Philipp Schmidt

Krähentanz


Скачать книгу

sie war nicht tot, bemerkte der Alte schaudernd. Ihre Handballen stützten sich auf dem Boden ab, in dem kläglichen Versuch, den am Hals blutenden Leib aufzurichten. Lidunggrimm zitterte in Kraehs Hand.

      »Wir, mein Bruder und ich, handeln auf Geheiß des Kaisers«, bemerkte der weibliche Zwilling sadistisch. »Eine Hure wie du aber sollte sich weder auf ihn noch auf Gott berufen.« Die Peitsche der Frau knallte auf Isabels Rücken, wo sie einen grässlichen Striemen hinterließ. Hände und Arme klappten ein und sie landete auf dem Gesicht.

      Ein Kampfschrei erscholl. Lubbo hatte es geschafft, sich von seinem Bewacher zu lösen, der überrascht und leicht zeitversetzt, hinter ihm herkam. Jeden Augenblick würde Lubbos Klinge an dem Schulterschutz der Peinigerin vorbeifahren und ihre Kehle öffnen. Doch sein Angriff wurde jäh gestoppt. Wie Lubbo an sich hinunterblickte und des Schwertes in seiner Magengegend gewahr wurde, fiel ihm die eigene Klinge zu Boden. Er keuchte, als der männliche Zwilling den Stahl in seinem Bauch umdrehte. »Tötet sie alle!«, schnaubte derselbe wutentbrannt und das Gemetzel begann. Kraeh nahm nichts davon wahr außer den Schreien der beiden anderen, die ihn aus dem Wald gerettet und hierher begleitet hatten, und dem abscheulichen Anblick, wie die Frau in der glänzenden Rüstung sich über Isabel beugte, um sie, dem Anschein nach schneller, als sie eigentlich vorgehabt hatte, zu töten, indem sie die Heilige mit der Peitsche erdrosselte.

      »Wickelt die Leichen in eure Umhänge«, kam die Anweisung, des Zwillings, der gerade sein Schwert aus Lubbos Fleisch befreite, »wir wollen kein unnötiges Aufsehen erregen.«

      Die Soldaten machten sich an die Arbeit, der Zwilling jedoch sah sich, wohl seiner Intuition folgend, misstrauisch im Raum um, ohne sich dabei zu bewegen. Schon zuvor, als der ihm in die grünen Augen geblickt hatte, verstand Kraeh nun, hatte dieser etwas geahnt. Die beiden da unten waren nicht das, worauf man ihrem Äußeren nach schließen mochte. Sie waren keine Menschen und sie wussten, dass sie beobachtet wurden.

      Als die Soldaten den Befehl ausgeführt hatten, die Leichen, so vermutete Kraeh, eingewickelt neben der Eingangstür lagen und einer die Blutlachen auf dem Boden mit einem Lappen aufwischte, flüsterten erst die Zwillinge miteinander, dann winkten sie vier der Soldaten herbei und gaben ihnen weitere Order, die Kraeh nicht verstehen konnte. Aber es war deutlich genug, was der Inhalt gewesen war. Die Soldaten huschten schleichend aus seinem Blickfeld und kurz darauf hörte er ihre gedämpften Schritte auf der Treppe.

      Kraehs Blut geriet in Wallung. Was sollte er tun? Das Fenster war groß genug, um hindurchzuschlüpfen, aber wenn diese Mörderbande nicht närrisch war, wovon er nicht ausging, würden ihn unten bereits andere Männer mit gezückter Waffe erwarten. Ein Fußpaar war direkt vor seiner Tür, die er, wie ihm jetzt gewahr wurde, leichtsinnigerweise nicht verschlossen hatte. Einen Wimpernschlag bevor sie aufschwang, hechtete Kraeh direkt an die Wand daneben. Er hatte Glück; die Soldaten hatten sich aufgeteilt, nur einer stand auf der Schwelle. Lidunggrimm fuhr diesem so unerwartet und schnell durch die Kehle, dass jener keinen Laut mehr herausbrachte. Der Lebenssaft sprudelte Kraeh in einer Fontäne entgegen, als er den Körper mit beiden Armen auffing und so geschwind er es vermochte, in das Zimmer hievte. Die Tür stand sperrangelweit offen. Würde jemand vorbeigehen, war er entlarvt. Durch die Wände hörte er, wie in einem Nebenraum ein Wortgefecht entbrannte. Ein anderer Gast wollte sich nicht einfach abführen lassen und der Soldat, welcher sich mit dem Streitlustigen befasste, rief nach Hilfe. Bestens!, schoss es Kraeh durch den Kopf, während seine senilen Finger die Kerze auf dem Nachttisch mit dem für sie bereitliegenden Feuerstein entzündete. Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit, bis der Docht endlich aufloderte. Vorsichtig, mit der hohlen Hand die kleine Flamme schützend, stellte er die Kerze auf den Boden neben das Bett. Sogleich fing das Laken Feuer. Er schob Lidunggrimm in die Scheide, schleifte den Leichnam des toten Soldaten zum Fenster und stemmte ihn nach oben. Wie ein Sack polterte er über das Dach. Er verhakte sich an der Regenrinne und blieb in grotesker Haltung liegen. Unten wurden Befehle gebrüllt. Sehr gut! Inzwischen brannte das Zimmer lichterloh. Kraeh schlang sich seinen Fellmantel um die Schultern, stürzte aus der Tür, dann den Gang entlang und schließlich die Treppe hinunter.

      Während er nach unten hastete, wobei eine der Stufen ihn beinahe zu Fall gebracht hätte, nahm er sich die Zeit, kurz nachzudenken. Diese Kaisertreuen suchten vornehmlich nach Arduhl. Die Soldaten töteten auf Geheiß, wie er hatte erfahren müssen, auch Unschuldige, aber eben nur auf direkten Befehl hin. Seine Sorge musste also allein jenen Zwillingen gelten. Sie würden dort sein, wo ein potenzieller Ausreißer die beste Möglichkeit zur Flucht hätte. Sofern sie seine Finte geschluckt hatten, vermuteten sie ihn auf dem Dach. Zwar hatte er die Leiche nach vorne hin, zur Seite der Eingangstür aus dem Fenster geworfen, aber nur ein Dummkopf würde, wenn er einmal auf dem Dach war, den kürzesten Weg wählen. Demnach wären sie auf der Rückseite des Hauses und er würde wie der besagte Dummkopf handeln.

      Im Schankraum hatte sich bereits Qualm angesammelt. Der leichte Morgenwind gab dem Feuer, was es brauchte, um sich flugs auszubreiten. Kraeh stürmte an den Säcken vorbei, in denen sich, wie er wusste, die heilige Isabel, der gutmütige Lubbo und die beiden anderen befanden. Er riss die Tür auf und vernahm das Knistern hinter sich, mit dem das Freudenfeuer seinen Dank über den neuerlichen Luftzug ausdrückte. Hustend waren die Soldaten, die oben gesucht hatten, nun hinter ihm am unteren Ende der Treppe angelangt. Der Ärgermacher hatte seinen Widerstand aufgegeben und stolperte gleich den Soldaten vorwärts, um seine Haut vor den Flammen zu retten.

      »Feuer! Feuer!«, platzte Kraeh einige Schritte vor ihnen aus dem Gasthaus. Er war verwundert, wie schnell die Menschen aus den umliegenden Häusern herbeikamen, um dem Spektakel beizuwohnen. Einige liefen mit schwappenden Eimern heran. Tatsächlich waren die Zwillinge nicht zu sehen. Die drei Soldaten, die den Eingang bewachen sollten, wurden der Lage um sie herum kaum Herr. Abgelenkt von dem Anblick ihrer Gefährten hinter Kraeh, erkannten sie in dem Alten, der einen panischen Ausdruck zur Schau stellte, offenbar keine Gefahrenquelle. Ehe er es wirklich begriff, fand Kraeh sich in einer Seitengasse wieder.

      Nur noch ein Flackern am dunstigen Himmel wies auf die Feuersbrunst hin. Er war in Sicherheit.

      * * *

      Drei Tage später folgte Kraeh einer befestigten Straße, die nach Brisak führen würde; zumindest hatte dies der freundliche Schäfer behauptet, der seinen Weg gekreuzt hatte. Natürlich hätte er nach seinem überstürzten Verlassen der Stadt, in der er das Wirtshaus in Brand gesteckt hatte, auch einen weniger auffälligen Pfad durch die Wälder einschlagen können, doch schien es ihm sinnvoller, der einmal geglückten Strategie treu zu bleiben. Wer würde einen Flüchtling schon auf dieser Straße erwarten, wo dermaßen viel Betrieb herrschte? Unentwegt überholten ihn Abenteurer, Soldatentrupps, meist jedoch Bauern und Holzfäller, die Wagen angefüllt mit ihren Waren, die sie in Brisak gegen einen guten Preis zu verkaufen trachteten. Niemand schenkte dem alten Bettler, für den man ihn zweifelsohne hielt, besondere Aufmerksamkeit. Anfangs war er noch nervös geworden, wenn sich Hufgetrappel genähert hatte, nun grüßte er die Soldaten in ihren hell wattierten Wappenröcken gelegentlich sogar. Für gewöhnlich fing er sich daraufhin ein »Aus dem Weg da!« ein, zuweilen aber auch einen mitleidigen Blick, gefolgt vom Klimpern einiger Kupferstücke, welche über den Pflasterstein rollten, ehe er sie einsammelte.

      Die Sonne stand im Zenit, ein flüsternder Wind ging durch seinen Bart, während er in einen wurmdurchlöcherten Apfel biss, der von der Ladefläche eines vorbeiholpernden Karrens gehüpft war. In der Tat war er zu einem Bettler und obendrein zu einem Dieb geworden, denn manchmal musste er dem Hüpfen von Äpfeln, Birnen und Nüssen ein wenig nachhelfen. Doch fühlte er sich deshalb nicht elend. Er hatte alles, was ein Mann brauchte: ein Ziel und ein Feindbild. Diese verdammten Zwillinge hatten seiner Retterin und Gönnerin das Leben genommen, dafür würden sie bezahlen.

      Hauptsächlich von diesem Gedanken angetrieben, schlug er sich mehr schlecht als recht durch, bis er schließlich in der Ferne die zackigen Mauern Brisaks ausmachte. Mehr als einmal hatte er in letzter Zeit von der Gastfreundschaft jener Menschen profitiert, deren Gehöfte in der Nähe der Straße lagen. Teilweise gegen das wenige Geld, welches man ihm zugeworfen hatte, öfter allerdings umsonst, war ihm ein spärliches Mahl und ein Platz in den Ställen zugestanden worden. Früher, erinnerte er sich, hatte er die Nächte unter freiem Himmel geliebt. Heute war ihm das einsame Bibbern zusammengekauert