sog. „Rheuma-Klinik“-Entscheidung vom 6.5.2003, dass ein Sozialplan nicht deswegen zu hoch sei, weil das realisierte Einsparvolumen durch die Maßnahme um das doppelte überschritten wurde.8 Eine absolute Höchstgrenze ist jedoch auch damit nicht festgelegt. Vielmehr kann eine mögliche Einigungsstelle bei Betriebsänderungen, die auf langfristige Wirkungen angelegt sind, auch einen auf einen längeren Zeitraum bezogenen „Aufzehreffekt“ in Kauf nehmen, ohne dass aus diesem Grunde ihr Ermessensspielraum überschritten wäre.9
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Als weitere Möglichkeit der Bemessung bzw. Beeinflussung der Höhe des wirtschaftlichen Nachteilsausgleichs ist die Ausarbeitung von Alternativmaßnahmen zu benennen. Der Betriebsrat kann im Rahmen der Beratungen zur Betriebsänderung ein Alternativkonzept ausarbeiten. Dieses könnte im Idealfall die gleichen wirtschaftlichen Effekte zur Folge haben wie das arbeitgeberseitig vorgelegte Programm, dabei jedoch deutlich geringere negative Auswirkungen für Beschäftigte enthalten. Wenn demzufolge nachweislich der gleiche wirtschaftliche Erfolg auch mit milderen personalseitigen Maßnahmen zu erreichen wäre und das Unternehmen aber an der ursprünglichen unternehmerischen Planung festhält, kann der wirtschaftliche Nachteilsausgleich auch höher bemessen werden. Denn in diesem Fall verzichtet der Unternehmer auf die Möglichkeit eines geringeren Sozialplanvolumens, um seine strategischen Überlegungen im Hinblick auf die weitere Unternehmensfortentwicklung zu realisieren. Demzufolge kann der wirtschaftliche Aspekt der Maßnahmenumsetzung nicht das drängendste Problem sein, und ein höherer Nachteilsausgleich ist argumentativ vertretbar.
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Die zentralen Überlegungen bei der Betrachtung der betrieblichen Dimension einer Sozialplanforderung bzw. der zu betrachtenden wirtschaftlichen Nachteile sind aus Sicht des Betriebsrats immer betriebs-, branchen- und ortsindividuell vorzunehmen. Wichtige Kriterien hierfür sind:
– bisherige wirtschaftliche Leistungen des Arbeitgebers (inkl. sämtlicher, monetär zu bewertender Bestandteile) und Vergleich mit den zu erwartenden Nachteilen in Form von Einkommensminderung/-entfall, Wegfall von Sonderleistungen, weitere/längere Anfahrtswege, Wegfall von betrieblicher Altersvorsorge etc.;
– bei Stellenentfall: Aussichten auf dem Arbeitsmarkt im Hinblick auf die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit einer Anschlussbeschäftigung:– im Hinblick auf die regionale Arbeitsmarktstruktur inkl. möglicher Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Umland;– im Hinblick auf die Qualifikationen der ausscheidenden Beschäftigten (-gruppen) und der zugehörigen Angebotssituation auf dem Arbeitsmarkt;– im Hinblick auf die allgemeine Beschäftigungssituation in der Branche und Region;– im Hinblick auf das anzunehmende zukünftige Entgeltniveau bei evtl. neuen Arbeitgebern (z.B. auch im Zusammenhang mit möglicher Tarifbindung bzw. dem Entgeltniveau des bisherigen Arbeitgebers zu bewerten);
– Bewertung des erreichten sozialen und wirtschaftlichen Besitzstandes im Betrieb.
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Diese sind gemeinsam mit den maßgeblichen Kriterien der unternehmerischen und individuellen Dimension in einer ganzheitlichen Analyse abzuwägen und dementsprechend einer Gesamtwürdigung zukommen zu lassen, die letztlich in die abschließend diskutierten Gestaltungsvarianten einfließt.
3. Die unternehmerische Dimension
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Das Betriebsverfassungsgesetz bringt die unternehmerische Dimension bei der Bemessung eines Sozialplanes vor allem im Kontext der Rahmensetzung für die Tätigkeit der Einigungsstelle zur Sprache.10
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Darin wird der Einigungsstelle aufgegeben, „bei der Bemessung des Gesamtbetrages der Sozialplanleistungen darauf zu achten, dass der Fortbestand des Unternehmens oder die nach Durchführung der Betriebsänderung verbleibenden Arbeitsplätze nicht gefährdet werden“. Dies bezieht sich insbesondere auf die in der Rechtsprechung häufig zitierte „wirtschaftliche Leistungsfähigkeit“ der Unternehmen. Hiermit soll sichergestellt werden, dass die Unternehmen durch die wirtschaftlichen Folgen des Sozialplanes nicht mit Illiquidität, Überschuldung oder sonstigen existenzbedrohenden Situationen rechnen müssen, was den Fortbestand des Unternehmens als Ganzes und damit auch die nach einer Betriebsänderung verbleibenden Arbeitsplätze gefährden würde. Damit hat der Gesetzgeber gleichzeitig ein Korrektiv eingezogen, wonach kein vollständiger Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile durch einen durch die Einigungsstelle festzusetzenden Sozialplan erfolgen muss.
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Unverändert herrschende Meinung ist aber auch, dass eine für die Ertragskraft des Unternehmens einschneidende Belastung durch den Sozialplan zu billigen ist.11 Häufig nehmen gerade wirtschaftlich angeschlagene Unternehmen sozialplanpflichtige Betriebsänderungen vor – dies entbindet sie jedoch nicht von der Verpflichtung, weitere Belastungen durch einen Sozialplan auf sich zu nehmen.12 Handlungsleitend ist hierbei die Ausführung des BAG,13 wonach „das Gesetz die Vertretbarkeit auch einschneidender Belastungen des Unternehmens durch den Sozialplan bis an den Rand der Bestandsgefährdung für möglich ansieht“.
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Die Einschränkung der Sozialplandotierung auf Grundlage der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens ist unmittelbar einsichtig. Denn in wirtschaftlich angeschlagenen Unternehmen werden häufig aus betrieblicher Not heraus Betriebsänderungen mit Massenentlassungen durchgeführt. Hier sind dementsprechend – auch ohne Durchführung eines Einigungsstellenverfahrens – die wirtschaftlichen Möglichkeiten des Unternehmens bei den arbeitnehmerseitigen Sozialplanforderungen zu berücksichtigen. Dieser Fall tritt insbesondere in Ein-Betriebs-Unternehmen ohne Konzernzusammenhang auf. Dem Spannungsfeld „Sicherung des Fortbestandes des Unternehmens und der verbleibenden Arbeitsplätze vs. bestmöglicher Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile der betroffenen Beschäftigten“ muss sich der Betriebsrat in diesen Konstellationen stellen.
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Kann der Betriebsrat im Beratungsverfahren zur Betriebsänderung hingegen deutlich machen, dass die betriebsändernde Maßnahme ohne wirtschaftliche Not bzw. nicht aus wirtschaftlichen Zwängen heraus umgesetzt wird, so kann es vertretbar und für das Unternehmen auch ohne weiteres leistbar erscheinen, sämtliche wirtschaftlichen Nachteile der betroffenen Beschäftigten für z.B. fünf Jahre auszugleichen.14 Gleiches gilt (analog zur betrieblichen Dimension), wenn der Betriebsrat glaubhafte und realistische Alternativszenarien mit konstantem oder höherem Einspar- bzw. Verbesserungspotenzial bei gleichzeitig geringeren wirtschaftlichen Nachteilen für Beschäftigte des Unternehmens entwickeln kann. Bleibt der Arbeitgeber dann bei den ursprünglichen unternehmerischen Planungen, kann der Betriebsrat geltend machen, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit offensichtlich nicht die höchste Priorität bei der Umsetzung der Maßnahme hat. Dementsprechend kann der wirtschaftliche Nachteilsausgleich dann auch in höherem Maße erfolgen als bei Veränderungen aufgrund wirtschaftlicher Not des Unternehmens.
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Die entscheidende Frage für den Betriebsrat ist dabei regelmäßig, wie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unternehmens adäquat gemessen und somit das Maximum an Sozialplanleistung ohne gleichzeitige Gefährdung der übrigen Arbeitsplätze definiert werden kann. Dies lässt sich nicht abstrakt definieren, sondern ist maßgeblich von den Gegebenheiten des Einzelfalls abhängig. Grundlage für eine entsprechende Bewertung sind vor allem nachfolgend aufgeführte Informationen aus den Jahresabschlüssen, wirtschaftlichen Monatsrechnungen, Businessplänen und Liquiditätsrechnungen des Unternehmens:
– vorhandene Liquidität des Unternehmens inkl. freier, zur Verfügung stehender Linien;
– vorhandenes, kurzfristiges zur Liquiditätssicherung nutzbares Vermögen der Aktivseite, welches ohne Bestandsgefährdung herangezogen werden kann;
– Höhe des Aktivvermögens, welches ggf. zur Liquiditätsgenerierung besichert oder verwertet werden kann;
– Eigenkapitalbasis zur Verhinderung möglicher Überschuldungsszenarien;
– laufende Überschüsse aus