatzweise nach Salat aussah. Hippies und Vegetarier aßen so etwas, er verachtete beide Spezies.
DIe Suche, New York, Sommer 2015
John saß in Marcos Küche und starrte an die Wand mit der Küchenuhr.
Diese Uhr kannte John schon seit Kindheitstagen. Wenn sie nach dem Spielen bei Marco zum Essen waren, schaute John immer auf die Uhr, um ja