hatte ergeben, dass 70 % der Befragten auch bei einer „ca. 10 %“igen Preiserhöhung von Sauenfleisch nicht auf Schweinefleisch ausweichen würden. Zudem stellt das Bundeskartellamt fest, dass der SSNIP-Test vorliegend „nur bedingt geeignet“ sei, da deutliche Produkt- und Preisunterschiede zwischen Schweinefleisch und Sauenfleisch festgestellt wurden.320 Damit wendet das Bundeskartellamt insbesondere auch nicht die standardmäßige Formel der Europäische Kommission an, die stets von einer „5–10 %igen Preiserhöhung“ spricht, sondern beschränkt die Befragung auf das obere Ende des Preiserhöhungsrahmens des SSNIP-Tests.
Auch die deutschen Gerichte üben bislang Zurückhaltung. Das OLG Düsseldorf sah den SSNIP-Test im Rhön-Grabfeld-Beschluss als ungeeignet zur Marktabgrenzung an, da Voraussetzung für dessen Anwendung das Vorhandensein von Marktpreisen sei, die aber wegen der bundeseinheitlichen Vergütung von Krankenhausleistungen nicht existierten.321 In der Sache Ticketvertrieb I (CTS Eventim/Four Artists) stellte das OLG Düsseldorf fest, dass der SSNIP-Test bei mehrseitigen Märkten nicht hinreichend aussagekräftig sei, da er die Rückkoppelungseffekte zwischen den verschiedenen Marktseiten nicht zuverlässig erfassen könne.322
Der BGH nahm erstmals in der Entscheidung Soda Club II323 zum SSNIP-Test Stellung. Zwar handelte es sich hierbei um einen Fall im Bereich des damaligen Art. 82 EG (heute Art. 102 AEUV), § 19 GWB, auf die dort getroffenen Aussagen zum SSNIP-Test wird aber auch im Bereich der Fusionskontrolle Bezug genommen.324 Laut BGH „handelt es sich bei dem SSNIP-Test um eine Modellerwägung, die für die Marktabgrenzung eine Hilfestellung liefern, die Marktabgrenzung aber nicht als ausschließliches Kriterium bestimmen kann.“ In der Entscheidung diskutiert der BGH weiterhin die Anwendbarkeit des Tests, wobei er nicht nur auf das grundsätzliche Problem der Cellophane fallacy325 verweist, sondern auch ein fallspezifisches Problem aufgreift: Der Markt weise nur eingeschränkte Preistransparenz auf, sodass eine elastische Reaktion des Nachfragers auf eine hypothetische Preiserhöhung gar nicht möglich sei.326
Im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde im Verfahren EDEKA/Kaiser’s Tengelmann setzte sich der BGH im Jahr 2018 nicht inhaltlich umfassend mit der Marktabgrenzung auseinander, da die Marktabgrenzung im konkreten Verfahren keinen Klärungsbedarf aufzeige und „grundsätzlich Sache des Tatrichters“ sei. Jedoch erwähnte der BGH beiläufig, dass es „allgemein in Fragen der Marktabgrenzung einer Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände“ bedürfe. Dabei könne der SSNIP-Test „eine Hilfestellung liefern“, jedoch „nicht als ausschließliches Kriterium“ im Rahmen der Marktabgrenzung dienen.327
Es zeigt sich, dass im deutschen Recht noch stärker als im europäischen am Konzept des Bedarfsmarktes zur Abgrenzung des relevanten Marktes festgehalten wird. Trotz der beschriebenen Zurückhaltung ist in jüngster Zeit jedoch festzustellen, dass der aus ökonomischer Sicht vorzugwürdige hypothetische Monopolistentest auch hier eine größere Bedeutung gewinnt, wie es in zahlreichen europäischen Ländern bereits seit einiger Zeit der Fall ist.
179 Vgl. zur Analyse auch Säcker (2004), der eine Heranziehung des auf einer Fortentwicklung von Bedarfsmarktkonzept und Berücksichtigung der Angebotssubstituierbarkeit beruhenden Konzepts der Wirtschaftspläne zur Diskussion stellt. 180 EuGH, Urt. v. 21.2.1973, Rs. 6/72 – Europemballage und Continental Can/Kommission, Slg. 1973, 215, 495, Rdnr. 32. 181 Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes, ABl.EG 1997 C 372/5, Rdnr. 13. Die Kommission hat am 26.6.2020 eine öffentliche Konsultation eingeleitet, um im Hinblick auf die Inhalte der Bekanntmachung Feststellungen über einen Aktualisierungsbedarf treffen zu können. 182 Siehe hierzu Rdnr. 7 der Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes, ABl.EG 1997 C 372/5: „Der sachlich relevante Produktmarkt umfasst sämtliche Erzeugnisse und/oder Dienstleistungen, die von den Verbrauchern hinsichtlich ihrer Eigenschaften, Preise und ihres vorgesehenen Verwendungszwecks als austauschbar oder substituierbar angesehen werden.“ So aus der Rechtsprechung des EuGH (z.B. Urt. v. 14.2.1978, Rs. 27/76 – United Brands/Kommission, Slg. 1978, 207, Rdnr. 28ff.) und der Entscheidungspraxis der Kommission (z.B. Komm. v. 2.10.1991 (IV/M.53) – Aerospatiale-Alenia/de Havilland, Rdnr. 10) abgeleitet, vgl. auch Formblatt CO (ABl.EU 2013 L336/1), Abschnitt 6. 183 EuGH, Urt. v. 13.2.1979, Rs. 85/76 – Hoffmann-La Roche/Kommission, Slg. 1979, 461. 184 Ibid., 3. Leitsatz. 185 EuGH, Urt. v. 11.12.1980, Rs. 31/80 – L’Oréal/DeNieuwe AMCK, Slg. 1980, 3775. 186 Ibid., Rdnr. 25. 187 EuGH, Urt. v. 21.2.1973, Rs. 6/72 – Europemballage und Continental Can/Kommission, Slg. 1973, 495, Rdnr. 32; EuGH, Urt. v. 14.2.1978, Rs. 27/76 – United Brands/Kommission, Slg. 1978, 207, Rdnr. 22: „Damit die Banane als Gegenstand eines hinreichend abgesonderten Marktes angesehen werden kann, müssen ihre besonderen, sie von anderem frischen Obst unterscheidenden Eigenschaften so kennzeichnend sein, dass sie mit ihm nur geringfügig austauschbar und seinem Wettbewerb nur in wenig spürbarer Form ausgesetzt ist.“; Komm. v. 15.3.2004 (COMP/M.3314) – Air Liquide/Messer Targets, Rdnr. 15f. 188 Vgl. hierzu z.B. EuGH, Urt. v. 11.4.1989, Rs. 66/86 – Ahmed Saeed Flugreisen/Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, Slg. 1989, 803, Rdnr. 40: „Entscheidend ist, ob die besonderen Merkmale des Linienflugs auf einer bestimmten Linie im Vergleich zu den alternativen Transportmöglichkeiten so kennzeichnend sind, dass er mit ihnen nur in geringem Maß austauschbar und ihrem Wettbewerb nur in wenig spürbarer Form ausgesetzt ist.“ 189 Komm. v. 15.9.1999 (IV/36.539), ABl.EG 1999 L 312/1 – British Interactive Broadcasting/Open, Rdnr. 13. 190 Komm. v. 2.10.1991 (IV/M.053) – Aerospatiale-Alenia/de Havilland, Rdnr. 8f.; siehe auch Formblatt CO, Abschnitt 8.3. 191 EuG, Urt. v. 4.6.2006, Rs. T-177/04 – easyJet/Kommission, Slg. 2006, II-1931, Rdnr. 104. 192 Komm. v. 11.2.2004 (COMP/M.3280) – Air France/KLM, Rdnr. 28. 193 Komm. v. 14.2.2002 (COMP/M.2662) – Danish Crown/Steff Houlberg. 194 Ibid., Rdnr. 43. 195 Ibid., Rdnr. 51: „In light of the above the Commission therefore concludes that each national market should be considered separately taking account of the possibility of potential competition from imports in the competitive assessment.“ 196 Komm. v. 17.12.2008 (COMP/M.5046) – Friesland Foods/Campina, Rdnr. 157ff.; siehe auch C.II.1.c) β). 197 Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes, ABl.EG 1997 C 372/5, Rdnr. 20. 198 Komm v. 4.4.2007 (COMP/M.4403) – Thales/Finmeccanica/AAS/Telespazio, Rdnr. 56, 62, 69 und 71. 199 Komm. v. 8.5.2014 (COMP/M.6905) – Ineos/Solvay/JV, Rdnr. 208ff. 200 Abschnitt 6.1. des Formblatts CO zur FKVO 2004, ABl.EU 2013 L 336/1, S. 11. 201 Abschnitt 6.1. des Formblatts CO zur FKVO 2004, ABl.EU 2013 L 336/1, S. 11. 202 Abschnitt 6.2. des Formblatts CO zur FKVO 2004, ABl.EU 2013 L 336/1, S. 11f.; bestätigt durch EuG, Urt. v. 7.5.2009, Rs. T-151/05 – Nederlandse Vakbond Varkenshouders/Kommission, Slg. 2009, II-1219, Rdnr. 52.