Christina Masch

Harry in love


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Isabels Stimme aus den Lautsprechern ertönte und sie das Lied ‚Mad World‘ vortrug – wieder in dieser Unplugged-Version. Sofort bekam Jane eine Gänsehaut und sie drehte sich abrupt auf ihrem Barhocker um. „Was ist los?“, fragte William sofort.

      „Weißt Du, wer das da drüben ist?“ William schüttelte den Kopf. „Das ist keine geringere als Isabel Canningham!“

      „Was? Ach komm, die sieht doch ganz anders aus!“, entgegnete William, der nur eine abgemagerte junge Frau mit schulterlangen, bräunlich schimmernden Haaren sah.

      „Ich weiß, dass Isabel anders ausschaut als Du sie in Erinnerung hast. Aber das ist sie, glaub mir! Kannst Du Dich rein zufällig noch an den Band-Contest vor einiger Zeit erinnern? Und auch an den Siegersong?“

      Sofort blickte William noch einmal genauer hin und dann erkannte er die Sängerin vom Band-Wettbewerb wieder. „Mann, ist die dünn geworden! Isst das Mädel auch mal was?“, kam es ihm auch sogleich in den Sinn.

      Jane musste unweigerlich schmunzeln. „Das waren auch meine ersten Gedanken, als ich sie zufällig beim Contest in der Damentoilette traf. Ich hatte sie nämlich zuvor selbst nicht erkannt. Sie meinte, es sei die Sorge um ihre Mutter. Die hatte nämlich einen Herzinfarkt erlitten. Zwischenzeitlich müsste sie aber wieder genesen sein …“

      „Na, da wird Harry ja Augen machen!“, meinte William spontan.

      Sofort entglitten Jane die Gesichtszüge und entsetzt fragte sie ihren Mann: „Wieso Harry? Du hast doch wohl nicht vor, ihm zu sagen, dass Isabel hier ist?! Nicht, dass er sich falsche Hoffnungen macht und herkommt!“

      „Das brauche ich gar nicht, denn Harry ist bereits auf den Weg hierher. Er hatte selbst den Vorschlag gemacht, dass wir heute zu dritt ausgehen. Ich konnte ja nicht wissen, dass der Club keine so gute Idee sein würde!“, erwähnte William.

      „Oh nein! Gib mir mal bitte Dein Handy, vielleicht kann ich Harry noch zu Hause erreichen und ihn zum Daheimbleiben überreden …“

      „Das glaubst Du doch wohl selber nicht; außerdem ist es bereits zu spät: Schau mal, wer da gerade die Treppe heruntergestiefelt kommt!“ William zeigte mit dem Finger in Richtung Treppe und da stand er: Harry, in eine enganliegende, hellblaue Jeans und ein schwarzes Shirt gekleidet. Er verschaffte sich gerade einen Überblick über die tanzwütige Meute im Kellergeschoss des Club Five. Als er William an der Bar entdeckte, steuerte er geradewegs auf seinen Bruder und seine Schwägerin zu. „Du sagst keinen Ton!“, warnte Jane ihren Mann. „Wenn, dann sollen die beiden rein zufällig aufeinandertreffen!“

      „Okay“, versprach William hoch und heilig, denn er kannte diesen gewissen Gesichtsausdruck von Jane. Wenn er es verzapfte, würde es mal wieder zu einem gewaltigen Ehestreit kommen und darauf konnte er herzlich verzichten. Ihm waren sein Seelenfrieden und eine glückliche Ehefrau heilig. Außerdem bevorzugte er sein eigenes Bett, als die Übernachtung auf der Couch oder in einem der Gästezimmer …

      „Na, ihr zwei! Seid ihr schon lange da?“, fragte Harry zur Begrüßung.

      „Nein, wir sind auch gerade erst gekommen. Magst Du was trinken?“, erwiderte Jane.

      „Ja, ein Gin-Tonic bitte.“ Prompt schnellten Williams und Janes Augenbrauen skeptisch nach oben. Harry lachte auf. „Ich hab ein wenig Kopfweh und muss es ja nicht gleich zu einer Migräne ausarten lassen.“

      „Du hast wohl noch nicht zu Abend gegessen, was?“, schlussfolgerte Jane.

      Harry grinste. „So ist es! Ich glaube, ich werde mich deshalb jetzt mal kurz ins Restaurant verabschieden und etwas später wieder zu Euch stoßen. Also, bis dann“, sagte Harry und schon verschwand er mit seinem Tonic-Glas in der Hand in die oberste Etage.

      Nachdem er sich ein Steak hatte schmecken lassen, lief er durch das Erdgeschoss und ließ sich an der dortigen Bar nieder, wo er sich ein Bier bestellte. Von hier aus konnte man durch einen Boden aus Plexiglas in das Kellergeschoss schauen und die dortigen Discobesucher beim Tanzen und Plauschen an der Bar beobachten. Harrys Augenmerk fiel dabei auf eine junge Frau, die sich gerade angeregt mit Toni, dem DJ, unterhielt. Als sie sich dann von ihm eine Gitarre geben ließ, zog es Harry aus unerfindlichen Gründen schleunigst in den Keller des Club Five zurück. Dort am unteren Treppensims angelangt, blieb er stehen und lauschte den Gitarrenklängen der jungen Frau und dem neben ihr sitzenden Mann. Sie spielten und sangen ‚Wild World‘ nach. Anschließend setzte sich der Gitarrist an ein Keyboard und die Frau legte ihre Gitarre beiseite und griff erneut zum Mikro. Auf Wunsch des Geburtstagskindes, welches Harry als Anabel Baxtor wiedererkannte, begann die junge Frau das Lied ‚Promise Me‘ zu singen. Harry kippte sogleich sein komplettes Bier herunter. Denn er glaubte seinen Augen kaum zu trauen: Isabel!

      Er stand da und war unfähig wieder den Blick von ihr abzuwenden. Tausend Gedanken schossen ihm gleichzeitig durch den Kopf: Was er sagen könnte, was er machen könnte. Doch nichts passierte. Er stand einfach nur da und beobachtete sie.

      Isabel übergab Toni gerade wieder ihre Gitarre, als Alex hinter ihr stand und sich von ihr verabschieden wollte. „Isa, ich muss jetzt los. Ich muss morgen wieder früh raus. Aber ihr zwei Weibsen feiert noch schön und macht die Nacht zum Tag! Man hat schließlich nur einmal im Jahr Geburtstag und darf sich hochleben lassen. Und Anabel scheint das Flirten noch nicht müde geworden zu sein?!“

      Beide kicherten.

      „Na, dann grüß mir Lucy ganz lieb. Ich finde Deine kleine Freundin echt zuckersüß! Schade, dass sie heute nicht mit dabei sein konnte“, erwiderte Isabel.

      „Tja, es haben halt nicht alle das Wochenende frei, es gibt auch Leute, die dann arbeiten müssen.“

      „So wie ich!“, mischte sich Toni mit in das Gespräch.

      „Du willst mir doch nicht weismachen, dass das hier Arbeit für Dich ist?! Für Dich ist das doch alles nur Fun!“, warf Isabel in den Raum und wandte sich erneut Toni zu.

      „Ertappt!“, gestand Toni schelmisch grinsend.

      „Isa? Sagst Du mir nun noch Tschüss?“, erinnerte Alexander Anabels Freundin.

      „Ja, natürlich! Bitte entschuldige“, sagte Isabel und drehte sich zurück zu Alexander, um ihn zu umarmen und ihm einen freundschaftlichen Kuss zu geben. Harry, der das ganze Spektakel mit angesehen hatte, knirschte mit den Zähnen, denn ihm gefiel überhaupt nicht, was er dort sah. Er stutzte jedoch, als sich der große schlaksige Kerl plötzlich wieder von Isabel abwandte, zu Anabel herüberlief und ihr ebenfalls einen Kuss gab und dann direkt an ihm vorbei nach oben ging. Harry folgte ihm unweigerlich mit den Augen. Als er ihn nicht mehr sah, wandte er sich zurück zu Isabel um. Sie stand noch immer bei Toni und schien sich köstlich zu amüsieren, denn sie lachte immer mal wieder, während Toni ihr irgendetwas erzählte. Harry sah sich das Ganze noch eine Weile mit an, bis es ihm dann doch zu bunt wurde. Langsam, aber zielstrebig, ging er zum DJ-Bereich herüber.

      Toni reichte derweil Isabel bereits den fünften Stift, damit sie ihm irgendetwas auf einen Zettel notieren konnte. Doch irgendwie schienen die Stifte allesamt nicht zu schreiben. Vom Bleistift, den sie gerade in der Hand hielt, fiel soeben die Miene heraus. Harry musste schon fast darüber lachen. Er stieg die zwei Stufen zu Toni herauf; immer darauf bedacht, im Rücken von Isabel zu bleiben.

      „Also Toni, Deine Stiftesammlung ist echt eine Zumutung!“, ereiferte sich Isabel gerade scherzhaft.

      Toni wurde sogar anstandshalber rot. „Sorry, tut mir echt leid! Wahrscheinlich habe ich deshalb so viele hier herumliegen; weil nie einer schreibt …“, kam es Toni in den Sinn.

      Isabel fing prompt wieder an herzlich zu lachen. Es traf Harry wie Nadelstiche mitten ins Herz. Wie er doch ihr fröhliches Lachen vermisst hatte! Mit tiefer Stimme mischte er sich in das Geplänkel von Toni und Isabel mit ein: „Vielleicht kann ich weiterhelfen?“, sagte er und zückte einen goldenen Kugelschreiber, den ihm sein Großvater vor kurzem geschenkt hatte, und reichte ihn Isabel, ohne dabei wirklich in ihr Sichtfeld zu treten.

      Isabel war sogleich hocherfreut und nahm den Stift dankend an, ohne selbst einmal zu dem Herrn hinter sich aufzusehen.