Hans-Peter Dr. Vogt

Die unschuldige Königin


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      „Klo“, sagt der alte Mann. „Das spülen wir ins Klo. Wir wollen nicht, dass dieses Pulver jemals noch ein Leben zerstört. Jetzt weißt du, was du in den letzten Wochen getan hast.“ Er steht auf und reicht Elvira die Hand. „Danke. Du hast uns sehr geholfen.“

      Elvira sieht Lara an. „Und das Geld? Das sind doch riesige Mengen. Was machen wir damit?“

      Lara lächelt. „Die Kids im Tunnel brauchen Monatskarten. Sie brauchen medizinische Versorgung. Die Suppenküchen in Berlin und die Kleiderläden des Roten Kreuzes brauchen unsere Unterstützung. Wir haben ein paar geheime Wohnungen und wir haben Unkosten. Die Rechtsanwälte müssen bezahlt werden, die eingreifen, wenn mal eins der Kids aufgegriffen wird. Viele junge Musiker und Tänzer im Zentrum erhalten von uns ihre Ausbildungskosten und ihre Wohnungen finanziert. Keine Sorge. Das Geld wird gut angelegt.“

      „Sind wir hier fertig“, fragt Lara und der alte Mann nickt. Lara nimmt Elvira an der Hand und springt mit ihr zurück in Omas Wohnung. „Jetzt hast auch du ein Geheimnis“, sagt sie, und hält den Finger an den Mund. „Whow“, sagt Elvira.

      2.4.

      Elvira ist im Alter, wo sie einen Busen bekommt. Sie ist gewachsen. Sie hat Hüften und eine richtige Taille bekommen. Sie hat jetzt Haare zwischen den Beinen und ihre Monatsblutung hatte bereits eingesetzt. Das ganze Wesen hat sich verändert, aber Elvira ist fest eingebunden in ein Netz aus Freunden. Es ist schwer, aus diesem Netz zu fallen.

      Tatsächlich schielt Elvira seit dieser Zeit auf Jungen. Sie betrachtet die Jungs jetzt anders. Sie nimmt ganz andere Schwingungen wahr. Erregungen, Sehnsüchte. Hoffnungen, Angst und Aggression. Elvira staunt.

      Sie weiß durch die regelmäßigen Treffen mit den Geschwistern, dass Irina jetzt einen festen Freund hat. Er heißt Paolo und ist Spanier. Er geht mit Irina in dieselbe Schule und sie schlafen miteinander. Wenn Elvira sich konzentriert, dann kann sie solche Schwingungen sogar spüren. Es sind ganz besondere Schwingungen. Erregung, Lust, Vertrauen.

      Elvira war am Anfang verblüfft, dann versuchte sie dieses Phänomen zu erfassen. Sie konzentrierte sich, und sie spürte dieses Gefühl nun auch bei anderen Personen. Sie spürte, dass Ihre Freunde Emmi und Louis miteinander schlafen. Sie spürte es, wenn Opa Leon und Oma Katharina miteinander schlafen, und wenn sie sich konzentriert, dann kann sie in der Gruppe von Menschen, in der sie steht auch spüren, ob es solche Kontakte zwischen den einzelnen Personen gibt.

      Es ist ein Phänomen. Sie erzählt Lara davon und Lara meint. „Du spürst etwas, was viele in unserer Familie spüren, aber so ausgeprägt, wie bei dir habe ich das noch selten erlebt. Chénoa kann das. Die beiden Ramons können das und noch ein paar andere. Rede mit ihnen, wenn du sie das nächste Mal triffst.

      2.5.

      Elvira tut, was Lara ihr geraten hat, und Ramon (der Sohn von Tante Clara) hört ihr gut zu. „Du bildest da gerade eine besondere Fähigkeit aus“, meint er. Lass uns das ein wenig trainieren. Setze dich dann wieder mit Lara in Verbindung. Suche die Geigerin Conny auf und rede mit Pablo und Maria Anethé. Sie können dir eine neue Welt aufschließen.“

      Also redet Elvira wieder mit Lara und Lara nickt. Sie nimmt Elvira in eins der nächsten Konzerte von Tante Conny mit. Das ist in London. Lara steht mit Elvira hinter der Bühne. Es gibt einen kleinen Schlitz, so dass sie das Publikum sehen können. Conny spielt auf ihrer Geige, begleitet von der Londoner Philharmonie. Lara fasst jetzt nach Elviras Hand und sie beginnt zu summen.

      Solche Schwingungen hat Elvira in ihrem Leben noch nicht vernommen. Sie sieht, wie wahre Wellen von Energie in den großen Saal fließen. Sie sieht, dass Lara diese Energie mit Botschaften versetzt. Sie sieht, wie die Zuhörer ihre Sinne öffnen und diese Botschaften aufnehmen. Sie sieht das Glück und die Bereitschaft, etwas Neues bewegen zu wollen. Elvira steht die ganze Zeit neben Lara. Sie hört zu. Sie sieht diese Bündel von Energie. Sie staunt.

      Am selben Abend fahren sie ins Hotel. Elvira sieht Lara an und fragt wortlos, „und das war jetzt erlaubt?“ Lara gibt ihr ein Zeichen zu warten. Später liegen sie gemeinsam in dem großen Bett des Doppelzimmers und Lara erklärt. „Wir machen das schon lange. Chénoa, ich, Pablo und Maria. Jeder auf seine Weise. Ja, das hat nichts mit persönlicher Bereicherung zu tun. Wir beeinflussen die Menschen. Wir versuchen ihnen Botschaften zu schicken. Du hast gespürt, was ich ihnen gesagt habe?“

      „Nicht ganz“, sagt Elvira, und Lara erklärt. „Die Welt ist in Unordnung. Ich benutze diese Plattform, um Menschen mit neuen Gedanken zu infizieren. Wir wollen, dass die Meere sauberer werden. Wir wollen, dass die Gewalt zwischen den Menschen schwindet. Wir wollen, dass die Tiere mehr geachtet werden, und wir wollen einige politische Ziele verwirklichen. Vieles wird dir noch nichts sagen. Willst du mehr wissen?“

      So beginnt Lara, Elvira jetzt öfters mitzunehmen, zu solchen Konzerten. Maria nimmt sie mit zum Fernsehen, wenn sie die Abendschau moderiert. Pablo nimmt sie mit in dieses Studio, wo er Sendungen für andere Sender zusammenstellt, um sie zu verschicken. Er nimmt sie mit in diese Presseagentur, für die er arbeitet.

      Elvira lernt, dass sie alle summen. Sie versetzen die Nachrichten mit Botschaften. Sie sprechen das nicht in Worten aus, aber die Botschaften sind da, und sie werden von jedem gehört, der diese Sendungen anschaut. Niemand hört das als gesprochenes Wort. Es sind Botschaften, die sich ins Unterbewusstsein einklinken. Sie sind da. Sie werden vernommen, aber niemand weiß davon, dass er gerade beeinflusst worden ist.

      Elvira sieht. Sie hört zu und sie staunt. Dann beginnt sie sich für den Inhalt der Botschaften zu interessieren.

      Die Geschwister hatten längst angefangen, solche Kräfte zu trainieren. Manchmal wird Elvira Zeugin davon, wenn Ramon andere Menschen mit Botschaften versorgt. Sie weiß, dass auch Irina das kann, aber dieses Ausmaß, das sie bei Lara, Pablo und Maria erlebt hat, das ist gigantisch.

      Einmal wird Elvira von Lara mitgenommen zu einem Pop Konzert in die USA. Es ist eines dieser riesigen Open Air Konzerte, die es dort mitten auf der „grünen Wiese“ gibt. Vielleicht 150.000 Menschen sind dort zusammengekommen, oder auch viel mehr.

      Sie erlebt bei diesem Konzert zum ersten Mal (wie sie glaubt) die ganze Kraft ihrer Tante Chénoa. Chénoa summt nicht. Sie sendet einfach diese Bündel von Energiewellen aus, völlig geräuschlos. Elvira staunt. Chénoa ist, wie ein Orkan. Die Menschen knicken vor ihr ein und werden willenlos, bevor ihnen Chénoa neue Kraft einhaucht, die sie mit Botschaften versetzt. Chénoa hätte mit diesen Menschen alles tun können, aber Chénoa geht es nur um eins. Sie will Botschaften vermitteln, über die Notwendigkeit, die Umwelt zu erhalten. Über die Notwendigkeit, zärtlicher miteinander umzugehen. Über die Notwendigkeit, ein neues Weltwährungssystem zu errichten, aber auch über die Notwendigkeit, Drogen zu vermeiden. Egal, ob harte Drogen, Alkohol oder Tabak.

      Es ist tatsächlich so, dass bei diesem Festival die Bierverkäufer auf ihren Vorräten sitzen bleiben. Die Tabakverkäufer sind außer sich. Die Anbieter von harten Drogen (und die gibt es immer bei solchen Festen), die gehen nach Hause ohne einen Cent in der Tasche. Elvira ist platt. Sie sieht Lara fragend an und Lara zuckt nur bedauernd mit den Schultern. „Wir versuchen unser Bestes“, scheint sie zu sagen, „aber an die Kräfte von Chénoa kommen wir nicht heran.“

      Nun ahnt Elvira, warum Chénoa zur Generaldirektorin der Firmengruppe gemacht worden ist. Von diesen Kräften hatte sie bisher keine Ahnung gehabt.

      Also beginnt Elvira die Augen weiter aufzumachen, und sie beginnt diese Art von Kräften zu trainieren. Mit Lara, mit Maria, mit Ramon. Ramon nimmt sie auch einmal mit zu den Treffen, die er mit Chénoa hat. Nur Chénoa, die beiden Ramons und Chénoas älteste Tochter Clarissa Thébo. Sie treffen sich oben bei Onkel Nakoma im „Schulungszentrum“ der Kinder und Elvira staunt wieder. Es ist, als ob die Wände des Schulungszentrums sich plötzlich dehnen und dann nach außen springen. Sie sieht plötzlich