Die Ärzte sagen, wenn sie weiter solche Fortschritte macht, kann sie in vierzehn Tagen wieder nach Hause.“
„Na, das ist doch toll! Warum machst Du dann aber solch ein miesepetriges Gesicht?“
Abermals seufzte Isabels Vater, ehe er antwortete: „Ich soll morgen für drei Wochen eine Tour nach Frankreich übernehmen.“
„Na, das ist doch schön! Freu Dich doch, dass Du wieder Geld verdienen kannst. Wir werden es sicherlich gut gebrauchen können, wenn Mum zurückkommt?!“, sagte Isabel.
„Aber ich kann Dich und Deine Mutter doch jetzt nicht alleine lassen!“, kam es aufgebracht von Keith Canningham.
„Und warum das nicht?“ Irritiert davon, dass Isabel anscheinend nicht verstand, schaute Keith ihr ernst ins Gesicht. „Ach Dad, ich werde siebenundzwanzig! Meinst Du nicht auch, ich bin langsam alt genug, um allein auf mich aufpassen zu können? Und Mum ist in der Klinik und wird rund um die Uhr versorgt. Wir kommen schon die paar Tage ohne Dich zurecht.“
„Aber Lindsay wird vor meiner Rückkehr entlassen!“, rief Mister Canningham aufgebracht.
„Du sagtest doch aber eben selbst, dass mit Mama alles wieder in Ordnung ist?! Vorher ist sie auch ohne Dich klargekommen, warum sollte sie es denn dann jetzt nicht mehr können? Außerdem bin ich doch auch noch da! Zur Not mache ich für eine Woche den Kindergarten zu, das ist überhaupt kein Problem! Also höre bitte auf, uns immer wie zweijährige und unselbstständige Kinder zu behandeln!“, brach es einfach so aus Isabel heraus; ihre Nerven lagen schlicht und ergreifend blank. Sofort schaute ihr Vater erbost zu ihr auf. Isabel ging automatisch gleich drei Schritte rückwärts. „Verzeihung, das war nicht so gemeint!“, wisperte Isabel.
Zu ihrer Überraschung blieb ihr Vater am Tisch sitzen und sah wieder betrübt in seine Tasse. „Schon gut, Du hast ja Recht. Und wenn sich jemand entschuldigen muss, dann bin ich das. Isabel, Kind, sag: Bin ich wirklich solch ein furchteinflößender Kerl, dass meine eigene Tochter vor mir Angst hat?!“
Isabel fiel prompt die Kinnlade herunter. Sie glaubte, sich verhört zu haben. „Ehm …“, war alles, was sie daraufhin herausbrachte.
„Es tut mir so leid, ich wollte das doch alles nicht!!!“, kam es unter Tränen von Keith Canningham.
Isabel lief zu ihrem Vater herüber und legte ihm vorsichtig ihre Arme um den Hals. „Ich weiß und Mutti weiß das auch.“ Isabel erkannte, dass ihr Vater nunmehr auch noch die Schuld an Lindsays Herzinfarkt auf sich nahm. Sie schloss die Augen und bettete zu Gott, dass ihre Nerven stark genug waren, sogleich dagegen aufzubegehren.
Zu ihrer Überraschung erwiderte Keith Canningham die Umarmung seiner Tochter und küsste sie anschließend sogar auf die Stirn. „Kannst Du mir verzeihen, dass ich Dir all die Jahre Unrecht angetan habe?“
Isabels Herz machte einen gewaltigen Satz: Sollte dies wirklich ein Neuanfang und eine Wende in der Beziehung zwischen Vater und Tochter werden? Isabel konnte es noch gar nicht glauben. Unter Tränen warf sie sich nun direkt an den Hals ihres Vaters und wisperte: „Ich hab Dich lieb, Dad.“
„Oh, Sternchen! Ich Dich doch auch, und wie lieb ich Dich hab!!! Du bist doch meine Tochter, mein kleiner Goldschatz!“, rief Keith, ebenfalls von Tränen übermannt, zu seiner Tochter und drückte sie fest an sich.
„Und ich kann Dich wirklich für drei Wochen alleine lassen?“, fragte Keith, nachdem beide wieder über ihre Tränen Herr geworden waren.
Isabel kicherte. „Dad, ja, das kannst Du! Am Tage bin ich eh auf Arbeit und an den freien Wochenenden werde ich mit Anabel etwas unternehmen oder Mum im Krankenhaus so lange auf der Tasche liegen, bis sie mich zum Teufel schickt. Außerdem bin ich nicht das erste Mal allein. Ich komme schon klar. Und so wie ich Dich kenne, ist der Kühlschrank übervoll und in der Haushaltskasse liegt für den Notfall – den es aber nicht geben wird – mehr Kleingeld als nötig ist!“
Keith musste unweigerlich lächeln, denn seine Tochter kannte ihn nur zu genau.
„Und was ist mir Dir? Hast Du schon Deine Tasche gepackt?“, fragte Isabel auf einmal. Prompt wurde ihr Vater rot. Isabel lachte laut auf, was ihr einen irritierten Blick ihres Vaters einbrachte. Nun war es Isabel, die errötete: „Na los, Dad, lass uns nach oben gehen und ich werde Dir beim Packen helfen. Wäre doch gelacht, wenn wir das nicht auch ohne Mums Hilfe hinkriegen …“ Isabel nahm ihren Vater bei der Hand und gemeinsam gingen sie in die obere Etage ins Schlafzimmer ihrer Eltern. Dort setzte Isabel ihren Vater aufs Bett und stellte sich selbst vor dessen Kleiderschrank. Mit den Händen in die Hüften gestemmt, drehte sie sich zu ihrem Vater um und fragte nach seiner Reisetasche. Keith zog diese unter dem Bett hervor.
„Okay, und was packt Dir Mum so immer alles ein?“, fragte Isabel.
Keith zählte anschließend alle Kleidungsstücke auf, die Lindsay ihm immer in die Tasche packte und Isabel zog diese Kleidungsstücke in entsprechender Anzahl aus dem Kleiderschrank und legte sie fein säuberlich auf dem Ehebett in übersichtliche Stapel. Anschließend reichte sie ihrem Vater die einzelnen Stapel, damit er diese in seiner Reisetasche verstaute. Zum Schluss ging Isabel ins große Badezimmer und packte die Waschtasche mit Duschbad, Kamm, Rasierer und Zahnbürste für ihren Vater. Als sie damit wieder ins Schlafzimmer trat, stand Keith Canningham plötzlich vor ihr. Isabel bekam sogleich einen Mordsschrecken, denn sie wusste nicht, ob sie etwas falsch gemacht oder gar ihren Vater in irgendeiner Form erzürnt hatte. Unsicher sah sie zu ihm auf.
„Danke!“, war jedoch alles, was ihr Vater zu ihr sagte, ehe er sie einfach in seine Arme und an seine Brust zog.
Isabel erwiderte die Umarmung. „Es sind doch nur drei Wochen und keine drei Jahre …“
„Aber es wird mir so vorkommen, wenn ich weiß, dass mein kleines Mädchen ganz alleine zu Hause ist“, erwiderte Keith.
„Dad!“, beschwerte sich sogleich Isabel empört.
Doch plötzlich vernahm sie heiseres Kichern von ihrem Vater, welches sie seit neun Jahren nicht mehr vernommen hatte. Isabel standen prompt die Tränen in den Augen. Sie wusste, dass jetzt alles wieder gut werden würde und ihr fiel ein gewaltiger Stein vom Herzen, der schon viel zu viele Jahre dieses überwältigende Gefühl von Familienzusammenhalt lahmgelegt hatte. Isabel dankte Gott im Stillen, dass sie ihren Vater wieder zurück hatte. Und diesen steckte sie sodann auch prompt ins Bett, denn in genau drei Stunden war für ihn die Nacht wieder zu Ende. Isabel ging anschließend zurück in die Küche und schmierte ihrem Vater für die große Fahrt noch ein paar Brote und brühte frischen Kaffee für seine Thermoskanne auf. Danach wusch sie ab und ging auf leisen Sohlen wieder nach oben.
Nachdem auch sie sich bettfertig gemacht hatte, saß Isabel mit angewinkelten Beinen in ihrem drehbaren Korbsessel und starrte auf die Elfe auf ihrem Seerosenblatt. Was sollte sie nur tun?!
Isabel war hin- und hergerissen: Sie liebte Harry und dass er erneut in Afghanistan war, schmeckte ihr überhaupt nicht. Sie hatte schlicht und ergreifend Angst um ihn! Unweigerlich standen ihr wieder einmal Tränen in den Augen. Aber ihm erneut eine Chance geben? Ihr liefen die Tränen über die Wangen, als sie sich fragte, wo das Ganze nur hinführen sollte? Vor allem, was dachte inzwischen seine Familie von ihr; sie war doch viel zu wankelmütig, eingeschüchtert und verunsichert. Etwas, was für Isabel völlig untypisch war! Und somit blieb sie bei ihrem Entschluss, Harry langsam wieder aus ihren Gedanken und aus ihrem Leben zu verbannen; auch wenn es noch so sehr schmerzte. Denn seit sie mit ihm zusammengekommen war, war ihr Leben in ein heilloses Durcheinander geraten. Doch Isabel brauchte Ordnung und feste Regeln, sonst geriet sie in Schieflage. Und das hasste sie nicht nur, sondern das machte sie auch verletzlich wie ein kleines Kind und dies war sie definitiv nicht mehr! Sie war eine junge, erwachsene Frau, die ihr eigenes Leben in die richtige Bahn lenken musste! Doch das konnte sie nur, wenn sie Harry vergas …
Am 12. November 2011, einem Samstag, hatte Anabel Baxtor Geburtstag und ihr Bruder Alexander hatte eine kleine Feier im Club Five organisiert. Als Überraschung wollten er und Isabel mehrere Lieder der Band zum Besten geben. Und das taten sie dann auch. Sehr zur Freude von Anabel und den anderen anwesenden Diskotheksbesuchern. Unter