Andrea Ross

Himmel (jetzt reicht's aber)


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das Gesuchte zu enthalten. Stephen lugte ins Zimmer, wollte seine Mutter mit einem Kaffee aus ihrer Grübelei retten.

      »Du kommst gerade recht«, seufzte sie resigniert. »Ich muss dich unbedingt etwas fragen, auch wenn ich weiß, wie wenig du aus nachvollziehbaren Gründen mit Vater kommuniziert hast. Aber ich kann bestimmte Dokumente einfach nicht finden, vielleicht hat er ja trotzdem dir etwas darüber verraten!«

      Stephen konnte sich durchaus denken, was sie suchte. »Jetzt komm erst mal mit hinunter, wir trinken auf der Terrasse einen Kaffee. Ich glaube, mir sind da einige Zusammenhänge klarer als dir. Zwar kann ich dir schlecht erklären warum – doch ich habe Vater im Laufe der Zeit besser kennen gelernt, als du denkst.«

      Natürlich hatte er das; schließlich musste er gleich zwei Erwachsenenleben mit Thomas McLaman verbringen, das zweite sogar wegen der intensiven Zusammenarbeit bei der LAMANTEC AG ziemlich auf Tuchfühlung. Doch das konnte er seiner Mutter SO nicht erzählen, auf keinen Fall.

      Mutter und Sohn nahmen auf der Terrasse neben dem Pool Platz. Stephen liebte diese Stelle ganz besonders, denn ein namhafter Gartendesigner hatte vor einigen Jahren begeistert seine spontane Idee aufgegriffen und eine kleine Wasserkaskade geschaffen. Die ergoss ihr Wasser nun gurgelnd und glucksend wie ein Bach in einen kleinen Teich, der optisch nur durch ein dekoratives Bruchstein-Mäuerchen von der geschwungenen Silhouette des Schwimmbeckens getrennt war.

      Schweigend genossen beide ihren heißen Kaffee, jeder für sich in Gedanken versunken. Dann klärte Stephen seine Mutter schweren Herzens auf.

      »Es gibt kein Testament und auch keine Lebensversicherung, Mama. Du brauchst gar nicht weiter danach zu suchen. Vater war halt so – nach ihm die Sintflut. Er war ein Mensch, der auch nie ernsthaft ins Kalkül gezogen hätte, vorzeitig abzuleben. Es durfte ohnehin keinerlei Umstände geben, die er nicht selbst kontrollieren konnte. Nicht einmal den Tod. Tut mir leid, aber ich glaube, wir müssen ohne solche hilfreichen Verfügungen zu Recht kommen.«

      Kirstie starrte ihn erschrocken an. »Wie kannst du das wissen? Selbstverständlich kenne ich seine Denkweisen … aber dass er so weit gehen konnte?« Sie blickte ungläubig drein, sträubte sich innerlich gegen die bittere Erkenntnis, dass es ihrem verstorbenen Mann tatsächlich egal gewesen sein könnte, wie sie nach seinem Tod in finanzieller Hinsicht überleben würde.

      »Ich bin mir ziemlich sicher, aber durchsuche ruhig weiter seine Unterlagen, wenn du mir nicht glaubst. Rufe zur Sicherheit seinen Anwalt an, falls er bei diesem oder einem Notar Verfügungen hinterlassen hat. Aber ich würde mich an deiner Stelle von vornherein damit abfinden, dass diese Bemühungen höchstwahrscheinlich vergeblich sein werden. Das hält hinterher wenigstens die Enttäuschung in Grenzen.«

      Als Stephen registrierte, wie schockiert seine Mutter auf ihre Fingernägel starrte, taten ihm seine allzu nüchternen Ausführungen leid; er stand auf, legte ihr die Arme um die Schultern und sagte in weitaus einfühlsamerem Ton: »Wie dem auch sei – du bist nicht allein, schließlich hast du noch mich! Ich werde dir helfen, wo ich nur kann. Zum Beispiel kann ich in der Firma nach dem Rechten sehen, deren Leitung an Vaters Stelle übernehmen und die existierenden Projekte fortführen, das wird mir eine Ehre sein. Du wirst sehen, ich bringe die LAMANTEC AG eines Tages ganz groß raus!«

      Jetzt sah Kirstie drein, als sei er Münchhausen persönlich, der gerade üble Lügengeschichten erzählt. »Stevie, sei mir bitte nicht böse, aber du hast dich noch nie für die Firma deines Vaters interessiert, ganz im Gegenteil! Was ihn übrigens sehr enttäuscht hat, doch das ist dir bekannt. Dir fehlt es an sämtlichen Kenntnissen über dieses Imperium, genau wie mir auch. Also, entweder Simon bekommt das in Kürze auf die Reihe, oder wir müssen uns zurückziehen und unsere Anteile verkaufen!«

      »Simon? Wieso Simon?« Stephen kramte in seiner Gehirnschublade. Ach, genau! Siedend heiß fiel es ihm wieder ein. Anders als in seinem zweiten, parallelen Leben gab es Simon Jansen im ersten Leben als seinen Vorgesetzten und er selbst war nur ein ihm unterstellter Programmierer gewesen, der weisungsgebunden arbeitete. Aber hatte Simon überhaupt 2004 schon eine Anstellung bei der LAMANTEC inne gehabt?

      Kirstie stöhnte. »Stimmt, du weißt es ja noch gar nicht! Vater wollte nächste Woche mit dir reden und befürchtete schon im Vorfeld, dass du dich mit ihm anlegen würdest. Genauer gesagt rechnete er fest mit deiner Absage. Also, zur Verdeutlichung: dein Vater wollte dich einstellen. Er hatte gemeint, dass du gefälligst dein Potential in das einstige Familienunternehmen einbringen sollst, anstatt mit deinen Programmen konkurrierende Firmen reich zu machen. Aber er kannte natürlich auch deine Einstellung zu allem, was mit seiner Person zu tun hatte. Insbesondere dein Problem, dich ihm bedingungslos unterzuordnen. Von der Pike auf hättest du dich in der Firma hocharbeiten sollen und gerade deshalb rechnete er nicht ernsthaft mit deinem Einverständnis. Aus diesem Grund sagte er diesem Simon gegen meinen Widerstand schon mal unter Vorbehalt zu, auch wenn die Verträge noch nicht unterzeichnet sind. Tut mir leid, aber haargenau so war das!« Himmel noch mal, genau dieses Gespräch mit Vater war einst dafür verantwortlich gewesen, dass er nach Spanien auswanderte! Nur mit seiner Harley, den Klamotten auf seinem Leib und dem Notebook. Viel mehr hatte nicht in den Rucksack gepasst, den er in sein neues Heimatland mitnahm. Doch dieses Mal hatte Vater sich vorzeitig ins Nirwana verfügt, dieses emotionsgeladene Gespräch würde nicht mehr stattfinden können.

      Er sah seiner Mutter fest in die Augen. »Simon ist recht gut und ein netter Kerl obendrein. Aber er ist nicht innovativ genug, nicht wirklich brillant. Da die Verträge noch nicht unterzeichnet sind, können wir ihn immer noch als gewöhnlichen Programmierer ohne Aufstiegsoption einstellen, meinetwegen auch zur Koordination der einzelnen Programmbestandteile bei den Projekten. Aber die Leitung des Unternehmens und den Überblick darüber möchte ich mir selbst vorbehalten! Bitte vertrau mir; ich bin sicher, dass die Firma nahtlos weiterlaufen sowie sogar ihren Umsatz steigern wird.«

      Kirstie war schlichtweg baff. »Du kennst Simon? Woher hast du denn Informationen über seine Qualifikation? Und wieso glaubst du, dass du die Firma im Griff hättest? Du weißt, wir haben einen Aufsichtsrat. Das ist eine Schlangengrube, vielen war Thomas schon lange ein Dorn im Auge, sie kamen nur nicht gegen ihn an. Wie könntest DU dich da behaupten?«

      Wie sollte er seiner Mutter nun das wieder erklären, ohne ausgiebig über seine Erfahrungen aus den Vorleben berichten zu müssen?

      Er verfügte als Programmierer über mindestens 60 Jahre Berufserfahrung aus zwei Karrieren und obendrein über Kenntnisse, die Innovationen bis 2029 beinhalteten. Im letzten Leben hatte er sich sogar die Firmenleitung mit Vater geteilt, dieser war für Finanzen und PR zuständig gewesen, er selbst für die technische Seite der Medaille. Simon war beim ersten Mal sein Chef gewesen, beim zweiten Mal ein einfacher Programmierer.

      In nur scheinbar gelassenem Ton bat Stephen daher Kirstie: »Lass uns das in Ruhe angehen, Mama. Morgen gehe ich erst einmal ins Büro, die Lage checken. Ich schau mal, ob ich die Kombination für den Safe herausbekomme, da drin sind die Quellcodes und die wichtigsten Papiere aufbewahrt. Ich unterhalte mich zunächst mit Vaters Sekretärin, die wird hoffentlich auch so einiges wissen. Danach sehen wir weiter, okay? Vielleicht kann ich durch Kompetenz überzeugen.«

      Kirstie stimmte halbherzig zu, was sollte sie auch anderes tun? Allerdings machte sie sich schon ein paar Sorgen, als sie ihren Sohn beobachtete, wie er zurück ins Haus schlenderte. Sah er wie ein angehender Firmenchef aus, wie ein Aufsichtsratsvorsitzender? Eindeutig nein.

      * * *

      An diesem ersten Tag seines dritten Lebens ereilte Stephen die zweifelhafte Freude, im Zimmer seiner Jugendzeit zu Bett gehen zu dürfen. Es fühlte sich seltsam an, von heute auf morgen wieder jung zu sein, genauer gesagt 25 Jahre jünger als zum Zeitpunkt seiner Erschießung auf dem Hamburger Flughafen.

      Tagsüber hatten sich die turbulenten Ereignisse überschlagen, er war jeweils nur aus aktuellen Situationen heraus zum Nachdenken und Handeln gezwungen gewesen. Erst dieses makabre TrauerEvent nach Vaters Beerdigung, dann das Wiedersehen mit Belinda

      … bislang hatte er sich weder ausreichend mit sich selbst, noch mit seiner neuen Situation befassen können. Geschweige denn mit der Frage, welche grobe Planung er für den Beginn seiner neuen und allerletzten Chance als