die vorwiegend Videoclips für Musiker und für die Werbung dreht. Lara ist oft bei Ihrer Mutter im Musikzentrum. Schließlich leitet Oma Katharina dieses Zentrum seit über 40 Jahren. Lara kennt all diese Musiker, Tänzer und die Cracks in den Halfpipes, die im Zentrum ein- und ausgehen. Sie hat vielen dieser Cracks zu Bekanntheit und Ruhm verholfen und sie hat Elvira schon viele Kontakte in ihrem erst zwölfjährigen Leben vermittelt.
Weil Elvira bei Oma Katharina im Zentrum aufgewachsen ist, war Lara so etwas wie eine zweite Mutter für sie geworden. Lara ist nicht einfach nur Lara. Sie hat enorme übersinnliche Kräfte. Sie kann Menschen beeinflussen und steuern, und sie hat Elvira seit der Geburt in ihre „Schule“ genommen. Dann wohnen auch noch Pablo und Maria Anethé bei Oma. Zwei von Opas erwachsenen Kindern aus Peru. Sie haben in Berlin studiert. Pablo ist jetzt 27 und Maria ist 25. Sie arbeiten jetzt beim Fernsehen und in der Presse, aber sie wohnen immer noch bei Oma Katharina. Naja. Nicht direkt in der Wohnung. Auf der Etage gibt es mehrere Gästewohnungen, die für die Familie reserviert sind.
In einer dieser Wohnungen wohnen Pablo und Maria Anethé. Sie haben einen spanischen und einen altindianischen Namen. So heißt Pablo mit seinem zweiten Namen zum Beispiel Mathé, was soviel heißt, wie „der weise Heerführer“. Nun ja. Das war eine andere Kultur.
Maria und Pablo haben sich in Berlin richtig eingelebt. Pablo hat inzwischen eine Freundin. Sie ist Dänin und arbeitet mittlerweile bei einer Zeitung in Kopenhagen. Sie hatten sich über das Studium kennengelernt. Birthe hat eine Weile mit Pablo zusammen gewohnt, und auch Maria hat einen Freund. Ricky ist Engländer. Er managt Musikgruppen. Er hat im Zentrum ein großes Büro, er hat eine große Wohnung in Berlin, und er hat in London noch ein zweites Büro. Ricky ist gut im Geschäft. Durch Maria ist seine Zukunft natürlich gesichert. Maria hat durch Oma Kontakte, die Ricky viele Türen aufschließen können.
In letzter Zeit hat Elvira zu Pablo und Maria jedenfalls nicht soviel Kontakt gehabt. Sie sind viel unterwegs und sie gehen jetzt ganz in ihrem Job auf. Sie haben manchmal Konferenzen mit Oma und Katharina, wo sie Elvira nicht mitnehmen, aber sie sind natürlich auch oft bei Oma zu Besuch. Manchmal zum Frühstück, oder am Abend. Dann wird immer viel gelacht und es werden Dinge besprochen, die Elvira hochinteressant findet. Manches kann sie mit ihren 12 Jahren auch noch nicht verstehen.
1.7.
Opa Leon hatte fünf Kinder mit Oma Mila in Peru gezeugt und zwei Kinder mit Oma Katharina in Berlin. Dann war da noch Onkel Nakoma. Auch der ist Opas Sohn, aber der ist nur wenige Jahre jünger als Opa Leon, und das kam so: Opa Leon war in jungen Jahren mehrfach in Südamerika gewesen. Dort hatte er auch die Königsstadt der Péruche entdeckt. Ein purer Zufall? Vielleicht. Opa Leon hatte irgendwelche Schwingungen gespürt, dann war er mit seinen Gedanken in die Erde unter ihm gekrochen. Dann hatte er gegraben, und er hatte Wertvolles gefunden. zwei Wochen später war er wieder da, diesmal in Begleitung von Oma Mila und einem Indio, den sie in den Bergen aufgelesen hatten, und der ihnen als Führer gedient hatte. Das ist Nakoma. Wie durch ein Wunder hatte er plötzlich auch die Kräfte erhalten, die Elviras Familie auszeichnen.
Elvira ist mit den Geschichten der Familie vertraut, aber sie ist weit davon entfernt, alle Enkelkinder von Opa zu kennen. Onkel Nakomas fünf Kinder haben selbst schon fast alle Kinder, und zusammengenommen hat Opa heute schon weit über 60 Kinder und Enkelkinder. Da ist es schon schwer, alle zu kennen und alle Namen zu wissen. Sie leben ziemlich verstreut in Amerika und in Deutschland. Elvira kennt nicht einmal die Hälfte davon. Dass es so viele Enkelkinder sind, liegt auch daran, dass Elviras Vater Paco und Onkel Fred so viele Kinder in die Welt gesetzt hatten, teils wahllos und teils ganz bewusst. Elviras Vater hatte es getrieben, wie ein durchgeknalltes Karnickel, und Elvira ist nicht stolz darauf, aber es ist nun mal so, wie es ist.
Von diesem Geschehen in Amerika ist Elvira immer weit weg gewesen. Sie ist hier in Berlin geboren und sie ist hier aufgewachsen. Sie kennt Lara, Pablo und Maria Anethé und sie kennt auch Irina und Dimmy, die jetzt bei Opa Leon in Wittenberge wohnen. Sie kennt einige der Geschwister in Peru und Mexiko. Viel mehr weiß Elvira nicht über die weitverzweigten Familienverbindungen.
Als Irina im Spätsommer gefordert hatte, dass sich die Kinder und Enkelkinder von Opa Leon endlich alle kennenlernen sollten, damit die Familie ihren Zusammenhalt wiederfindet, hatte Elvira das richtig gut gefunden. Sie war erst zwölf und bisher war das nicht ihre Sorge gewesen, aber der Vorfall dort in Amerika hatte sie nachdenklich gemacht. So etwas wie mit Boris durfte nie mehr passieren. Es war das erste Mal, dass ein Mitglied der Familie seine Kraft verloren hatte. Sie würden sich in Demut üben müssen, das ist Elvira jetzt klar.
Anders als in Wittenberge, ist das geplante Treffen in Peru nur für die Enkelkinder der Familie. Alle Kinder, die irgendetwas von den übersinnlichen Fähigkeiten geerbt haben. Viele von ihnen sind darin nur ungenügend ausgebildet. Nicht alle werden kommen, aber vielleicht 30 oder 35. Elvira weiß das nicht genau.
Sie wird endlich einmal einen großen Teil der Geschwister kennenlernen und etwas über die Städte und Familien erfahren, in denen die einzelnen Kinder leben. Sie werden aber auch gemeinsam über die Hochebene reiten, dort in Peru, sie werden alle im Freien campieren. Sie werden sich in Tiere verwandeln und sie werden versuchen, elektrische Felder zu produzieren. Das wird sicher Abenteuer pur und es ist ein Stück Familie. Ihre leibliche Familie.
Elviras kleine Geschwister müssen zu Hause bleiben. Sie haben nicht das Blut von Opa Leon. Sie haben nicht die Kraft, durch den Raum zu gehen, so wie Elvira. Sie sind traurig, dass Elvira sie verlassen wird, aber Elvira wird ja wiederkommen. Mama hat Elvira an sich gedrückt. Sie weint ein bisschen. Nein, es ist keine Trauer. Es ist Glück, dass Elvira diese Chance bekommt. Juanita unterstützt Elvira in all diesen Dingen. Sie hat von Oma Katharina, von Opa Leon und von Lara gelernt, dass auch sie und all ihre Kinder ein Teil der Familie sind. Nicht so, wie Elvira, sie wird nie diese Kräfte haben, aber Elvira, die soll die Chance bekommen, mehr aus sich zu machen.
Elvira schnürt sich einen warmen Schlafsack und eine Isomatte. Sie packt sich eine Tasche mit warmer Kleidung, denn im Herbst kann es auf der Hochebene schon ziemlich kalt werden, und sie springt jetzt zu Opa Leon nach Wittenberge. Sie kennt die Adresse. Nur dadurch geht das, dieser Sprung in Opas Haus in Wittenberge.
Opa Leon und seine neue Frau Vera werden mitkommen nach Peru. Wie eine Hochzeitsreise, aber Elvira weiß natürlich, dass Opa Leon den Kontakt zu seiner Familie halten will. Es ist eine Art Urlaub im Kreis der Familie. Irina und Dimmy werden natürlich auch mitkommen.
Elvira kennt die beiden schon seit ein paar Jahren. Eigentlich nur flüchtig. Sie sind ein paar Mal in Berlin gewesen und sie leben jetzt in Wittenberge. Es wird Zeit, einmal mehr voneinander in Erfahrung zu bringen.
Lara hatte ein paar Mal mit Elvira darüber geredet. „Ihr seid inzwischen so viele, aber ihr kennt euch nicht einmal. Es wird Zeit, dass wir das organisieren. Wir können das nicht beeinflussen, ob ihr euch versteht und ob ihr lernt, euch als Geschwister zu fühlen. Das ist eure Aufgabe. Ihr habt das in der Hand. Ihr entscheidet, ob die Familie zusammenwächst oder auseinanderfällt.“
Elvira war ein paar Mal bei wichtigen Konferenzen der Familie dabei gewesen. Sie hatte diesen inneren Zusammenhalt gespürt, und sie weiß auch, wie wichtig dieser Zusammenhalt ist. Bei ihren Freunden im Berliner Untergrund ist das so. Im Musikzentrum ist das so, und zuletzt hatte sie das bei Opas Hochzeit in Wittenberge erfahren. Ja wirklich. Dieser innere Zusammenhalt gibt ihnen unendlich viel Kraft.
Irgendwann wird die Verantwortung auf den Schultern ihrer Generation liegen. Elvira ist noch sehr jung, aber das weiß sie genau. Das muss gut vorbereitet werden. Sie wird die Kraft der Familie noch brauchen.
1.8.
Im Laufe des Tages trudeln alle bei Onkel Nakoma ein. Nakoma hat inzwischen eine Art Gästehaus und eine große Halle gebaut, nur für die Familienmitglieder. Es gibt gemeinsame Schlafsäle für zehn bis zwölf Kinder, die mit Matratzen ausgelegt sind, und es gibt Zweier-, Dreier- und Viererzimmer.