Migration|Integration|Exklusion - Eine andere deutsch-französische Geschichte des Fußballs
Monate später ebenfalls in Saargemünd gegründete Fussball-Club Wodan. Auch hier bildeten Migranten aus dem „Altreich“ und Einheimische jeweils etwa die Hälfte der Gründungsmitglieder.5 An die Pionierjahre des Fußballsports in Saargemünd in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts erinnerte sich das Gründungsmitglied Jean Dimofski im Jahr 1922, als er in der Festbroschüre anlässlich eines Sportfestes festhielt:
„Um 1900 datiert auch die Einführung des Fussballs in Sarreguemines. Schüler der Höheren Lehranstalten waren es, die der neuen Idee hier Eingang verschafften. (…) Obwohl die Aufnahme des Sportgedankens in Sarreguemines keine verheissende war, konnten die genannten allmaehlich einen grösseren Kreis um sich schliessen, und 1905 ward der ‚Fussball Klub-Wodan‘ gegründet. Killet, der erste Präsident des Vereins leitete dessen Geschicke bis zum Kriegsausbruch und sah seine Mannschaft nacheinander auf den verschiedenen Plaetzen Exerzierplatz, Barackenplatz, Alter Kasernenplatz, Utzschneiderwiese, ihre Wettspiele austragen, allmaehlich das Publikum sich heranziehen und gegen 1914 eine geachtete Stellung unter den lothr. Sportvereinen einnehmen.“6
Die Entwicklung in Saargemünd verlief in anderen größeren lothringischen Orten in ähnlicher Weise. Schon bald wurde Saargemünd von Metz in seiner sportlichen Bedeutung abgelöst. Die Hauptstadt des Bezirks Lothringen wurde zur Drehscheibe für die Entwicklung des lothringischen Fußballs. Auch hier waren Vereine vor allem von zugewanderten Lehrern und Kaufleuten gegründet worden. Schüler und Studenten brachten das Spiel in die umliegenden Dörfer und Industrieorte.7 1905 wurde das Jahr der Vereinsgründungswelle. Nicht nur in Lothringen, viel stärker noch im Saarrevier, das damals territorial teilweise zu Preußen oder Bayern gehörte. 1907 wurde im Süddeutschen Fußballverband, der damals Verband Süddeutscher Fußballvereine hieß, der Saargau gegründet. Ihm gehörten Fußballvereine von Metz über Saarbrücken und Neunkirchen bis Trier an. Bald schon entwickelte sich ein Ligabetrieb auf mehreren Ebenen. Der Wettkampfbetrieb nahm zu, die Vereine befanden sich auf Wachstumskurs. Mit dem Zweiten Vorsitzenden stammte zudem ein prominenter Vertreter aus dem Saargau: Ludwig Albert war Rechtsanwalt in Metz.8
Was zeigt diese Episode aus der Gründerzeit des Fußballsports auf? In Hinblick auf das Wesen des Fußballsports, seinen Eigensinn, seine Funktion? Für die Gründerzeit in Lothringen stellte Alfred Wahl fest, dass die Sportvereine Orte der Integration für die Bevölkerung gewesen seien.9 Hier kam es tatsächlich zu einem sozialen Miteinander der eingewanderten „Altdeutschen“ und der Einheimischen. Zugleich kam es aber auch zur Herausbildung einer segregierten, exklusiven bürgerlichen Fußballvereinskultur, die sich ihrerseits auch wieder abgrenzte zu anderen Vereinen oder auch von anderen Akteuren ausgegrenzt wurde.
Die bürgerlichen Fußballvereine als Forschungsgegenstand in transnationaler Perspektive
Die sogenannten bürgerlichen Fußballvereine im Saarland und im angrenzenden Departement Moselle sind Forschungsgegenstand einer Dissertation, die 2014 als Monografie erschien.1 Analysiert wurden die Vereine von ihrer Gründung um die Jahrhundertwende bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Es war ein Zeitraum, der von mehreren politischen und sozialen Umstürzen und Verwerfungen überlagert war. Verwiesen sei an dieser Stelle beispielsweise auf den Retour der Moselle nach Frankreich im Jahr 1919 sowie die Herausbildung des Saarlandes als kulturelle Einheit unter dem Eindruck zweier Besatzungserfahrungen, aber auch unter dem Eindruck der dynamischen montanindustriellen Entwicklung an der Saar. Zugleich waren die ersten fünfzig Jahre des 20. Jahrhunderts auch ein Zeitraum, in dem es im Fußballsport – verstärkt nach dem Ersten Weltkrieg – zu einer dynamischen Weiterentwicklung des Sports selbst kam, der bereits die Zeitgenossen überforderte. Die Schlagworte zur Charakterisierung dieser Epoche sind bis heute gültig: Popularisierung, Kommerzialisierung und Professionalisierung.
Die Fußballvereine befanden sich im Spannungsfeld des autonomen Agierens einerseits und der Indienstnahme des Sports durch Dritte andererseits. Gefragt wurde nach den Gründen und den Motiven, warum die Vereine und Verbände so agierten, wie sie agierten. Nur zwei Beispiele: Obwohl die aus dem bürgerlichen Umfeld stammenden Vereine vor dem Ersten Weltkrieg eine stramme patriotische Gesinnung an den Tag legten, war eine Mitgliedschaft der Vereine im Jungdeutschland-Bund höchst umstritten. 1911 von deutschen Regierungsstellen als paramilitärische Dachorganisation von Jugendvereinigungen gegründet, sollte dieser dazu dienen, die Jugend vormilitärisch auszubilden und an die Armee heranzuführen.2 Gerade viele Fußballvereine sahen eine Mitgliedschaft allerdings kritisch, da sie einerseits eine Militarisierung ihrer Vereine befürchteten und andererseits die männliche Jugend lieber auf dem eigenen Sportfeld sahen als bei Übungen der Wehrerziehung.3
Als nach dem Ersten Weltkrieg der Umsturz im Deutschen Kaiserreich erfolgte, stellte es für den Süddeutschen Fußballverband nach jahrelanger Kooperation mit den kaiserlichen Eliten und einer zweifellos nationalistischen Ausrichtung kein Widerspruch dar, im Februar 1919 auf einem Verbandstag öffentlichkeitswirksam einen „Revolutionsgruß“ abzusetzen.4 In der Zeit des Nationalsozialismus zeigten sich die Vereine dann wiederum – wie die gesamte Gesellschaft – sehr kooperativ, wenn der Ausschluss jüdischer Vereinsmitglieder gefordert wurde.
Was waren die Motive der Sporttreibenden? In der Dissertation wurden die Fußballvereine als aktive gesellschaftliche und sportpolitische Akteure beschrieben, die „eigene Interessen“ verfolgten, die „aus dem Bereich des Sports selbst kamen“. Bei diesem Selbstverständnis stand pragmatisches Vorgehen im Vordergrund aller Handlungs- und Verhaltensweisen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen: Alles musste sich dem Streben nach sportlichem Erfolg unterordnen. Das performative Geschehen auf dem grünen Rasen – im Saarland war dies eher der rote Hartplatz – stand somit in direktem Zusammenhang mit dem (sport-)politischen Handeln der Vereinsfunktionäre. Dies war der signifikante Unterschied zu den Turnvereinen und bestimmte deren Tätigkeit. Beschrieben werden kann dies als Vereinspragmatismus. Es setzte eine Dynamik frei, die für den Fußballsport eine sich immer steigernde Professionalisierung und Kommerzialisierung mit sich brachte und zu Zielformulierungen führte, die mit jenen des außersportlichen Umfelds und des Staats kollidieren konnten – aber nicht mussten. Denn die Ziele der Vereine implizierten nicht generell oppositionelle Verhaltensweisen, vielmehr waren die Vereine in der Regel staatstragende Akteure. Sie waren in der bürgerlichen Vereinskultur verwurzelt und affirmatives Verhalten war grundsätzlich auch eine wichtige Grundvoraussetzung dafür, überhaupt erfolgreich agieren zu können.
Im Folgenden werden zwei Beispiele dafür gezeigt, wie der Fußballsport bereits in seiner Frühphase sowohl der Integration wie auch der Exklusion dienen konnte. Voraussetzung war dabei, dass der Fußball von Dritten für außersportliche Zwecke instrumentalisiert werden sollte. Dabei geht es zum einen um die Versuche sozialer und konfessioneller Milieus, den Fußballsport für sich nutzbar zu machen. In einem zweiten Beispiel wird am Beispiel der Moselle nach dem Ersten Weltkrieg aufgezeigt, wie sehr der Fußball von staatlicher Seite, aber auch vom Sport selbst als sportpolitischer Inszenierungsraum genutzt wurde.
Im Westen viel Neues: Die Indienstnahme des Fußballsports für außersportliche Zwecke seit 1900
Von Turnern, Arbeitern und Katholiken
Die traditionelle Deutsche Turnerschaft stand den sogenannten „english sports“ und insbesondere dem Fußballspiel zunächst ablehnend gegenüber. Kritisiert wurden insbesondere das Wettkampfspiel, das ständige Umherreisen und die vermeintliche Verlotterung der Jugend. Der englische Sport wurde als unpatriotisch und als „Produkt eines materialistischen Individualismus“ gebrandmarkt, während die turnerischen Leibesübungen der Bildung einer kulturellen „Volksgemeinschaft“ dienten. Letztendlich ging es dem bürgerlichen Turnen aber in erster Linie darum, die numerische, kulturelle und soziale Vorherrschaft gegenüber dem Sport nicht zu verlieren.1 Sportvereine wurden auf kommunaler Ebene zu knallharten Konkurrenten, wenn es um die Spielplatzvergabe ging oder die Jugend nun einen Sportverein bevorzugte. Es war also eine Flucht nach vorne, als die Turnvereinsvorstände es zähneknirschend akzeptierten, dass in ihren Turnvereinen nun Spiel- und Sportabteilungen gegründet wurden, in welchen die Jugend nun Fußball spielen konnte. Wenn der Fußball schon nicht zurückgedrängt werden konnte, so sollte er zumindest als „volkstümliches Turnspiel“ eingebunden werden, um die Jugendlichen