Florian Scholz

Kirchliches Arbeitsrecht in Europa


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Kirche-Staat-Verhältnisses, das nun eine Verfeinerung und Intensivierung erfuhr. Nach langen kontroversen Diskussionen innerhalb des Parlamentarischen Rats einigte man sich im Rahmen eines sogenannten „doppelten Kompromisses“267 auf eine Inkorporation der entsprechenden Weimarer Verfassungsartikel über Art. 140 GG in das Bonner Grundgesetz.268 Mit der deutschen Einheit im Jahr 1990 wurde die Geltung des Staatskirchensystems aus dem Grundgesetz schließlich auf das gesamte wiedervereinigte Deutschland erstreckt.

      2. Die Stellung der Kirchen unter dem Grundgesetz

      Das gegenwärtige deutsche Staatskirchenrecht steht als Folge der vorangehend skizzierten historischen Entwicklung auf zwei verfassungsrechtlichen Fundamenten: Einerseits garantiert Art. 4 Abs. 1 und 2 GG als Grundrecht die Religionsfreiheit. Dabei ist für das Wirken der Kirche und den ihr zugeordneten Einrichtungen dessen spezifische Ausprägung der korporativen Religionsfreiheit maßgeblich. Andererseits bestimmen die durch Art. 140 GG inkorporierten Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung das institutionelle Grundverhältnis von Staat und Kirche.269 Insoweit ist das den Kirchen in Art. 137 Abs. 3 WRV garantierte Selbstbestimmungsrecht von zentraler Bedeutung.

      Beide Gewährleistungen sind letztlich unterschiedliche Akzentuierungen derselben verfassungsrechtlich gewährten Freiheit.270 Die inkorporierten Kirchenartikel der WRV gewährleisten die für die Ausübung der Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG förderlichen institutionellen Rahmenbedingungen.271 Im institutionellen Verständnis des Staatskirchenrechts ist aber Art. 137 WRV als Kernbestimmung272 anzusehen, da es die Grundprinzipien des staatskirchenrechtlichen Systems des Grundgesetzes enthält.

      a) Korporative Religionsfreiheit, Art. 4 Abs. 1 und 2 GG

      Leitender Bezugspunkt des staatskirchenrechtlichen Systems des Grundgesetzes ist Art. 4 Abs. 1 und 2 GG.273 Es handelt sich um ein einheitliches274 Grundrecht, das die Freiheit des Glaubens und des religiösen Bekenntnisses, sowie die ungestörte Religionsausübung schützt. Es ist in erster Linie Abwehrrecht gegenüber staatlicher Einflussnahme auf religiöse Überzeugungen und ihre Betätigung.275 Auch die Religionsgemeinschaften selbst sind vom persönlichen Schutzbereich erfasst und können sich entsprechend auf die korporative Religionsfreiheit berufen.276 Dies gilt auch, wenn sie – wie die verfassten Kirchen – als Körperschaften des öffentlichen Rechts nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV organisiert sind.277 Da Art. 4 GG keine ausdrückliche Schrankenregelung enthält, können grundsätzlich nur Rechte mit Verfassungsrang grenzziehend wirken.278 Der Ausübung der korporativen Religionsfreiheit dient im Wesentlichen das in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV garantierte kirchliche Selbstbestimmungsrecht.279 Im Zusammenhang mit dessen Darstellung soll das Verhältnis zu Art. 4 Abs. 1 und 2 GG thematisiert werden.

      b) Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV - Fundament des deutschen Staatskirchenrechts

      aa) Systematische Einordnung im Grundgesetz

      Den Weimarer Kirchenartikeln kommt die gleiche Normqualität wie den sonstigen Bestimmungen des Grundgesetzes zu; mit ihrer Inkorporation durch Art. 140 GG sind sie vollgültiges Verfassungsrecht geworden.280 Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sie im eher unscheinbaren Kapitel XI. der „Übergangs- und Schlussbestimmungen“ des Grundgesetzes aufgeführt sind. Daraus wird lediglich gefolgert, dass ihnen keine Grundrechtsqualität zukommt.281

      Gemeinsam mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG bildet Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 ff. WRV ein organisches Ganzes.282 Der Bedeutungsgehalt der Weimarer Kirchenartikel hat sich daher gewandelt.283 Mit ihrer Inkorporation erhielten sie durch ihren engen Zusammenhang mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG einen neuen Kontext, der im Rahmen einer systematischen Auslegung Berücksichtigung finden muss.284 Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit dem Interpretationsprinzip der Einheit der Verfassung begründet.285 Borowski veranschaulicht dies mit dem Ausdruck der „interpretatorischen Wechselwirkung“286. Daraus folgt insbesondere, dass sich die herausragende Bedeutung der Grundrechte im Grundgesetz – und damit auch der Glaubensfreiheit – im Verständnis der Weimarer Kirchenartikel zu manifestieren hat; insbesondere dem Umstand, dass durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG die Religionsfreiheit ohne Gesetzesvorbehalt gewährt wird, ist Rechnung zu tragen.287

      bb) Die grundlegenden staatskirchenrechtlichen Elemente des Grundgesetzes

      Das staatskirchenrechtliche System Deutschlands ist im Wesentlichen durch das Verbot einer Staatskirche und die Grundsätze der Neutralität und Parität konstituiert. Diese Prinzipien stehen in enger Verbindung zueinander und ergänzen sich.

      (1) Verbot der Staatskirche

      Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 WRV trifft die knappe, aber folgenreiche Aussage: „Es besteht keine Staatskirche.“ Darin liegt die Grundsatzentscheidung des deutschen Staatskirchenmodells. Eine institutionelle Verbindung zwischen staatlichen Organen und den Kirchen ist infolgedessen untersagt.288 Eine Zuordnung Deutschlands zu den Trennungssystemen im Sinne der grundlegenden Schematisierung von Staatskirchenmodellen wäre jedoch unscharf und vernachlässigte die feineren Akzentuierungen.289 Zwar besteht das Prinzip der Nichtidentifikation des Staates mit einer bestimmten Glaubensrichtung, doch muss dieser offen sein für das Phänomen Religion und darf es nicht ausgrenzen.290 So bestehen verfassungsrechtliche Ausnahmen der Trennung, wie etwa kooperative Strukturen beim Religionsunterricht291 oder die Religionsgemeinschaften zugestandene Möglichkeit zur Erlangung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV. Es besteht somit auch ein Verhältnis von wechselseitiger Zugewandtheit und Kooperation zwischen Staat und Kirchen.292 Der Trennung wird aus diesem Grund ein wohlwollender und freundlicher Akzent beigemessen.293 Dies begründet einen elementaren Wesensunterschied gegenüber einem staatskirchenrechtlichen Gefüge im Sinne einer laizistischen Trennung.294 Als Folge dessen wird das deutsche Staatskirchensystem häufig dem gewissermaßen zwischen Trennungssystem und Staatskirchentum stehenden Kooperationsmodell zugerechnet.295

      (2) Neutralität und Parität

      Die Grundsätze der Neutralität296 und Parität297 als weitere staatskirchenrechtliche Grundsätze stehen mit dem Verbot der Staatskirche in engem Zusammenhang. Der Staat ist zur religiös-weltanschaulichen Neutralität verpflichtet, weil er nur so „Heimstatt aller Staatsbürger“298 sein kann. Daraus resultieren die Prinzipien des Beeinflussungs-299 und Identifikationsverbotes300. So dürfen staatliche Institutionen keine religiösen Überzeugungen und Ansichten vertreten und nicht Partei für eine Religionsgemeinschaft ergreifen.301 Auch ist dem Staat eine Einmischung in religiöse und weltanschauliche Fragestellungen der Kirchen untersagt. Als wesentliche Konsequenz darf er daher auch keine eigenständige Bewertung religiös geprägter Sachverhalte vornehmen, da ihm aufgrund seiner säkularen Natur keine Kompetenz für religiöse Angelegenheiten zukommt.302 Dieser Aspekt tangiert bereits den Gehalt des Selbstbestimmungsrechts aus Art. 137 Abs. 3 WRV.

      Als Konsequenz aus dem Neutralitätsgebot erwächst zugleich auch der Grundsatz der Parität, der eine rechtliche Gleichbehandlung der Kirchen und Religionsgemeinschaften fordert und letztlich auch im allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG wurzelt.303 In diesem Sinne ist aber keine pauschale Gleichbehandlung gefordert, vielmehr können durch tatsächliche Verschiedenheiten der Religionsgemeinschaften begründete Differenzierungen geboten sein.304 Daraus folgt eine exponierte staatskirchenrechtliche Stellung der beiden christlichen Kirchen, die Ausdruck ihrer besonderen kulturellen und sozialen Bedeutung ist.305