Männer der Anderswelt trugen ausgefallene Klamotten oder betonten ihre außergewöhnlichen Erscheinungen durch bunte Haarfarben, Tattoos oder anderen Körperschmuck. Eyeliner könnte ebenso zu ihm gehören, wie die Messer an seinem Gürtel. Duncan musste nur noch lernen, dass die restlichen Sieben, seine Brüder und sein Ziehvater, ihn liebten, egal ob er in seiner Freizeit schwarz oder rosa trug.
»Du solltest es nehmen«, sagte ich daher und lächelte der Verkäuferin neben uns freundlich zu. »Packen Sie es bitte zu den anderen.«
Die junge Frau blickte mich erfreut an. Wahrscheinlich war ich jetzt schon ihre Kundin des Jahres. Ich ließ meinen Blick durch das exklusive, kleine Geschäft schweifen, als meine Augen plötzlich an einem Kleid hängen blieben. Wie in Trance erhob ich mich und schlenderte auf das schwarze Samtkleid zu. Schmal geschnitten und mit langen Armen war es auf den ersten Blick zugleich elegant und sexy. Lucan würde es lieben. Sanft strich ich mit meinen Fingern über den teuren Stoff.
»Es würde Ihnen ausgezeichnet stehen«, flötete die Verkäuferin und trat neben mich. »Bei Ihrer Hautund Haarfarbe.«
»Oh ja, Lilly, zieh es an!«
Duncans Kopf lugte aus der Umkleide hervor. »Was soll sie anziehen?«
Wortlos hielt ich das Kleid in die Höhe.
»Lucan wird es lieben«, bestätigte er meinen Gedanken.
Ich würde es anziehen, beschloss ich, aber nicht für Lucan, sondern für mich. Alle Kleider, die ich in den letzten Monaten getragen hatte, waren entweder weiß, cremefarben oder in einem hellen Pastellton gewesen. Hübsch, aber nichtssagend. Abgesehen von dem grünen Kleid, das Drake für mich ausgewählt hatte. Dieses Kleid jedoch suchte ich mir selbst aus. Die nette Verkäuferin nahm mir das Glas Champagner ab und begleitete mich zu der Umkleide neben Duncans. Rasch schlüpfte ich aus meinem weißen Mantel, dem grauen Pullover und der schwarzen Jeans. Bereits als ich das Kleid zur Hälfte angezogen hatte, wusste ich, dass ich den Laden nicht ohne dieses Kleidungsstück verlassen würde.
»Wie sieht es aus?«, fragte Alina und steckte ihren Kopf in meine Umkleide.
»Oh, Lilly …«
»Komm raus, ich will es auch sehen!«
Alina zog den Vorhang zurück und ich trat aus meiner Kabine direkt vor die große Spiegelwand, vor der Duncan sich zuvor bewundert hatte.
Der Assassine stieß einen leisen Pfiff aus und musterte mich anerkennend. Das schwarze Samtkleid schmiegte sich wie eine zweite Haut an meinen Körper und umspielte jede meiner Kurven mehr als vorteilhaft. Mit dem runden Halsausschnitt und dem tiefen Rücken war es gleichzeitig züchtig, aber auch skandalös. Die langen Arme und die kleine Schleppe verliehen dem Kleid etwas absolut Dramatisches. Kleider besaßen Macht und genau die empfand ich, als ich mich im Spiegel ansah. Macht. Ohne zu zögern, drehte ich mich zu der wartenden Verkäuferin um.
»Ich nehme es.«
»Ich hätte Sie auch nicht ohne gehen lassen. Das Kleid ist wie für Sie gemacht, wenn Sie mir den Kommentar erlauben.«
Und ob ich ihr den erlaubte. Denn sie hatte Recht. Dieses Kleid war in der Tat wie für mich gemacht. Es war so anders als alles, was ich in den letzten Monaten getragen hatte und ich liebte es. Vor mir stand eine junge, selbstbewusste Frau. Eine Königin, keine Prinzessin. Ich begegnete Alinas Blick im Spiegel und als hätte sie meine Gedanken gelesen, nickte sie lächelnd.
Duncan klatschte begeistert in die Hände. »Jetzt brauchen wir nur noch was für Alina!«
Diese schnaubte abfällig. »Du hast genug für uns beide, findest du nicht?«
»Vielleicht etwas, was dem werten Pri … was Nick gefallen würde?«, verbesserte er sich rasch.
»Deswegen bin ich nicht hier.«
»Oh bitte, deswegen sind wir doch alle hier.«
Lachend ergriff ich das frische Glas Champagner, das die Verkäuferin mir hinhielt.
»Wenn Sie erlauben, wir haben im Nebenraum eine neue Kollektion aus nachhaltigen Stoffen. Es ist die erste Saison der Designerin und ihr Ansatz ist etwas weniger … laut«, beendete sie ihren Satz äußerst diplomatisch. Eins musste man der Frau lassen, sie verstand etwas von ihrem Job. Alinas Gesichtsausdruck verwandelte sich von abweisend zu interessiert, und sie überwand ihren Widerwillen und folgte der anderen Frau in den Nebenraum.
Etliche Zeit später trudelten wir erschöpft, aber glücklich zu Hause ein. Zwei der Bediensteten eilten herbei, um uns beim Tragen der Tüten zu helfen. Alinas Wangen röteten sich leicht, immerhin war sie selbst bis vor Kurzem eine der Angestellten gewesen, ich jedoch bedankte mich artig bei ihnen. Neben dem einzigartigen Kleid hatten es noch einige weitere Stücke in meine Tüten geschafft. Wobei ich auffällig oft zu Schwarz gegriffen hatte.
Duncans Ausbeute konnte ich nicht einmal mehr zählen, und auch Alina hatte ich dazu gebracht, sich wenigstens zwei der hübschen Kleider aus edlem Leinen auszusuchen.
Glückselig sortierte ich meine neuen Sachen in meinen Kleiderschrank, wobei ich aus einer Eingebung heraus das schwarze Kleid unter einem meiner zahlreichen Mäntel verbarg.
Als wir am Abend beim Essen zusammensaßen, war die Stimmung ausgelassen und entspannt. Duncan plauderte mit Alex und King, während Alina Nick und Olli von unserem Ausflug berichtete. Malik fehlte an diesem Abend. Mein General schien mir meinen kleinen Ausflug nach Vesteria noch immer nicht verziehen zu haben. Dennoch hatte ich die zusätzlichen Wachen, die uns heute in gebührendem Abstand gefolgt waren, durchaus bemerkt.
Lucan und ich saßen uns gegenüber und ich warf dem Assassinen einen schnellen Blick zu. Er jedoch konzentrierte sich voll und ganz darauf, was Duncan Alex und King zu erzählen hatte. Ob er ebenfalls bemerkt hatte, dass Duncan den anderen gegenüber offener wirkte? Weniger zurückhaltend und mehr wie er selbst? Lucan wandte sich ab und unsere Blicke begegneten sich über den Tisch hinweg.
Hast du auch etwas gekauft?
Die Frage, so simpel sie auch war, überraschte mich so sehr, dass ich einen Moment brauchte, um sie zu verarbeiten.
Ja.
Etwas, das mir gefallen würde?
Ich dachte an die sexy, schwarze Unterwäsche, die ich gekauft hatte, und an das skandalöse Kleid und schenkte Lucan ein, geheimnisvolles Lächeln.
Vielleicht.
Seine Mundwinkel zuckten verräterisch und er wandte sich ab, um eine Frage zu beantworten, die Alex ihm soeben gestellt hatte. Ich konnte kaum glauben, wie entspannt ich mich trotz meines gestrigen Abenteuers fühlte, als sich die Tür zur Küche schwungvoll öffnete. Malik stand im Türrahmen. Sein grimmiger Blick suchte meinen.
»Wir haben eine Einladung aus Crinaee erhalten.« Kein Hallo. Kein Eure Hoheit.
Oh ja, mein General war in der Tat noch wütend. Dabei hatten wir morgen eine Verabredung, um über die Ernennung meines eregroi zu sprechen. Meines irdischen Wächters. Jetzt aber gab es Wichtigeres zu klären, denn offensichtlich war Drake schnell gewesen.
»Aus Crinaee?«, fragte ich möglichst unschuldig und spürte, wie alle Augenpaare auf mir ruhten.
»Narcos wünscht, dich zu sprechen … Hoheit.«
»Tut er das?«
»Lilly.« Nick seufzte neben mir. »Was hast du angestellt?« Entrüstet sah ich ihn an. »Nichts!« Und das war nicht einmal gelogen. Fast nichts.
Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie Duncan und Alina einen wissenden Blick miteinander tauschten. Es würde nicht lange dauern, bis alle hier Eins und Eins zusammengezählt hatten.
»Aber wenn er uns schon einlädt, dann sollten wir so höflich sein und die Einladung annehmen.«
»Narcos kann nur einen Grund haben, dich sehen zu wollen. Der sirovine Handel«, Malik blickte grimmig drein. »Das Auflösen der Verträge …«