Melanie Lane

Von Flammen & Verrat


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Flammen der Chrona?«

      »Die heiligen Quellen tief in den Sümpfen«, erklärte sie. »Ganze Seen und Wasserfälle aus flüssigem Feuer. Die Flammen der Chrona sind mächtig und dienen unserem Volk seit Jahrhunderten als Wegweiser. Früher waren sie ein beliebtes Ziel bei Pilgern aller Welten, die Antworten auf Fragen suchten, oder Antworten auf Fragen hatten, die noch nicht gestellt worden waren. Die Flammen boten Wissen und Geleit.« Ihr Gesichtsausdruck verhärtete sich als sie ihre Handflächen nach oben drehte und mir die wulstigen Narben darauf präsentierte. »Narcos infiziert nicht nur Thalos mit seiner Machtgier und seinem Hass, er hat auch einen Weg gefunden, die Flammen der Chrona gegen uns zu verwenden.«

      Wie gebannt starrte ich für einen Moment auf Maeves Handflächen. Sie war es. Heilige Balance … und danke, Scio!

      »Ich habe nicht viel Zeit, Maeve«, begann ich und griff nach dem Arm der Najade. Wer wusste schon, wie lange Narcos brauchte, um uns anzugreifen? »Bist du loyal gegenüber deinem Herrscher?«, fragte ich sie erneut.

      »Ich weiß nicht, was Ihr meint, Hoheit …«

      »Dann sage ich dir, was ich vorhabe«, erwiderte ich leise und setzte damit alles auf eine Karte. Wieder einmal. Aber Maeve besaß die passenden Narben und ihre Geschichte hatte mich tief berührt. Ich musste Scio und dem Schicksal vertrauen. Mit großen Augen hörte Maeve mir zu, als ich ihr meinen Plan erklärte. Nachdem ich geendet hatte, ließ sich die Najade sichtlich schockiert auf einem der halb zerfledderten, plüschigen Sofas nieder.

      »Ihr … meint Ihr das ernst?«

      »Absolut.«

      Für einen kurzen Moment dachte ich, sie würde wegrennen oder gar in Ohnmacht fallen, dann aber riss sie sich sichtlich zusammen und stand auf. In einer entschlossenen Geste strich sich Maeve die blauen Haare aus der Stirn und atmete tief durch.

      »Meine Loyalität liegt bei Crinaee und meinem Volk. Nicht bei Narcos.«

      Genau das hatte ich gehofft zu hören. Und es erleichterte mich ungemein. Ich hätte die Najade nur ungern verletzt oder gar Schlimmeres. Maeve schien auf den ersten Blick eine aufrichtige Person zu sein. Davon gab es in Thalos laut meiner Begleiter nicht mehr viele.

       Danke, Scio.

      »Was kann ich tun, um zu helfen?«

      »Bring mich in die Bibliothek, den Rest mache ich.«

      Ich erläuterte ihr meinen Plan ein weiteres Mal im Detail. Maeve nickte und ihre Augenfarbe wechselte von Hellgrau zu Weiß. Es war das erste Mal, dass ich eine geborene Najade sah und jetzt wusste ich, warum Duncan sie als ätherisch schön, aber gruselig beschrieben hatte. Obwohl Maeve eine durchaus attraktive Frau war, waren die weißen, leeren Augen mehr als gewöhnungsbedürftig.

      »Falls du einen Platz suchst, an dem du in Sicherheit bist, bis all das hier vorbei ist, dann komm nach Arcadia«, wies ich sie an, als wir uns auf den Weg machten. »Frag nach Oliver, Cora oder Alina. In meinem Zuhause wird stets ein Platz für dich sein.«

      Beinahe feierlich nickte sie.

      »Ich werde mich daran erinnern«, sagte sie, »aber mein Zuhause ist hier. Ich möchte bleiben. Insbesondere jetzt, da es Hoffnung gibt.«

      Hoffnung, erkannte ich, war für uns alle die treibende Kraft. Für mich, Olli, Alina, Scio … wir alle hofften auf eine bessere Zukunft. Und genau deswegen war ich hier.

      Gemeinsam mit Maeve schlich ich mich den erstaunlich leeren Korridor entlang, bis der Weg sich vor uns gabelte.

      »Wieso sind hier keine Wachen?«, flüsterte ich und sah mich nach allen Seiten um. Seit ich den sogenannten Salon verlassen hatte, hatte ich keine einzige Wache mehr gesehen. Oder andere Bedienstete. Der Palast war wie ausgestorben.

      »Narcos ist äußerst paranoid«, erklärte Maeve mir flüsternd. »Er duldet nur eine Handvoll Wachen und Bedienstete um sich herum und in ganz Thalos. Die meisten Unsterblichen haben Thalos kurz nach Narcos Eroberung verlassen und sich in Crinaee verstreut oder Zuflucht in einer der anderen Welten gesucht.«

      »Wieso du nicht?«

      »Ich kenne nichts anderes, Hoheit. Dieser Palast ist mein Zuhause, ich bin hier geboren und diene dem Herrscher von Crinaee, seit ich denken kann.«

      »Sah es schon immer so … heruntergekommen aus?«

      Alles in allem wirkte der Palast absolut verwahrlost. Wahrscheinlich, weil niemand mehr hier war, der sich darum kümmerte. Oder um Thalos generell. Ich hatte die berühmte Hauptstadt Crinaees noch nicht gesehen, da sie hinter dem Palast – und nicht unter der Erde – lag, aber ich bezweifelte sehr, dass Narcos uns passieren lassen würde. Ich vermutete stark, dass es in ganz Thalos ebenso traurig aussah, wie hier.

      »Oh nein.« Maeve schenkte mir ein rasches Lächeln und bedeutete mir, ihr zu folgen. Wir bogen nach links ab und eilten einen weiteren, nur schwach beleuchteten Korridor entlang. Auch hier schlängelte sich ein kleiner Bach über den Boden, bis er hinter einer der zahlreichen Türen verschwand.

      »Thalos und sein Palast waren einst berühmt für ihre Einzigartigkeit und Schönheit. Es gibt viele Geschichten über uns Najaden oder die Nymphen, die hier hauptsächlich lebten, aber Hoheit, wir sind nicht alle hinterhältig und voller List. Geboren mit wenig bis gar keiner Magie, waren die Unsterblichen in Crinaee stets stolz auf ihren Intellekt sowie ihre Heimat und den Ertrag, den sie uns zum Handeln schenkte.«

      Oh, ich wusste, dass viele beliebte Rohstoffe und Handelswaren aus Crinaee kamen. Drake war ihr bester Abnehmer. Aber einst hatte Crinaee mit mehr gehandelt als nur mit Lebensmitteln, Palmenblättern oder dem wertvollen Holz der cruja Bäume. In den Büchern, die Olli und ich gewälzt hatten, war von heilenden Quellen und besonderen Pflanzen die Rede, die tief in den Sümpfen von Crinaee wuchsen und bei den anderen Welten für seltene Zauber äußerst beliebt gewesen waren.

      »Wir sind da«, flüsterte Maeve und riss mich damit aus meinen Gedanken. Der Weg hatte nur wenige Minuten gedauert und ich war dankbar für ihre Effizienz. Denn auch wenn die Männer mich alleine hatten gehen lassen, bezweifelte ich nicht, dass sie mir ein gewisses Zeitfenster einräumten, ehe sie es nicht mehr aushielten und mich holen kamen.

      Maeve öffnete die Tür vor uns. Sie quietschte leise und unbemerkt schlüpften wir in jenen Raum, den ich gesucht hatte. Die Bibliothek. Anders als im Rest des Palasts war das Klima hier nicht feucht und heiß, sondern staubig und trocken. Der Raum war dunkel und vor den großen Fensterfronten, die einst einen tollen Ausblick geboten haben mussten, waren Erde, Dreck und Dschungel zu erkennen. Es war offensichtlich, dass schon lange niemand mehr zum Studieren hier gewesen war.

      »Wo ist es?«

      »Versteckt«, antwortete Maeve grinsend, »aber keine Sorge, Hoheit. Ich kenne diesen Palast besser als Narcos selbst.«

      Auf Zehenspitzen trat sie vor und betätigte einen kleinen schalterartigen Gegenstand. Magisches Feuer erhellte die zahlreichen Fackeln der Bibliothek und bestätigte meinen ersten Eindruck. Düster, staubig und verlassen. In Narcos Thronsaal war es mir nicht allzu sehr aufgefallen, aber hier, in der Bibliothek, konnte man wahrhaftig erkennen, dass der Palast versunken war. Unter der Erde und versteckt vom dichten Blätterkleid des Dschungels. Schutt und Dreck bedeckten den Boden und Maeve blickte mich entschuldigend an.

      »Ihr hättet es einst sehen sollen. Es war wunderschön.« Dass sie das Bedürfnis verspürte, sich mir gegenüber zu rechtfertigen, schmerzte mich, aber dafür hatten wir keine Zeit.

      »Das vesti rammat«, flüsterte ich. »Wo ist es, Maeve?« Ich durfte mich nicht ablenken lassen. Ich brauchte das Grimoire und dann mussten wir hier verschwinden. Schnell.

      »Natürlich, Hoheit.« Maeve schloss die Augen und tastete sich blind an einer der endlosen Bücherwände entlang, bis … Klack. Mit einem triumphierenden Lächeln öffnete sie die im Bücherregal versteckte Tür.

      Ein kleiner Wasserfall, den ich bis jetzt nicht einmal gehört hatte, floss an der nackten Steinwand der kleinen, geheimen Kammer herunter. Und dort, inmitten des Wassers, schwebte