Jörg-Martin Schultze

Compliance-Handbuch Kartellrecht


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Kartellrecht ist somit der Sache nach eine Konzernhaftung für Kartellrechtsverstöße eingeführt worden.24 Danach sind jetzt bei einheitlich geleiteten Unternehmen Geldbußen nicht nur gegen handelnde Tochtergesellschaften, sondern auch gegen ihre lenkenden Konzernmütter möglich, ohne dass diese durch eigene Organe oder Repräsentanten i.S. § 30 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 GWB tatbeteiligt waren. Zum anderen ist für die Fälle der Rechtsnachfolge und wirtschaftlichen Nachfolge durch § 80 Abs. 3b und c GWB die Haftung für Rechtsnachfolger spürbar verschärft worden. Neben der erweiterten Haftung von Gesamtrechtsnachfolgern sind nunmehr nach deutschem Kartellrecht erstmals auch gewisse Vermögensverschiebungen und Umstrukturierungen haftungsbegründend. Schließlich wurde mit § 81a GWB auch eine Ausfallhaftung für die Muttergesellschaft eingeführt, wenn die konzernangehörige Tätergesellschaft nach der Bekanntgabe der Einleitung des Bußgeldverfahrens erlischt oder ihr Vermögen so verschoben wird, dass ihr gegenüber keine Geldbuße mehr festgelegt werden kann.

       3. Relevanter Markt und Marktabgrenzung

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      Die Abgrenzung des relevanten Marktes ist für die kartellrechtliche Beurteilung von Sachverhalten in zweifacher Hinsicht relevant: Zum einen folgt daraus die Bestimmung des Wettbewerbsverhältnisses zwischen den handelnden Unternehmen, zum anderen ist der relevante Markt die Bezugsgröße zur Ermittlung der Marktstellung eines Unternehmens. Wettbewerbsverhältnis und Marktanteile wiederum entscheiden darüber, nach welchen Grundsätzen eine kartellrechtliche Verhaltensweise zu beurteilen ist.

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      In der Praxis führt für eine zutreffende Marktabgrenzung letztlich kein Weg daran vorbei, in einem Gespräch mit einem Produktexperten herauszuarbeiten, welche Produkte oder Dienstleistungen tatsächlich Wettbewerbsdruck auf die unternehmenseigenen Produkte oder Tätigkeiten ausüben. Mit diesem Gespräch geht die Sichtung und Überprüfung der bereits im Unternehmen verwendeten internen Marktüberlegungen, Branchenstatistiken oder sonstigen Materialien voraus, die für die derzeitige Bestimmung der Marktposition verwendet werden. Diese Materialien können dann mit vorhandenen Entscheidungen von Kartellbehörden in der Branche verglichen werden. Regelmäßig bilden Fusionskontrollentscheidungen dabei einen ersten Anhaltspunkt, da hier die umfangreichste Fallpraxis vorhanden ist. Dieser Blickwinkel ist hilfreich, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die dort vorgenommene Marktabgrenzung für die Überprüfung von Verhaltensweisen nach dem Kartell- oder Missbrauchsverbot oft nur einen Ausgangspunkt bildet: Die Marktabgrenzung kann gerade im Zusammenhang mit der Missbrauchsaufsicht in der Praxis oft bedeutend enger ausfallen, als dies für einen im Kartellrecht nicht geschulten Mitarbeiter den Anschein haben mag. Dies hat dann unmittelbare Auswirkungen auf die Bestimmung der Marktposition im relevanten Markt und daran anknüpfender, besonderer Verhaltensregeln für das Unternehmen.

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      An dieser Stelle können nur die Grundprinzipien der Marktabgrenzung angerissen werden: Die richtige Marktdefinition ist eine der zentralen Fragen des Kartellrechts und als solche sowohl rechtlich, insbesondere aber auch ökonomisch, nur anhand des konkreten Sachverhalts zu beantworten. Unternehmen sind gut beraten, diese Marktanalysen sorgfältig und unter Einbeziehung anerkannter Kartellrechtsgrundsätze vorzunehmen. Denn ob die Marktabgrenzung eines Unternehmen letztlich von den Behörden nachvollzogen wird, zeigt sich erst im Rahmen eines konkreten Verfahrens: Die Behörden verfügen über weitreichende Ermittlungsbefugnisse, zu denen eine eigene Markterhebung mittels umfassender Befragung von Wettbewerbern und Abnehmern zählt. Entsprechende Daten liegen einem Unternehmen weder selbst vor noch könnten diese Daten unternehmensseitig erhoben werden, ohne gegen Kartellrecht zu verstoßen. Hat ein Unternehmen seine rechtlichen Handlungsmöglichkeiten falsch eingeschätzt, weil es eine falsche Marktabgrenzung zugrunde gelegt hat, gehen die Konsequenzen aus dieser Fehleinschätzung ausschließlich zu Lasten des Unternehmens.

       4. Wettbewerbsverhältnis

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      Welche kartellrechtlichen Grundsätze für die Beurteilung einer Vereinbarung maßgeblich sind, richtet sich nach der Frage, ob die handelnden Unternehmen in einem Wettbewerbsverhältnis zueinander stehen oder nicht. Das Kartellrecht behandelt Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern strikter als Vereinbarungen zwischen Nicht-Wettbewerbern.

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       5. Vorsatz und Fahrlässigkeit

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       6. Verjährung

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      In der Praxis besteht die Herausforderung im Nachweis, dass eine Tat wirklich beendet ist. Dies ist nicht der Fall, wenn deren Auswirkungen fortdauern (etwa wenn ein rechtswidrig verabredeter Preis weiterhin gültig bleibt oder eine kartellrechtswidrige Gebietsabrede nach wie vor eingehalten wird). Liegen die Voraussetzungen für eine Tateinheit vor, können somit auch Vereinbarungen, die Jahre – oder in manchen Kartellverfahren mehr als ein Jahrzehnt – zurückliegen, noch verfolgt und geahndet werden.

       7.