Philipp Schmidt

Rabenflüstern


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eine Reaktion des Fürsten. Er hatte ihm mitgeteilt, wie der König gefallen war und auf welche Weise weiter vorzugehen war. Seiner Miene war die Verachtung für all jene menschlichen Schwächen abzulesen, die Bran wie hunderttausend Nadelstiche quälten. Treue, Mitgefühl, Ehre – alles Zeichen der Mittelmäßigkeit, und gerade gefährdeten sie seinen Plan.

      Die Krone fiel zu Boden.

      Bestürzt trat der Seher aus dem Halbdunkel und hob sie auf.

      Er lehnte sich an die marmorne Tischplatte und schnaubte missgelaunt. Er verspürte den Drang, Leid zuzufügen, zwang sich aber, seine Lust später auszuleben. Tief unter den Mauern der Stadt wartete ein ganzer Käfig voller Waisenkinder auf seine Zuneigung; sie würden sich gedulden müssen, Bran durfte jetzt nicht umkippen.

      »Mein Fürst«, begann er unterwürfig, »all unsre Wünsche sind in Erfüllung gegangen: Eure Armee war siegreich, Theodosus ist geschwächt.« Den Zynismus jedoch konnte er sich nicht verkneifen, als er fortfuhr: »Nach dem ach so tragischen Tod des Königs seid Ihr nun der mächtigste Mann in diesen Landen. War es nicht das, was Ihr immer wolltet?«

      Bran kämpfte innerlich mit sich selbst, er war zu weit gegangen, um umzukehren.

      »Und die Orks?«, sann er. »Sie würden lieber zu Hunderten vor unsren Mauern sterben, als einen neuen Hochkönig auf dem Thron zu sehen.« Sein Blick glitt über ein Gemälde, auf dem ein Ritter mit seiner Lanze nach einem geflügelten Dämon stieß. »Und was ist mit Kraeh? Er ist anders als Berbast. Es wird nicht leicht, ihn von unsrer Sache zu überzeugen …«

      »Ich kenne sein Schicksal«, warf der Schwarzgekleidete ein. »Kein Wort zu ihm«, setzte er mahnend hinzu.

      Bran fröstelte. »Er ist wie ein Sohn für mich.«

      Langsam kam sein Gesprächspartner auf ihn zu. Die Bewegungen wirkten bedrohlich. Kurz vor ihm blieb er stehen und warf seine Kapuze zurück. »Wir alle bringen Opfer, um das große Ziel zu erreichen.« Der Fürst wusste nicht, was ihn mehr beunruhigte: das reptilienhafte, gelb schimmernde rechte Auge oder die leere Höhle in der linken Gesichtshälfte.

      »Kraeh wird schon bald zu uns stoßen. Er braucht Zeit, sein wahres Wesen zu entdecken. Sorgt Euch nicht um ihn, ich werde mich seiner annehmen, wenn es so weit ist. Doch zuerst wird er uns darin nützlich sein, den Stein der Macht zu beschaffen.« Wie bitterer Honig träufelten seine Worte in Brans Gewissen. »Ihr müsst jetzt stark sein, König Bran.«

      Brans Gesichtsausdruck fand bei der bloßen Erwähnung des sagenumwobenen Relikts beinahe seine gewohnte Entschlossenheit wieder.

      Es klopfte an der Tür. Als der Fürst sich nicht regte, rief der Seher ärgerlich: »Herein!«

      Zwei wie Jäger gekleidete Männer betraten mit gesenktem Haupt den Raum.

      Der jüngere von beiden ergriff das Wort: »In Triberkh ist niemand mehr am Leben außer …«

      »Außer?«, hakte der Seher mit gefährlichem Unterton nach.

      Dem Angesprochenen wurde zusehends unwohl. »Zwei Kinder«, stammelte er, »die jüngsten Gunthers, sie waren nicht dort.«

      Jetzt nahm auch Bran Anteil an der Unterredung.

      »Jemand muss sie gewarnt haben …«

      Der Seher war neben die Kundschafter getreten. Etwas, das einer Hand nur entfernt ähnlich sah, huschte blitzschnell aus der Kutte hervor und rammte sich bis zum Gelenk in die Magengegend des bisher Schweigenden.

      »Sprich weiter«, sagte er ruhig zu dem anderen, die Zuckungen des Körpers vor ihm musternd, während er tiefer in die Gedärme vorstieß.

      »Ich … Ich … werde sie finden.«

      Der Gepeinigte röchelte qualvoll, nur die Kraft des Armes, mit dem er auf groteske Weise verbunden war, hielt ihn aufrecht.

      »Das wirst du«, lautete die gnädige Antwort. »Wähle dreißig Mann aus und reite sofort los.«

      So schnell, wie sie gekommen war, verschwand die Klaue wieder. Leblos sackte der Körper in sich zusammen.

      Der junge Soldat erschrak vor dem grauenvollen Anblick, besann sich dann aber auf sein eigenes Wohl, beugte sein Haupt vor dem Fürsten und verließ überstürzt den Raum und die dahinterliegende Halle.

      Bran zitterte ob des Gräuels, dessen Zeuge er eben geworden war, und ebenso wegen der überbrachten Nachricht.

      »Was machen wir jetzt?«, fragte er beklommen.

      »Wir fahren fort wie geplant. Ich reise zu Theodosus, jetzt wird er mir Gehör schenken. Und Ihr habt besser Eure Sinne zusammen, wenn ich zurückkehre.«

      Wie ein Schatten bewegte sich der Seher zum Gehen.

      »Was ist mit deinem Auge geschehen?«, traute sich Bran doch noch zu fragen.

      Das Wesen drehte sich um, seine kahlen Lippen nahmen einen beinahe schelmischen Ausdruck an. »Wie gesagt, wir alle bringen unsre Opfer.«

      ***

      Kraeh ritt neben dem immer noch angeschlagenen Sedain an der Spitze des heimkehrenden Heereszuges. Über einen Mond hatten sie in der eroberten Burg verbracht, ihre Wunden geleckt und der neuen Besatzung Instruktionen erteilt.

      Über feuchte Ebenen, begrenzt von Bäumen und Sträuchern, die sich an die harten Bedingungen gewöhnt hatten, führte sie ihr Weg. Es war still, bis auf ein gelegentliches Stöhnen am Ende des Zuges, wo die Gefangenen durch ein langes Seil aneinandergekettet hinter den Siegern hertrotteten.

      Die Stimmung der beiden war wie immer gelassen.

      »Vielleicht statte ich der kleinen Roten diesmal einen Besuch ab«, versuchte Sedain seinen Freund zu reizen.

      Kraeh stieß einen Pfiff aus. »Du kannst es ja mal versuchen. Aber ich muss dich warnen: Sie ist wählerisch.«

      »Ganz offensichtlich nicht … Könnte doch sein, dass sie die Nase voll hat von Nekrophilie.« Aufreizend strich er sein dichtes, schwarzes Haar aus der Stirn.

      Kraeh lächelte. »Wenn du sie erst einmal von den Vorzügen deiner Ohren …« Er kam nicht dazu, seine Neckerei auszuführen, Berbast hatte zu ihnen aufgeschlossen. Sein Streitross warf den Kopf zurück, als er an seinen Zügeln zerrte.

      »Ihr seid eine Schande«, sagte er barsch, da er das Ende des Gesprächs der beiden mitbekommen hatte, »in der nächsten Welt wartet ein Platz als Hofnarren auf euch. Dort werdet ihr eure Zeit damit verbringen, echten Kriegern ein Schmunzeln abzuringen. Und glaubt mir, die Pforten stehen bereits offen.«

      Kraehs Augen hatten sich zu Schlitzen verengt.

      Üblicherweise fiel es Kraeh zu, das Temperament seines Freundes zu bändigen; in dieser Situation bemerkte Sedain jedoch, dass es diesmal an ihm war. Er legte eine Hand auf Kraehs Arm. »Siehst du den Angstschweiß auf meiner Stirn, Bärenmann?«, fragte er betont lässig an Berbast gewandt.

      Der hünenhafte Krieger ignorierte ihn und ließ sich wieder zurückfallen.

      »Was, meinst du, hält unsre Freundin wohl von Sodomie?«

      Die Spannung fiel von Kraeh ab und beide lachten, laut genug, um sicherzugehen, auch in den Reihen hinter ihnen gehört zu werden.

      Nicht weit entfernt hockte eine Familie von Gnomen beim Mittagstisch. Kaum mehr als einen halben Mann messende, bucklige Gestalten. Als Behausung dienten ihnen offensichtlich die weit ausladenden Wurzeln eines Baumes. In dem Moment, da sich einer der Soldaten aus dem Zug löste und sich ihnen näherte, nahmen sie Reißaus. Fremde Arten, Erwachte oder Mutanten, wie einige sie nannten – je nachdem, wie man zu ihnen stand –, wurden seit Langem weder von Gunther noch von Theodosus in ihren Reichen geduldet. Die einzige Ausnahme bildete Sedain, und das auch nur, weil Kraeh sich damals bereit erklärt hatte, für ihn zu bürgen.

      Ähnlich unwillkommen im eigenen Land fühlte sich der weißhaarige Krieger zwei Tage später bei ihrer Rückkehr. Es erwarteten sie keine Festlichkeiten, wie es nach einem derart