Florian Scholz

Kirchliches Arbeitsrecht in Europa


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nach dem Verständnis der Kirchen auch jene Mitarbeiter der Dienstgemeinschaft zuzurechnen, die nicht der jeweiligen oder keiner Kirche angehören.386

      Wie Joussen zutreffend herausgearbeitet hat, weist die Dienstgemeinschaft neben dem nach außen gerichteten Aspekt der Verkündigung durch die Erbringung des kirchlichen Dienstes daher auch einen internen Bezug in Gestalt eines verbindenden Elements auf, das die gemeinsame Wahrnehmung des kirchlichen Auftrags durch alle Beschäftigten umfasst.387 Durch dieses nach innen wirkende Strukturprinzip sind alle Personen, die für eine kirchliche Einrichtung tätig sind, miteinander verbunden. Dies schließt auch die Dienstgeber mit ein. Im Gegensatz zur regelmäßig bestehenden Bipolarität zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer besteht damit in kirchlichen Arbeitsverhältnissen eine Multipolarität im Rahmen einer Gemeinschaft, zu der auch der Dienstgeber gehört.388

      Diese interne und externe Dimension der Dienstgemeinschaft kommt auch in der Erklärung der deutschen Bischöfe zum kirchlichen Dienst vom 22. September 1993 zum Ausdruck. Danach bilden „alle, die in den kirchlichen Einrichtungen mitarbeiten (…) – unbeschadet der Verschiedenheit der Dienste und ihrer rechtlichen Organisation – eine Dienstgemeinschaft“.389 Weiter heißt es: „Wer in ihnen (den kirchlichen Einrichtungen) tätig ist, wirkt an der Erfüllung dieses (kirchlichen) Auftrages mit“.390 Darin findet sich das nach innen wirkende Gemeinschaftselement sowie das nach außen gerichtete Element des Sendungsauftrags wieder. Daraus folgt zugleich, dass „jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter das kirchliche Selbstverständnis der Einrichtung anerkennt und dem dienstlichen Handeln zugrunde legt“.391

      Auch die innerhalb des Schrifttums vorgenommenen Definitionen des Begriffs der Dienstgemeinschaft orientieren sich an diesen beiden Elementen. So heißt es bei Herr:

      „Die kirchliche Dienstgemeinschaft ist der institutionalisierte und arbeitsrechtlich geregelte Zusammenschluss von Dienstgebern und Mitarbeitern in kirchlichen Einrichtungen, deren Besonderheit sich aus der Tatsache ergibt, dass der kirchliche Dienst von der gemeinsamen Verantwortung aller für die Sendung der Kirche getragen wird und sich als Lebens- und Wesensäußerung der Kirche nach den grundlegenden Wahrheiten und Normen des Glaubens ausrichtet.“392

      Im Lexikon für Theologie und Kirche findet die grundsätzliche Gleichwertigkeit aller innerhalb der kirchlichen Einrichtung ausgeübten Funktionen besondere Betonung:

      „Die Bediensteten einer kirchlichen Einrichtung bilden eine Dienstgemeinschaft, in der es zwar verschiedene Funktionen gibt, in der aber alle persönlich gleichwertig beteiligt sind und ohne Unterschied an der Verwirklichung des kirchlichen Heils- und Verkündungsauftrags zusammenwirken.“393

      Das Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft akzentuiert die Bedeutung der kirchlichen Lehre für die äußere als auch die innere Dimension der Dienstgemeinschaft:

      „Den Begriff der Dienstgemeinschaft verwendet man in katholischen und protestantischen deutschen Kirchen, um das Besondere des Miteinanders zu bezeichnen, das die in der Kirche beruflich oder ehrenamtlich Mitarbeitenden verbindet. Der Begriff will ausdrücken, dass dieses Miteinander am biblischen Maßstab ausgerichtet ist. (…) Daß die in der Kirche Arbeitenden in der Gemeinschaft des Dienstes stehen, bedeutet zunächst, daß sie alle, was auch immer ihre berufliche Aufgabe ist, dem Auftrag der Kirche verpflichtet sind, die biblische Botschaft zu verkündigen.“394

      Es ist somit festzustellen, dass sich der Bedeutungsgehalt der Dienstgemeinschaft – unabhängig von seinen rechtlichen Konsequenzen im Einzelnen – hinreichend konturieren lässt. Gleichwohl wurde in der Vergangenheit teilweise im Schrifttum moniert, dass eine „griffige und flächendeckende Definition“ des Begriffs der Dienstgemeinschaft nicht existiere.395 Dem kann, insbesondere im Hinblick auf die in den jüngeren wissenschaftlichen Untersuchungen396 zur Dienstgemeinschaft gewonnenen Erkenntnisse, nicht zugestimmt werden. Ohnehin kann angesichts des umfassenden und weitreichenden Bedeutungsgehalts des Begriffs eine „flächendeckende“ Definition nicht erwartet werden. Das Leitbild der Dienstgemeinschaft enthält vielschichtige und facettenreiche Implikationen, die nur verkürzt auf eine abstrakte Definition reduziert werden könnten.

      bb) Kritik am Begriff der Dienstgemeinschaft

      Im Laufe der Zeit ist innerhalb des rechtswissenschaftlichen Schrifttums – und teilweise auch innerhalb der theologischen sowie sozialwissenschaftlichen Literatur – deutliche Kritik gegenüber dem Leitbild der Dienstgemeinschaft geäußert worden.397 Exemplarisch ist dafür die Aussage von Hengsbach, die Dienstgemeinschaft sei „eine der umstrittensten Wortschöpfungen bzw. Lehnworte der beiden Großkirchen“.398

      Derartige Kritik muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass auf der Grundlage des Leitbilds der Dienstgemeinschaft die Besonderheiten des kirchlichen Arbeitsrechts begründet werden. Ein Teil der Kritik zielt daher zugleich auch mittelbar auf die arbeitsrechtliche Sonderstellung der Kirchen ab. Dabei werden verschiedene Begründungsansätze gewählt, mit denen die Tauglichkeit des Begriffs als Fundament für das kirchliche Arbeitsrecht unterminiert werden soll.

      (1) Begriffshistorie

      Zuweilen wird die Legitimität des Leitbildes der Dienstgemeinschaft unter Anführung dessen begrifflicher Genese in Zweifel gezogen.399 Untersuchungen aus der jüngeren Vergangenheit haben ergeben, dass der Begriff vor 1930 im kirchlichen Kontext nicht verwendet wurde.400 Erstmalig fand er im Jahr 1936 in der „Tarifordnung für die dem Deutschen Caritasverband angeschlossenen Anstalten der Gesundheitsfürsorge“ Erwähnung.401

      Die Kritiker sehen eine „problematische Begriffsgeschichte“402 in dem Umstand begründet, dass die Kirchen den Begriff aus dem „Gesetz zur Ordnung der Arbeit in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben“ (AOG) aus dem Jahr 1934 übernahmen. Zur Abkehr vom Klassenkampf und zur Etablierung eines betrieblichen Gemeinschaftsgedankens hatten die Nationalsozialisten mit diesem Gesetz das Konzept der Betriebsgemeinschaft403 in ihr Rechtssystem integriert. § 2 Abs. 2 AOG lautete:

      „Der Führer sorgt für das Wohl der Beschäftigten. Diese haben die ihm in der Dienstgemeinschaft begründete Treue zu halten und eingedenk ihrer Stellung im öffentlichen Dienst in ihrer Diensterfüllung allen Volksgenossen Vorbild zu sein.“404

      Es wäre aber verfehlt, allein aufgrund dieser begrifflichen Parallele das Konzept der kirchlichen Dienstgemeinschaft zu diskreditieren. Denn soweit die Kirchen eine Gemeinschaft des Dienstes zur Verwirklichung ihres Sendungsund Verkündigungsauftrags begründen, ist die Unterstellung einer dadurch begründeten Nähe zu nationalsozialistischer Ideologie absurd. Aus der übereinstimmenden Terminologie erwächst nicht zugleich inhaltliche Nähe.405 Dementsprechend wird von der herrschenden Lehre die zutreffende Auffassung vertreten, dass die kirchliche Dienstgemeinschaft keine inhaltliche Übereinstimmung mit der nationalsozialistischen Betriebsgemeinschaft aufweist.406

      (2) Fehlende theologische Fundierung

      Teilweise wird auch moniert, der Begriff der Dienstgemeinschaft beruhe nicht auf einer eigenständigen theologischen Fundierung. Juristen hätten um den Begriff der Dienstgemeinschaft eine „imposante Rechtsarchitektur“ geschaffen, an der Theologen kaum beteiligt gewesen seien.407 Die Dienstgemeinschaft sei keine biblische Kategorie und entstamme keiner kirchlichen Tradition.408

      Lührs analysiert die Einträge zur Dienstgemeinschaft innerhalb religionswissenschaftlicher Enzyklopädien und stellt fest, dass in diesem Zusammenhang keine theologische Referenzliteratur benannt werde und die Autoren ausschließlich einen Bezug zum kirchlichen Arbeitsrecht herstellten.409 Er folgert daraus, dass die Verwendung des Begriffs der Dienstgemeinschaft in der katholischen und evangelischen Theologie auf den Zusammenhang des kirchlichen Arbeitsrechts begrenzt sei und es sich um ein von Juristen „theologisiertes“ Konzept handele.410