Daniel Zimmer

Kartellrecht und Ökonomie


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Fall Sanacorp/ANZAG293 ging es um die räumliche Abgrenzung des Marktes der Belieferung von Apotheken durch Pharmagroßhändler. Das OLG Düsseldorf griff hier zunächst auf eine Radiusbetrachtung zurück, indem es den räumlich relevanten Markt als „dasjenige Gebiet, welches der Großhändler [...] aus Kostengesichtspunkten sowie nach dem Kriterium logistischer Optimierung bedienen [...] kann“,294 definierte und wegen fehlender anderweitiger aussagekräftiger Abgrenzungskriterien einen Radius von 150 km um jede einzelne Großhandelsniederlassung als räumlich relevanten Markt annahm.295 Diese Abgrenzung wurde vom BGH gerügt: Zwar sei richtig, dass zur Abgrenzung des räumlichen Marktes das Bedarfsmarktkonzept angewandt und geprüft wurde, „welche Pharmagroßhändler aus der Sicht der Apotheker, die im Versorgungsgebiet der jeweiligen Niederlassung [...] liegen, zur Deckung ihres Bedarfs in Betracht kommen, also eine Ausweichmöglichkeit gegenüber einer Belieferung [...] bieten“296; jedoch werde die vorgenommene Radiusbetrachtung dem tatsächlichen Liefergebiet nicht gerecht. Dieses sei als ein um bis zu einem Faktor zehn kleineres mehr rechteckiges als kreisförmiges Gebiet anzusehen, da „nicht überall innerhalb des [...] Radius [...] mit gleicher Intensität von Apotheken nachgefragte Produkte [...] ausgeliefert [würden]“.297 Der BGH verwies die Sache zurück an das OLG Düsseldorf mit der Forderung nach genauerer Untersuchung der tatsächlichen Lieferpraxis. Das OLG ermittelte daraufhin, dass die Apotheken beim Großhändler in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle drei Auslieferungen pro Tag nachfragen. Aus dieser Lieferfrequenz folgerte das Gericht, dass jede Auslieferung in einem Zeitrahmen von 2,5 Stunden ausgeführt werden müsse. Diese dem Großhändler zur Verfügung stehende Fahrzeit wiederum definiert nach den Ausführungen des OLG den räumlichen Bereich, der vom Niederlassungsstandort aus versorgt werden könne und damit den räumlichen Markt, der – entgegen der Einschätzung des BGH – letztlich doch so weit ausgedehnt lag wie ursprünglich vom OLG angenommen.298 In der nachgehenden Praxis des Bundeskartellamtes liegt der Fokus daher zwar auf den tatsächlichen Gegebenheiten, immer wieder jedoch betont die Behörde, dass für die Marktabgrenzung nach dem Bedarfsmarktkonzept die Ausweichmöglichkeiten der Gegenseite maßgeblich seien. So beschränkte sich der räumlich relevante Markt in Pfeifer und Langen/Zuckerfabrik Jülich nicht auf das Gebiet, innerhalb dessen Zucker von den Abnehmern tatsächlich bezogen wurde, sondern erstreckte sich auf das Gebiet, innerhalb dessen den Abnehmern der Bezug von Zucker bei wirtschaftlicher Betrachtung möglich war.299 In den Entscheidungen zu Zusammenschlüssen in der Müllentsorgungsbranche Alba/RWE-MV, Sulo/Cleanaway und Remondis/SAS Schwerin wurden dementsprechend umfassende Ausschreibungsanalysen vorgenommen, um die möglichen Standorte erfolgreicher bzw. erfolgversprechender Gebote zu ermitteln.300 Auch die Entscheidungen Uni-Klinikum Freiburg/Herz-Zentrum Bad Krozingen und Gesundheit Nordhessen/Gesundheitsholding Werra-Meißner-Kreis belegen die gestiegene Prüfungsdichte in der räumlichen Marktabgrenzung. Das Bundeskartellamt nahm zur Ermittlung der räumlich relevanten Märkte für akutstationäre Krankenhausdienstleistungen eine umfangreiche Analyse der Einzugsgebiete der in Frage stehenden Krankenhäuser vor und definierte anschließend diejenigen Gebiete als räumlich relevanten Markt, die durch eine hohe Eigenversorgungsquote gekennzeichnet waren.301 Ebenso verzichtete das Bundeskartellamt in der Entscheidung Shell/Lorenz Mohr bei der Abgrenzung der räumlich relevanten Tankstellenmärkte auf eine starre Radiusbetrachtung. Es bestimmte stattdessen mithilfe des sog. Erreichbarkeitsmodells, welche Tankstellen innerhalb von 60 Minuten erreicht werden können und fasste diese zu einem räumlich relevanten Markt zusammen.302 Zuletzt nahm das Bundeskartellamt auch in CTS Eventim/SCORPIO Konzertproduktionen zur räumlichen Marktabgrenzung bei Musikfestivals eine detaillierte Analyse (u.a. anhand der Postleitzahlen) der räumlichen Einzugsgebiete der Festivalbesucher vor.303

      β) Hypothetischer Monopolistentest