Philipp Schmidt

Rabenflüstern


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erschienen auch die ersten Karren und mit ihnen das Gesinde. Langsam bewegte sich der Kampfverband auf den Hinterhalt zu. Doch Kraeh ließ nicht locker. »Kennst du jemanden, der einen Zweikampf verloren hat und noch am Leben ist?«

      »Reg dich nicht auf«, mahnte Sedain.

      »Nein – mal ehrlich –, kennst du jemanden? Nein, natürlich kennst du keinen, denn wer im Zweikampf unterliegt, stirbt. So ist das nun einmal. Also, was für ein mieser Verdienst ist das schon?«

      Sedain legte den Zeigefinger an die Lippen.

      Mittlerweile waren acht von Ackergäulen gezogene Wagen auszumachen. Eine Nachhut von Kriegern bog gerade in ihr Sichtfeld.

      In dem Moment fiel Kraeh ein, was ihn die ganze Zeit über nachdenklich gestimmt hatte: der Verhüllte bei der Beratung! Wer war er, welche Position hatte er inne? Wie hatte er den nur vergessen können? Bei dem Gedanken an ihn sträubten sich seine Nackenhaare. Es war merkwürdig … Wie man sich am Morgen vergeblich bemüht, die Bilder eines Traumes wiederzubeleben, ging es ihm mit dem Kapuzenmann in Brans hoher Halle.

      »Sedain …«

      Die Nachhut war jetzt auf der Höhe, wo einige Schritt über ihnen die anderen Männer Brisaks auf ein Zeichen warteten.

      Kraeh sprang auf und riss sein Schwert aus dem Schultergurt. »Angriff!«

      Schon surrte ein Bolzen aus Sedains Armbrust und warf den ersten Reiter Rhodums aus dem Sattel. Im Lauf schoss der Halbelf den zweiten ab, der sich in die Schulter eines weiteren Mannes grub. Dann war Kraeh und mit ihm fünfzehn Elitekrieger unter den überrumpelten Feinden. Die Falle schnappte zu. Überrascht, in ihrem eigenen Land in einen Hinterhalt zu geraten, gefangen zwischen Hammer und Amboss, wehrten sie sich ebenso verzweifelt wie aussichtslos.

      In Todesangst klammerte sich der letzte Mann Rhodums, der noch am Leben war, an einem Strauch fest, im Versuch, den blutgetränkten Hohlweg kletternd zu verlassen, bis Kraehs Klinge ihm tief in den Rücken fuhr.

      Mit dem Ärmel seiner Fellweste wischte Kraeh sich das Blut aus dem Gesicht. Reue zeichnete seine Züge, als er auf die Leichen der Bauern hinabsah, die sie geschlachtet hatten wie jene das Vieh, deren getrocknetes Fleisch die Wagen füllte. Er verabscheute es zutiefst, Unschuldige zu töten, doch ein einziger Überlebender hätte gereicht, sein und das Leben seiner Männer in Gefahr zu bringen – ein Risiko, das er nicht bereit war einzugehen. Sedain sah die Bitternis im starren Blick seines Freundes und übernahm das Kommando. Er wies an, die Leichen aus dem Weg zu räumen. Es kostete sie den restlichen Morgen und den halben Tag, die Körper zu entkleiden, den Hang hochzuschaffen und sie notdürftig zu verscharren. Ihre eigenen Toten, drei an der Zahl, wurden abseits der anderen begraben. Alle drei waren Anhänger Donars und hätten daher eigentlich verbrannt werden müssen, doch es stand nicht zur Debatte, ein Feuer zu entzünden. So falteten sie ihre Hände um die Schwertgriffe, sprachen kurze Worte des Abschieds und bedeckten sie mit Erde.

      Alsdann befahl Kraeh, der seine Fassung zurückgewonnen hatte, die Wagen zu leeren, worin sich unter Decken zehn der Krieger versteckten. Hinzu wurden Vasen mit Lampenöl, das sie mitgebracht hatten, geladen. Die beiden Verletzten, die sie zu beklagen hatten, wies er an, sich nach Hause durchzuschlagen. Der Rest zog die Gewänder der Toten über ihre eigenen. Obwohl auf einigen Blutspritzer zu sehen waren, schätzten sie die Maskerade als ausreichend ein. Kraeh wählte die Verkleidung eines Bauern. Da die einfachen berittenen Soldaten keine Helme getragen hatten, wäre sein weißes Haar verräterisch gewesen, das er nun unter einer Wollmütze verbarg. Ihre Waffen versteckten sie zwischen den Ölbehältern.

      Langsam setzte sich der Zug in Bewegung. Nach einem halben Tagesmarsch konnten sie in der Ferne bereits die Wutachfeste ausmachen. Ihre Mauern bildeten einen ungefähr acht Mann hohen Halbkreis, dessen Enden in einen Felsen wuchsen. Die ganze Feste bestand nur aus einem riesenhaften Turm und dem ihn umgebenden Mauerwerk. Sie galt gemeinhin als uneinnehmbar. Kraeh erinnerte sich daran, wie sein Ziehvater ihm einst erzählt hatte, Riesen hätten die zentnerschweren Steinbrocken von den Rheinufern hergeschleppt, mit bloßen Händen zurechtgeschlagen und dort als Bollwerk gegen die Götter aufgetürmt. Kraeh lächelte innerlich; es würde eine Handvoll Menschen, nicht Götter sein, die jenen Koloss aus Fels und behauenem Stein zu Fall bringen würde.

      Es wurde bereits dunkel, als das mächtige Fallgitter hochgezogen wurde. Im Wald zu ihrer Linken reflektierte etwas einen der letzten Sonnenstrahlen. Sedain, der in einer der gestohlenen Rüstungen und dem roten Umhang der Hauptmänner Rhodums den Zug anführte, hoffte, dass es oben auf der Mauer unbemerkt geblieben war.

      »Heil dem einzig Wahren!«, schallte eine Stimme weit über ihnen.

      »Und König Theodosus!«, rief Sedain zurück.

      Kraeh atmete auf, als er unter dem Gitter hindurch war. Die List schien aufzugehen.

      Im Innenhof erwartete sie ein hünenhafter Mann in rotem Mantel, gleich dem Sedains. Hinter ihm standen gut zwanzig Mann in Waffen. Kraehs Augen suchten die Mauern ab, überall standen kampfbereite Soldaten; mindestens ein Drittel, schätzte er, trug Bögen. Katapulte und Speerschleudern standen bereit, schnell gespannt zu werden. Die ganze Besatzung der Feste hatte sich auf einen Angriff vorbereitet. Sedains Blick traf den Kraehs.

      »Ihr kommt spät, Leodinis«, sagte der Hüne an Sedain gewandt. »Unsre Späher haben berichtet, dass die Armee Brisaks ausgezogen sei.« Er stieß ein dröhnendes Lachen aus, dem sich einige der Männer hinter ihm anschlossen. »Diese Narren dachten wohl, wir würden sie nicht bemerken. Gab’s Probleme unterwegs?«

      Sedain schüttelte den Kopf.

      »Bringt die Wagen in die Ställe.«

      Der Halbelf winkte, woraufhin die verkleideten Krieger die Gäule antrieben. Auf Kraeh wirkten ihre Bewegungen zu nervös und sie zögerten ein wenig zu lange, ehe sie den richtigen Weg einschlugen. Die Sache würde schiefgehen. Oben auf den Zinnen gähnte ein Bogenschütze, zwei unterhielten sich auf ihre Piken gelehnt hinter vorgehaltener Hand über die Regeln eines Würfelspiels. Das Gefühl von Lebendigkeit durchströmte Kraehs Adern.

      Sedain war mit der Vorhut stehen geblieben. Den Kopf gesenkt vermied er einen jeglichen Augenkontakt. Der erste von den acht Wagen hatte die Stallungen erreicht und verschwand nun im Inneren. Ein Spion hatte ihnen berichtet, es gäbe einen Weg, der den Stall mit dem Überbau des Tores verband, von dem aus das Fallgitter heruntergelassen und hochgezogen wurde.

      Kraeh hatte sich zurückfallen lassen und stand seitlich vor dem feindlichen Hauptmann.

      »Hey, Leodinis, du hast da Blut an …«, sagte dieser gerade. – Sie waren aufgeflogen.

      Kraeh machte einen Satz vorwärts aus der Reihe heraus, zog ein Schwert unter einer Decke hervor und ließ es durch die Luft sausen. Knapp vor der Kehle des Hauptmannes kam es zum Stehen. Mit der anderen Hand packte er ihn an der Schulter. Für einen Moment regte sich nichts, dann rief Kraehs Gefangener. »Macht sie nieder!«

      Plötzlich überschlugen sich die Ereignisse. Die Männer auf den Zinnen wandten sich um spannten ihre Bögen, während die unten stehenden Krieger beider Seiten ihre Schwerter aus den Scheiden rissen. »Vorwärts!«, schrie Kraeh, den Hauptmann als lebendes Schutzschild vor sich haltend. Dann surrten Pfeile durch die Luft. Den Männern Brisaks gelang es, vier der Wagen unter das Dach der Stallungen zu schaffen, die übrigen wurden mit Pfeilen gespickt. Schmerzensschreie füllten den Innenhof, als die durchbohrt wurden, die es nicht rechtzeitig aus ihren Verstecken auf den Wagen geschafft hatten. Kaum war der Kampf entbrannt, war er auch schon vorüber. Nur wenige hatten die Klingen gekreuzt, jeder war, so schnell er konnte, unter das schützende Dach gerannt. Sedain war von einem Pfeil aus dem Sattel geworfen worden, woraufhin Kraeh – den leblosen, mit Pfeilen übersäten Körper des Hauptmannes beiseiteschleudernd – und ein weiterer Mann ihm zu Hilfe geeilt waren. Die feindlichen Soldaten waren unter dem Beschuss ihrer eigenen Kameraden zurückgewichen. Sedain stützend war es den dreien mit letzter Kraft gelungen, sich in den Stall zu retten.

      Mehr als die Hälfte der Eindringlinge war bereits tot oder wurde im Moment aufgespießt. Auf Kraehs Anweisung hin wurde die Tür, die sie von den mordenden Soldaten trennte, zugestoßen und