Fabian Stancke

Kartellrechtliche Schadensersatzklagen


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in Rede stehenden Beschaffungsvorgänge oder Einkäufe, auf die der Anspruchsteller sein Schadensersatzbegehren stützt, tatsächlich ausgewirkt hat und das Geschäft damit in diesem Sinn „kartellbetroffen“ bzw. „kartellbefangen“ ist.60 Mit der 10. GWB-Novelle ist neben der gesetzlichen Vermutung zum Schadenseintritt auch eine widerlegliche Vermutung in § 33a Abs. 2 Satz 4 GWB über die Kartellbefangenheit aufgenommen worden, nach der Rechtsgeschäfte über Waren oder Dienstleistungen mit kartellbeteiligten Unternehmen, die sachlich, zeitlich und räumlich in den Bereich eines Kartells fallen, von diesem auch erfasst waren.61 Geschädigten kann es nicht zugemutet werden den Nachweis erbringen zu müssen, dass alle von ihnen bezogenen Produkte von den Kartellabsprachen umfasst waren und dass die konkreten Absprachen, die diese Produkte betreffen, auch in jedem einzelnen Fall beachtet und umgesetzt wurden. Dieser Nachweis ist dem Kläger in der Praxis oft nicht möglich, da es sich um in der Sphäre des Beklagten liegende Umstände handelt. Die Gerichte können gemäß § 33a Abs. 3 GWB und nach der Rechtsprechung des BGH62 eine Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO vornehmen. Das LG Dortmund hat in einer Entscheidung im September 2020 Kartellschadensersatz auf der Basis einer freien Schadenschätzung nach § 287 ZPO zugesprochen, d.h. ohne, dass die Kläger ein ökonomisches Schadensgutachten vorgelegt hatten.63 Der Schadensersatzanspruch umfasst die Erstattung eingetretener Vermögenseinbußen einschließlich des entgangenen Gewinns sowie der Zinsen.64 Zinsen und Zinseszinseffekte können mitunter einen Großteil der Forderungssumme ausmachen oder diese sogar übersteigen.65 Die durch das Kartell verursachte Vermögenseinbuße besteht nach der Differenzhypothese grundsätzlich in der Differenz zwischen dem hypothetischen Wettbewerbspreis (kontrafaktischer bzw. But-For-Preis) und dem gezahlten Preis. Der But-For-Preis wird vor allem durch Vergleichsmarktbetrachtungen bestimmt.66 Ferner hat zumeist (über den Kartellverstoß hinaus) eine Reihe von Faktoren Einfluss auf die Höhe und die Entwicklungen von Preisen. Diese preisbeeinflussenden Faktoren werden sich sowohl im Zeitverlauf als auch im Vergleich regional und sachlich verschiedener Märkte unterscheiden. Einfache (Durchschnitts-)Preisvergleiche reichen hier nicht mehr aus. Hierfür können bestenfalls ökonometrische Methoden eingesetzt werden, die eine angemessene, simultane Berücksichtigung mehrerer preisbeeinflussender Faktoren einräumen und eine transparente, überprüfbare Schätzung des Schadens ermöglichen.67 In der Praxis entscheidet häufig die Datenverfügbarkeit darüber, welche Methode anwendbar ist und wie belastbar die Ergebnisse einzustufen sind.68 Neben unternehmensinternen Daten können Informationen teilweise auch über öffentliche Statistiken, Branchenberichte oder Marktstudien bezogen werden. Einige Daten existieren zwar in der Sphäre der Kartellbeteiligten, der Zugriff gestaltet sich hier aber weiterhin aufwendig.69 Ferner kann es sich in einigen Fällen als sinnvoll erweisen, mit anderen geschädigten Unternehmen im kartellrechtlich zulässigen Rahmen eine Datenbank aufzusetzen, um eine ggf. gegenüber den Kartellbeteiligten bestehende Informationsasymmetrie zumindest in Teilen aufzuwiegen. Sofern Daten nicht verfügbar sind, müssen entweder einfache, meist weniger belastbare Schätzmethoden verfolgt werden, oder es ist mit Annahmen zu arbeiten. Hierbei ist jedoch höchste Transparenz zu wahren.

       2. Verjährung der Ansprüche

      44 § 33a Abs. 2 GWB enthält eine widerlegliche Schadensvermutung; BGH, 28.6.2005, KRB 2/05, NJW 2006, 163, 164f. – Berliner Transportbeton I; Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen, S. 122ff. 45 Etwa Bezugspreise und -mengen, Lieferkonditionen und Bezugszeitpunkte. 46 EuGH, 20.9.2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 m. Anm. Nowak, EuZW 2001, 715 – Courage; EuGH, 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, ECLI:EU: C:2006:461 m. Anm. Lübbig, EuZW 2006, 529 – Manfredi. Vgl. auch Art 12 Abs. 1 der Kartellschadensersatzrichtlinie; ferner BGH, 28.6.2011, KZR 75/10, BGHZ 190, 145 – ORWI. 47 Für eine vertiefende Erläuterung: Oxera u.a., Quantifying antitrust damages: Towards non-binding guidance for courts, S. 116ff.; EU-Kommission, Study on the Passing on of Overcharges, abrufbar unter http://ec.europa.eu/competition/publications/reports/KD0216916ENN.pdf (zuletzt aufgerufen am 15.6.2020); EU-Kommission, Leitlinen für die nationalen Gerichte zur Schätzung des Teils des auf den mittelbaren Abnehmer abgewälzten Preisaufschlags, ABl. 2019 C 267/4. 48 Der EuGH hat in der Rechtssache Kone (EuGH, 5.6.2014, ECLI:EU:C:2014:1317, m. Anm. Zöttl, EuZW 2014, 586 – Kone) klargestellt, dass ein adäquater Kausalzusammenhang der Kartellabsprache und der Schädigung durch Preisschirmeffekte bestehen kann; vgl. dazu auch die anschließenden erste dt. Rechtsprechung: OLG Karlsruhe, 9.11.2016, 6 U 204/15 Kart (2), ECLI:DE:OLGKARL:2016:1109.6U204.15.0A = BB 2017, 398, 400f. – Grauzementkartell; BGH, 12.6.2018, KZR 56/16, ECLI:DE:BGH: 2018:120618UKZR56.16.0 = NJW 2018, 2479, 2482 – Grauzementkartell II. 49 Vgl. Ohlhoff, in: Kamann/Ohlhoff/Völcker, Kartellverfahren und Kartellprozess, § 26, Rn. 136ff.; Inderst/Maier-Rigaud/Schwalbe, WuW 2014, 1043; Beth/Pinter, WuW 2013, 228, 232. 50 Zu den Voraussetzungen vgl. Lettl, WuW 2014, 1032, 1038. 51 Vgl. EuGH, Rs. C- 435/18, 12.12.2019, ECLI:EU:C:2019:1069, NZKart 2020, 30 – Otis u.a.; siehe dazu auch BGH, 28.2.2020, KZR 24/17, ECLI:DE:BGH: 2020:280120UKZR24.17.0 – Schienenkartell II, Rn. 24. 52 In dem in der Rechtssache Otis dem EuGH vorgelegten Fall, stellte der Gerichtshof fest, dass das Land Oberösterreich höhere Förderdarlehen zur Finanzierung von Bauprojekten an Bauherren wegen durch das Aufzug- und Fahrtreppenkartells überhöhter Preise ausschütten musste, als dies ohne das Kartell der Fall gewesen wäre. Der Differenzbetrag, so der Gerichtshof, hätte für andere gewinnbringende Zwecke verwandt werden können. 53 Siehe Ungarn mit einer schon 2009 eingeführten widerlegbaren Schadensvermutung i.H.v. 10 % (88/C. § 116. évi LVII. törvény a tisztességtelen piaci magatartás és a versenykorlátozas tilalmáról) und ebenfalls Lettland (§ 21 Grozījumi Konkurences likumā), wo sich hierzu aber jeweils noch keine bekannte Spruchpraxis der dortigen Gerichte hat herausbilden können. 54 Vgl. § 186 Abs. 3 Satz 2 GWB. 55 Vgl. OLG Karlsruhe, 10.3.2017, 6 U 132/15 (Kart.), ECLI:DE:OLGKARL:2017: 0310.6U132.15KART.0A, BeckRS 2017, 149111, Rn. 72 – Schienenkartell; OLG Karlsruhe, 31.7.2013, 6 U 51/12 (Kart.), ECLI:DE:OLGKARL:2013:0731.6U51. 12.0A, NZKart 2014, 366, 367 – Löschfahrzeuge; OLG Jena, 22.2.2017, 2 U 583/15 Kart, ECLI:DE:OLGTH:2017:0222.2U583.15KART.0A, NZKart