Jörg-Martin Schultze

Compliance-Handbuch Kartellrecht


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zwei Grundsäulen: Die eine Säule begründet die unternehmerische Verhaltenskontrolle in Form des Kartellverbots2 und des Verbots missbräuchlichen Verhaltens für Unternehmen mit Marktmacht,3 die andere Säule umfasst die Strukturkontrolle für die Übernahme von Unternehmen oder Vermögenswerten in Form der Fusionskontrolle.4

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      Der Fokus von kartellrechtlichen Compliance-Maßnahmen liegt regelmäßig auf der ersten Säule, also der kartellrechtlichen Verhaltenskontrolle. Hier sind die risikorelevanten Sachverhalte des Unternehmensalltags angesiedelt, also Vorgänge, bei denen Unternehmensmitarbeiter das Unternehmen täglich in kartellrechtliche Gefahren bringen können. Transaktionen sind dagegen weit weniger alltäglich und werden im Unternehmen regelmäßig von Anfang an rechtlich begleitet. Die mit einem Transaktionsprozess verbundenen kartellrechtlichen Risiken erfahren damit naturgemäß eine höhere rechtliche Aufmerksamkeit. Auch wenn Compliance-Schulungen in diesem Bereich nicht zu vernachlässigen sind, betreffen sie regelmäßig einen eher kleinen Mitarbeiterkreis, der vor allem dahingehend sensibilisiert werden muss, rechtzeitig an das Kartellrecht und die Einbeziehung kartellrechtlicher Expertise zu denken.

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      Derzeit haben weltweit über 120 Länder eigene Regeln zur Durchsetzung des Kartellrechts. Auch wenn es viele Prinzipien gibt, die in allen Rechtsordnungen enthalten sind, weicht die konkrete Ausgestaltung der Kartellrechtsgesetze sowie deren Umsetzung in einigen Punkten signifikant voneinander ab. Die Ausführungen in diesem Buch befassen sich allein mit europäischem und deutschem Kartellrecht, sofern nicht ausdrücklich auf eine andere Rechtsordnung Bezug genommen ist.

      1 BKartA, Informationsbroschüre „Offene Märkte – Fairer Wettbewerb“, S. 10. 2 Siehe hierzu ausführlich unter Rn. B 95. 3 Siehe hierzu ausführlich unter Rn. B 202. 4 Siehe hierzu ausführlich unter Rn. B 288. 5 EG-Fusionskontrollverordnung VO Nr. 139/2004, ABl. EU 2004 L 24/1. 6 Art. 53, 54 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, ABl. EG 1994 L 1/3.

       II. Anwendbarkeit von Kartellrecht

       1. Auswirkungsprinzip

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       2. Verhältnis zwischen europäischem und deutschem und sonstigem nationalen Kartellrecht innerhalb der EU

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      Deutsches und europäisches Kartellrecht sind grundsätzlich nebeneinander anwendbar, wobei die Anwendung europäischen Kartellrechts im Konfliktfall vorgeht.8

      Hat eine Verhaltensweise rein lokale Auswirkungen auf einen Mitgliedstaat der EU, fällt sie mangels Spürbarkeit der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels ggf. nicht unter europäisches, sondern allein unter das nationale Kartellrecht des jeweiligen Mitgliedstaats, bei Auswirkungen in Deutschland also allein in den Zuständigkeitsbereich des Bundeskartellamtes. Die praktischen Auswirkungen sind jedoch vergleichsweise gering: Im Bereich der zweiseitigen Verhaltenskontrolle sind die Kartellrechtsordnungen der Mitgliedstaaten voll an das EU-Kartellrecht angepasst. Im Bereich der einseitigen Missbrauchskontrolle können die Beurteilungsmaßstäbe nur strenger, nicht dagegen milder ausfallen. Das deutsche Kartellgesetz macht von der Möglichkeit einer strengeren einseitigen Verhaltenskontrolle Gebrauch.9

      Europäisches Kartellrecht ist auf der Ebene der Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbares Recht.10 Dies gilt auch für alle von der Kommission erlassenen Verordnungen, etwa zur Fusionskontrolle, und insbesondere für die sog. Gruppenfreistellungsverordnungen (siehe dazu unter Rn. B 104ff.). Die zur Erläuterung dieser Verordnungen ebenfalls von der Kommission erlassenen Leitlinien und Merkblätter haben dagegen nur für die Kommission selbst unmittelbare rechtliche Bindungswirkung, sofern sie nicht unmittelbar den Verordnungstext erläutern (siehe dazu unter Rn. B 110).

       3. Kartellrechtsordnungen anderer Länder außerhalb des EWR

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      Obgleich sich in allen Kartellrechtsordnungen weltweit gewisse gemeinsame Grundkonzepte wiederfinden, weichen die nationalen Kartellrechtsregeln, einschließlich deren Umsetzungen durch nationale Kartellbehörden und Gerichte, durchaus substanziell voneinander ab.

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