der Anerkennung der Compliance-Defense hat der deutsche Gesetzgeber eine Lücke im System geschlossen, die bisher den einen oder anderen an der Sinnhaftigkeit von Compliance zweifeln ließ. Der bisher von vielen Verfolgungsbehörden einschließlich der Europäischen Kommission4 angewandte Grundsatz „Die zu bebußende Zuwiderhandlung beweist die unzureichenden Compliance-Bemühungen“ ist zwar nach wie vor richtig, aber das nur im Hinblick auf die individuell verstoßende Person, nicht im Hinblick auf das dafür gegebenenfalls haftende Unternehmen. Die Behörden, die den Grundsatz auch heute noch unterschiedslos auf Unternehmen anwenden, denen es schlicht und einfach unmöglich ist, eine 100 %ige Kontrolle über Arbeitnehmer auszuüben, lassen das notwendige Verständnis für die reale Welt vermissen. In dieser gibt es Menschen mit einer „kriminellen Energie“, die sich weder von sanktionsbewehrten Anordnungen abschrecken lassen noch über ansonsten wirksame Überwachungsmechanismen zu fassen sind.
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Die Compliance-Defense beschreibt die Möglichkeit, in Bußgeldverfahren ein effektives Compliance-System bei der Festsetzung der Bußgeldhöhe zu berücksichtigen. Sie kann eine Reduzierung der Bußgeldhöhe, aber auch das völlige Wegfallen eines Bußgeldes bewirken: Wenn das Unternehmen alles getan hat, was man tun kann, aber ein mit krimineller Energie ausgestatteter Mitarbeiter des Unternehmens eine Zuwiderhandlung begangen hat, ist ein Unternehmensbußgeld nicht mehr gerechtfertigt.5 Für die Haftung eines Betriebsinhabers wegen unterlassener Aufsichtsmaßnahmen nach § 130 OWiG ergibt sich das bereits aus dem Tatbestand dieser Vorschrift, für die Haftung des Unternehmens nach § 30 OWiG aus der Compliance-Defense. Um zu sachgerechten Entscheidungen zu kommen und letztlich auch den Wert von Compliance in Unternehmen zu steigern, ist die Compliance-Defense international auf dem Vormarsch6 und – nicht zuletzt dank einer Erinnerung des BGH im Jahre 20177 – nun im GWB fest verankert. Worum geht es im Detail?
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Es geht um „Compliance“, die der Gesetzgeber als „Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Zuwiderhandlungen“ definiert. Für die Geltendmachung der Compliance-Defense müssen diese Vorkehrungen nach den Gesetzesvorgaben „angemessen und wirksam“ sein. Die Vorkehrungen sind auf jeden Fall dann wirksam, wenn sie zur Vermeidung von Zuwiderhandlungen oder zur Aufdeckung von Zuwiderhandlungen führen. Nur wenn das „und“ im Gesetzestext als „oder“ verstanden wird, macht die Regelung Sinn. Denn bei der Vermeidung gibt es wie bisher kein Kartellverfahren – es ist ja noch mal gut gegangen. Neu ist allerdings die Aufdeckung als Nachweis der Wirksamkeit des Compliance-Programms.
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Nach der Gesetzesbegründung8 soll durch das Wort „angemessen“ dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Art und der Umfang von Compliance-Maßnahmen typischerweise von der Unternehmensgröße abhängig sind und dass es dabei auf den Einzelfall ankommt. Konkret zu berücksichtigen sind:
– Art des Unternehmens,
– Größe des Unternehmens,
– Organisation des Unternehmens,
– Gefährlichkeit des Unternehmensgegenstandes,
– Anzahl der Mitarbeiter,
– zu beachtende Vorschriften,
– Risiko der Verletzung dieser Vorschriften.
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Über diese Aufzählung hinaus wird nur noch darauf hingewiesen, dass für kleine und mittlere Unternehmen mit geringem Risiko von Rechtsverletzungen auch wenige einfache Maßnahmen ausreichend sein können; insbesondere der Zukauf eines Compliance-Programms oder von Zertifizierungen sei in diesen Fällen regelmäßig nicht erforderlich.
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Wie oben ausgeführt, sind Vorkehrungen zur Aufdeckung von Zuwiderhandlungen logischerweise dann „wirksam“, wenn sie zur Aufdeckung der Zuwiderhandlung geführt haben. Das ist genauso richtig, wie Vorkehrungen zur Vermeidung von Zuwiderhandlungen dann wirksam sind, wenn sie eine Zuwiderhandlung vermieden haben. Es spielt also nach der Entdeckung (und Abstellung) des Verstoßes keine Rolle, wie sich das Unternehmen danach verhält, ob es also den entdeckten (und abgestellten) Verstoß zur Anzeige bringt. Das ist auch logisch nachzuvollziehen, weil es sich bei diesem Verhalten nach Entdeckung und Beendigung der Zuwiderhandlung um Nachtatverhalten handeln würde, es bei der „Wirksamkeit“ im Sinne von § 81d Abs. 1 S. 2 Nr. 4 GWB jedoch um die Beurteilung von Compliance-Maßnahmen vor der Tat geht.
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Hier sorgt nun die Gesetzesbegründung für Verwirrung. Richtigerweise stellt sie zunächst zur Compliance-Defense fest, dass „damit Fälle, in denen der Inhaber eines Unternehmens alle objektiv erforderlichen Vorkehrungen ergriffen hat, um Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen durch Mitarbeiter wirksam zu verhindern, berücksichtigt werden können“.9 Doch sodann folgt ein Satz, der in die Irre führt und vom Gesetzeswortlaut, der die Grenze zulässiger Auslegung markiert, auch nicht mehr gedeckt ist: „Dies [= Berücksichtigung der im vorhergehenden und soeben zitierten Satz genannten Fälle] ist in der Regel dann anzunehmen, wenn die ergriffenen Maßnahmen zur Aufdeckung und Anzeige der Zuwiderhandlung geführt haben.“10
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Die Anzeige als Zusatzerfordernis für die Compliance-Defense aufzunehmen ist geradewegs „contra legem“; der Wortlaut gibt ein solches Verständnis nicht mehr her, sodass schon aus diesem Grund der Versuch ausscheidet, mit Sinn und Zweck der Regelung zu argumentieren. Aber auch der Sinn und Zweck, Compliance-Maßnahmen im Sinne einer besseren, kartellrechtlich „sauberen“ Welt zu fördern, gebietet das Zusatzerfordernis der Anzeige nicht. Es hat nichts mit der Wirksamkeit der Maßnahme zu tun, diese ist allein durch die Aufdeckung schon bewiesen. Ob der aufgedeckte Verstoß dann als erster, zweiter oder dritter bei der Behörde angezeigt wird, ob dies mit oder ohne Antrag nach dem Kronzeugenprogramm geschieht oder ob die Behörde durch Hinweis oder Durchsuchung von der aufgedeckten Zuwiderhandlung erfährt, spielt dann keine Rolle mehr.
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Der schwierigste Bereich der Compliance-Defense ist betroffen, wenn die Kartellbehörden beurteilen müssen, ob das vorhandene Compliance-Programm des Unternehmens, dessen Mitarbeiter die Zuwiderhandlung begangen haben, „angemessen und wirksam“ ist. Die Maßstäbe für die Angemessenheit aus der Gesetzesbegründung sind schon oben genannt, mit Maßstäben für die Wirksamkeit tut sich die Gesetzesbegründung allerdings schwer.
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Nach der Gesetzesbegründung ist ein Compliance-Programm wirksam, das „alle erforderlichen Vorkehrungen“11 trifft. Richtigerweise wird auch festgehalten, dass es nicht von vorneherein gegen die Ernsthaftigkeit des Bemühens, kartellrechtliche Zuwiderhandlungen zu vermeiden, spricht, wenn es trotz des Compliance-Programms zu einer Zuwiderhandlung gekommen ist. Allerdings heißt es dann, und hier verfällt man in alte Argumentationsmuster zurück, dass bei Nicht-Aufdeckung (und Anzeige – aber der Hinweis ist gesetzeswidrig) der Zuwiderhandlung die trotz Compliance-Programm begangene Zuwiderhandlung darauf hinweise, dass ein Defizit bei der Compliance vorliege. Dieser Schluss ist falsch, genau das ist zu ermitteln. Und wenn das Bundeskartellamt bei seinen Ermittlungen zum Schluss kommt, dass die Zuwiderhandlung durch ordnungsgemäße Compliance verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre, kann – natürlich, möchte man sagen – nur das grundsätzliche Bemühen um Compliance zu einer allenfalls geringen Bußgeldminderung führen.
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Mit diesem Regelverständnis ergibt sich für die verschiedenen Fallkonstellationen konkret Folgendes:
– Die Compliance-Defense gilt für alle Unternehmen unabhängig davon, ob sie nach § 30 OWiG oder nach § 130 OWiG für eine Zuwiderhandlung durch Mitarbeiter des Unternehmens haften.
– Die Compliance-Defense gilt für alle Unternehmen unabhängig davon, ob sie eine von Mitarbeitern begangene Zuwiderhandlung aufgedeckt haben oder nicht. Wurde die Zuwiderhandlung nicht