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Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten


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deutschen Hauptvertreter einer theokratisch-absolutistischen Staats- und Rechtsauffassung erscheinen, gegen die die Aufklärung Stellung bezog (→ HommelHommel, Karl Ferdinand (1722–1781), → ThomasiusThomasius, Jakob (1622–1684); dt. Philosoph, → WolffWolff, Christian (1679–1754)). Man griff daher im 18. Jahrhundert zu unkritisch Legenden auf, die C. für 20000 Todesurteile, die meisten davon zudem gegen Hexen, verantwortlich machten. Das Thema der Hexenverfolgungen und der Tortur war ja ausnehmend gut geeignet, die eigene Fortschrittlichkeit ins rechte Licht zu rücken, und was lag näher als die Personalisierung dieser Kritik in dem bedeutendsten Vertreter jener Epoche des gemeinen Strafrechts. Nachweisbar ist keine einzige Beteiligung C.s an einem Todesurteil gegen Hexen, im übrigen die Mitwirkung an allenfalls ca. 300 Todesurteilen – eine zwar hohe, aber für die Dauer von C.s Richtertätigkeit und die Härte der damaligen Strafdrohungen nicht eben extreme Zahl.

      Ziel der aufklärerischen Kritik ist C. gerade wegen seiner strafrechtlichen Werke geworden. Das hat etwas aus dem Blickfeld geraten lassen, daß er durch die der „Practica“ folgenden, ebenfalls die Spruchtätigkeit des Leipziger Schöppenstuhles und des Dresdener Appellationsgerichts erschließenden Werke in gleichem Maße Einfluß auf die Rechtspraxis seiner Zeit ausgeübt hat – wie sich schon an den bis weit in das 18. Jh. hinein wiederholten Neuauflagen ablesen läßt sowie an den Bearbeitungen, die seine Werke noch später durch andere Autoren erfahren haben. Hervorzuheben sind insbesondere die dem Prozeß-, Privat- und Lehnrecht, daneben dem Strafrecht gewidmete Jurisprudentia forensis Romano-Saxonica (1638), die aus der Lehrtätigkeit an der Leipziger Juristenfakultät erwachsene Jurisprudentia ecclesiastica seu consistorialis (1649), die als das erste vollständige System des protestantischen Kirchenrechts gilt und erst durch das Werk → Justus Henning BöhmersBöhmer, Justus Henning (1674–1749) abgelöst wurde, und schließlich der Processus iuris in foro Saxonico (1657). Mit Ausnahme des letzteren, das seine Autorität auch der Übernahme einiger Prinzipien des sächsischen Prozesses in das Verfahren der höchsten Reichsgerichte (Reichskammergerichtsordnung v. 1654) verdanken dürfte, beruhte der Einfluß dieser Werke im ganzen Reiche darauf, daß auch hier C. allenthalben vom gemeinen Recht ausging und die sächsische Praxis eben als – beispielhafte – Anwendung dieses Rechts darstellte.

      |96|Hauptwerke: Commentarius in legem regiam Germanorum sive Capitulationem Imperatoriam iuridico-historico-politicus, 1623, 21640 (weitere Ausg. bis 1697). – Practica nova Imperialis saxonica rerum criminalium, 1635, (letzte Ausg. 1752). Dt. Übers. der Ausg. v. 1635 u. 1739: Strafrecht nach neuer kurfürstlich-sächsischer Praxis, v. D. Oehler, 2000. – Peinlicher sächsischer Inquisitions- und Achtprozeß, 1638, 61733. – Iurisprudentia forensis Romano-Saxonica secundum ordinem constitutionum D. Augusti Electoris Saxoniae, 1638 (auch u.d.T. Opus Definitionum forensium; weitere Ausg. bis 1721). – Responsa iuris electoralia, 1642 (weitere Ausg. bis 1709). – Decisiones illustres saxonicae rerum et quaestionum forensium, I 1646, II 1652, III 1654 (weitere Ausg. bis 1729). – Jurisprudentia ecclesiastica seu consistorialis, 1649 (auch u.d.T. Opus definitionum ecclesiasticarum seu consistorialium; weitere Ausg. bis 1721). – Volumen disputationum historico-politico-iuridicarum, 1651 (weitere Ausg. bis 1710). – Processus iuris in foro saxonico, 1657 (weitere Ausg. bis 1708).

      Literatur: E. Boehm: Der Schöppenstuhl zu Leipzig und der sächsische Inquisitionsprozeß im Barockzeitalter. ZStrW 59ff., (1940ff.) insbes. 61(1942) 300–403. – J. Fr. Heine: Zur Methode in Benedikt Carpzovs zivilrechtlichen Werken, Diss. jur. Frb., 1964, Teilabdr. ZRG (RA) 82 (1965) 227ff. – R. Hoke: Die Souveränitätslehre des Benedict Carpzov, in: Staat und Recht 1997, 319–336. – G. Jerouschek u.a. (Hrsg.): Benedict Carpzov: neue Perspektiven zu einem umstrittenen sächsischen Juristen, 2000. – P. Jessen: Benedikt Carpzov. Ein sächs. Jurist und Leipziger Schöffe, in: Leipzig. Stadt der Rechtsprechung, 1994, 30–52. – S. v. Köckritz: Die Bedeutung des Willens für den Verbrechensbegriff Carpzovs, Diss. jur. Bonn, 1955. – K. Kuhne: Der Einfluß des Leipziger Schöppen Benedict Carpzov auf die Prozesse gegen die Hexen um Delitzsch, 1967. – A.R. v. d. Linden: Die Strafrechtsanalogie in Carpzovs Practica criminalis. 1947. – M. Lipp: Recht u. Rechtswiss. im frühen neuzeitl. Kursachsen. Zur 400-jähr. Wiederkehr des Geb. v. Benedikt Carpzov, in: JuS 1995, 387–393. – H. Lück: Benedict Carpzov, in: G. Wiemers (Hrsg.): Sächsische Lebensbilder, 2015, 105–118. – D. Oehler: Benedict Carpzovs Practica Nova (1635) in heutiger Betrachtung, in: FS für H.J. Hirsch, 1999, 105–113. – R. Polley: Die Lehre vom gerechten Strafmaß bei Karl Ferdinand Hommel (AD 1722–1781) und Benedikt Carpzov (AD 1595–1666), Diss. jur. Kiel, 1972. – H. Rüping: Benedict Carpzov und Christian Thomasius, in: ZStrW 109 (1997), 381–389. – T. Schaetze: Benedict Carpzov als Dogmatiker des Privatrechts, 1999. – F. Schaffstein: Raub und Erpressung in der deutschen gemeinrechtlichen Strafrechtsdoktrin, insbesondere bei Carpzov, in: FS f. K. Michaelis, 1972, 281–293. – F. Schaffstein: Die allgemeinen Lehren vom Verbrechen in ihrer Entwicklung durch die Wissenschaft des gemeinen Strafrechts, 1930 (Ndr. 1973). – H. Schieckel: Benedict I. Carpzov (1565–1624) und die Juristen unter seinen Nachkommen, in: ZRG (GA) 83 (1966), 310–322. – W. Schild (Hrsg.): Benedikt Carpzov: 1595–1666. Werk und Wirken, 1997. – Ders.: Der große Leipziger Ordinarius Benedict Carpzov, in: Festschrift der Juristenfakultät zum 600jährigen Bestehen der Universität Leipzig, 2009, 3–26. – Schmidt: Einführung, bes. 153–157. – P. Schneider: Die Rechtsquellen in Carpzovs Practica, 1940. – W. Sellert/H. Rüping: Studien- und Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, I, 1989, 242–340. – Stintzing-Landsberg: GDtRW I, 723; II, 55–100. – H. Thieme: Benedict |97|Carpzov zum Gcdächtnis, Bad. Ztg. v. 30.8.1966. – H. v. Weber: Benedict Carpzov. Ein Bild der deutschen Rechtspflege im Barockzeitalter, FS Rosenfeld, 1950, 29–50. – H. v. Weber: Benedict Carpzov, in: JuristenJb. 7 (1966/67), 1–14. – Th. Würtenberger: Benedikt Carpzov (1595–1666). Zu seinem 300. Todestag, in: JuS 1966, 345–347. – ADB 4 (1876), 11–20 (T. Muther). – HRG2 I (2008), 819–821 (G. Jerouschek). – Jur., 119f. (J. Otto). – Jur.Univ II, 381–383 (F.J. Casinos Mora). – NDB 3 (1957), 156–157 (E. Döhring). Weitere Angaben bei H. v. Weber in: Jur.-Jb. a.a.O. 13f.

      K.

       [Zum Inhalt]

      Bogislaus Philipp von ChemnitzChemnitz, Bogislaus Philipp v. (1605–1678)

      (1605–1678)

      Geb. 9.5.1605 in Stettin, Lutheraner. Vater: Professor der Rechte in Rostock, Kanzler bei Herzögen v. Pommern u. Holstein-Gottorp. Großvater: Berühmter prot. Theologe, Martin Ch. Studium Jura und Geschichte in Rostock und Jena (bei → Dom. ArumaeusArumaeus, Dominicus (1579–1637)); 1627 Eintritt in niederländische Kriegsdienste; 1629 Teilnahme an der Belagerung von s’Hertogenbosch; 1630 Überwechseln zum schwedischen Heer nach dessen Landung in Deutschland; 1637 Ausscheiden aus dem aktiven Dienst als Capitän, weiter in der Militär-Verwaltung; 1644 Bestallung als deutscher Historiograph der königlich schwedischen Majestät; 1648 Erhebung in den schwed. Adelsstand; 1675 Ernennung zum schwedischen Hofrat; 17.5.1678 gestorben auf seinem Gut Halstaed in der Provinz Westmanland.

      Ch.s Hauptwerk auf dem Gebiet des Staatsrechts ist die „Dissertatio de Ratione Status in Imperio nostro Romano-Germanico.“, die er unter dem Pseudonym Hippolithus a Lapide 1640 (so die Jahresangabe des Erstdruckes) veröffentlichte. Die Verfasserfrage ist endgültig geklärt, Zweifel an der Richtigkeit der Jahreszahl in der Erstausgabe (v. Stintzing) als zu wenig begründet zurückgewiesen worden.

      Die Dissertatio muß im Zusammenhang mit der umfangreichen Flugschriftenliteratur des Dreißigjährigen Krieges gesehen werden. Sie überragt jedoch die anderen Schriften bei weitem an Ausmaß und Gehalt. Schon die Abfassung in Latein erhebt einen Anspruch auf Überdurchschnittlichkeit. Antihabsburgisch von Geburt (Protestant) und Studium her (Jena galt als ein Zentrum des pro-fürstlichen Geistes), verfaßte Ch. dieses Pamphlet, wenn auch noch nicht in schwedischem Auftrag, sondern aus selbständiger Beschäftigung mit der