Florian Keßenich

Rechtswissenschaftliches Arbeiten


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Gesetzbuches ist bei der Falllösung eine bestimmte Prüfungsreihenfolge sinnvoll, wenn nicht sogar zwingend einzuhalten.[142] Befolgt man einige Grundregeln, ist zum einen ein systematisch-konsistenter Aufbau der Fallprüfung sichergestellt. Zum anderen besteht die Gewähr, keine relevanten Rechtsprobleme (z.B. Anspruchsgrundlagen, Einwendungen oder Einreden) zu übersehen. Vereinfacht lässt sich der Ablauf einer Fallprüfung im Zivilrecht mit zwei Faustregeln begründen und verinnerlichen. Dies ist zum einen die Fünf-Schritte-Regel (dazu sogleich unter (1)) sowie zum anderen – in der Fallprüfung eine Ebene darunter – die Drei-Stufen-Regel, auch „Juristischer Dreiklang“[143] genannt (dazu nachfolgend unter e)).

      aa) Anspruchsgruppen (Fünf-Schritte-Regel)

      Die Fünf-Schritte-Regel bezieht sich auf den Umgang mit und die Reihenfolge der in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen. Die Struktur des deutschen Privatrechts und die Systematik des Bürgerlichen Gesetzbuches geben hier eine Aufteilung in fünf große Anspruchsgruppen vor.

      Ansprüche aus Vertrag sind bei der Falllösung stets an erster Stelle zu prüfen. Wenn sich aus einem konkreten Vertrag Ansprüche ergeben, sind diese individuell und im Verhältnis zu den gesetzlichen Ansprüchen immer vorrangig. Darüber hinaus ist die Frage des Bestehens oder Nichtbestehens eines Vertrages zwischen den Parteien für die anderen Anspruchsgruppen regelmäßig vorentscheidend. So kann z.B. das Bestehen eines Vertrages einer Partei ein Recht zum Besitz im Sinne des § 986 BGB geben und einen dinglichen Herausgabeanspruch ausschließen. Zudem kann die Prüfung eines Anspruchs aus Geschäftsführung ohne Auftrag bei Bestehen eines Vertrages knappgehalten werden. Das Tatbestandsmerkmal „ohne Auftrag“ kann nämlich grundsätzlich nicht erfüllt sein, wenn zwischen Geschäftsherrn und Geschäftsführer ein entsprechender Vertrag besteht.[144] Ebenso kann ein Vertrag die Rechtswidrigkeit einer Handlung ausschließen, wenn hiermit eine Einwilligung in die Verletzung von Rechtsgütern verbunden ist. In diesem Fall bestehen keine Ansprüche aus Delikt.[145] Vor allem Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung können schließlich dem Grunde nach nur bei Nichtbestehen eines Vertrages existieren. Nur dann ist das Tatbestandsmerkmal „ohne Rechtsgrund“ gegeben.[146]

      |43|Zur Gruppe der vertraglichen Ansprüche gehören z.B. Ansprüche auf Erfüllung. Beim Kaufvertrag umfasst dies den Anspruch des Käufers auf Übereignung und Übergabe der Kaufsache (§ 433 Abs. 1 BGB) und den Anspruch des Verkäufers auf Zahlung des Kaufpreises sowie Abnahme (§ 433 Abs. 2 BGB). Weitere Ansprüche in der Gruppe der „vertraglichen Ansprüche“ sind Ansprüche auf Gewährleistung (z.B. Nacherfüllung nach § 439 BGB), auf Schadensersatz aus Pflichtverletzung (§ 280 BGB), auf Aufwendungsersatz (§ 284 BGB), Ersatzherausgabe (§ 285 BGB), und aus Verzug (§§ 286ff. BGB). Auch eine Verletzung von Nebenpflichten nach § 241 Abs. 2 BGB kann zu einem „vertraglichen“ Schadensersatzanspruch führen.

      Als zweite zu prüfende Anspruchsgruppe sind sogenannte vertragsähnliche oder quasivertragliche Ansprüche zu prüfen. In diese Kategorie fallen z.B. Ansprüche aus § 179 BGB und aus culpa in contrahendo (§§ 280, 311 BGB). Zudem sind Ansprüche beider Seiten aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677ff. BGB) in die Gruppe der quasivertraglichen Ansprüche einzuordnen.

      In der dritten Anspruchsgruppe finden sich dingliche, gegebenenfalls auch familien- und erbrechtliche Ansprüche. Umfasst sind insbesondere Herausgabeansprüche (z.B. §§ 861ff., 985, 1007, 1065, 1227 BGB). Ebenso als „dinglich“ einzuordnen sind Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung nach § 1004 BGB.

      Die letzten beiden Anspruchsgruppen – hinsichtlich der Reihenfolge besteht keine stringente Vorgabe – sind deliktische Ansprüche und Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung. Für deliktische Ansprüche ist allerdings das Konkurrenzverhältnis zu den dinglichen Ansprüchen im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis zu klären (§§ 989ff. BGB).[147] Zur Gruppe der deliktischen Ansprüche gehören neben den Ansprüchen aus den §§ 823ff. BGB auch Ansprüche aus Gefährdungshaftung, so z.B. § 833 Satz 1 BGB, § 1 Abs. 1 ProdHaftG und § 7 Abs. 1 StVG.

      Bei Ansprüchen aus ungerechtfertigter Bereicherung (sog. Kondiktionsansprüche) geht es um den Ausgleich einer ungerechtfertigten weil rechtsgrundlosen Vermögensverschiebung zwischen den Beteiligten. Die einzelnen Ansprüche finden sich in den §§ 812ff. BGB.

      bb) Konkurrenzen

      Häufig sind auf einen Sachverhalt und im Rahmen einer Fallfrage die Voraussetzungen mehrerer Anspruchsgrundlagen erfüllt. Dann stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der Anspruchsgrundlagen zueinander. Für das Zivilrecht stellt sich diese Frage – anders als etwa im STrafrecht – meist in der einfachen Variante mit lediglich zwei möglichen Alternativen: entweder schließen sich die Normen in ihrer Anwendung aus (verdrängende Konkurrenz) oder sie sind nebeneinander anwendbar (kumulative Konkurrenz).[148]

      Als Faustregel kann formuliert werden, dass eine kumulative Anwendung der Regelfall, eine verdrängende Konkurrenz die Ausnahme ist. In jedem Fall sind |44|Anwendungsfragen im Sinne eines konkurrierenden Ausschlusses aber stets vorweg zu prüfen. Die juristische Falllösung verlangt keine Prüfung von Anspruchsgrundlagen, die z.B. aufgrund einer spezielleren Norm nicht anwendbar sind.[149]

      Bei Verfügung eines Nichtberechtigten (Abwandlung des Bienenfalles) über das Eigentum ist § 816 Abs. 1 BGB die lex specialis zu § 812 Abs. 1 BGB. Allerdings bleiben die Ansprüche nach §§ 687, 823ff. BGB grundsätzlich anwendbar.[150]

      e) Prüfung der einzelnen Anspruchsgrundlagen (Drei-Stufen-Regel)

      Bei der Drei-Stufen-Regel, auch „Juristischer Dreiklang“[151] genannt, handelt es sich um das folgende Prüfungsschema, welches innerhalb einer jeden einzelnen Anspruchsgrundlage zumindest gedanklich immer zu prüfen ist.

      Drei-Stufen-Regel:

      1 Ist der Anspruch entstanden?

      2 Ist der Anspruch wieder erloschen?

      3 Ist der Anspruch (noch) durchsetzbar?

      Zunächst ist nach der Entstehung des Anspruchs zu fragen. Ist ein Anspruch erst gar nicht entstanden, erübrigt sich eine weitere Prüfung. Die Prüfungsstufe der „Entstehung“ umfasst alle Tatbestandsmerkmale der jeweiligen Anspruchsgrundlage. Beim Anspruch auf Kaufpreiszahlung nach § 433 Abs. 2 BGB ist darum das Bestehen eines Kaufvertrages zu prüfen. Einzelne Stufen dieser Prüfung umfassen das Angebot und die Annahme sowie die Frage der Wirksamkeit des Vertragsschlusses unter dem Blickwinkel sogenannter rechtshindernder Einwendungen. Eine rechtshindernde Einwendung ist z.B. bei Minderjährigkeit eines Vertragsschließenden gegeben (§§ 104ff. BGB). Auch bei rückwirkenden Einwendungen, so z.B. bei der Anfechtung nach §§ 119ff. BGB handelt es sich – aufgrund der ex tunc-Wirkung (vgl. § 142 Abs. 2 BGB) – wohl um rechtshindernde Einwendungen.

      Ist der Anspruch entstanden, ist die Prüfung noch nicht zu Ende. Ein Anspruch kann auch wieder erlöschen. Dies ist dann der Fall, wenn eine sogenannte rechtsvernichtende Einwendung besteht. Die in der Praxis häufigste Einwendung dieser Art ist die Erfüllung (§ 362 BGB). Daneben kommen aber auch die Aufrechnung (§§ 387ff. BGB), die Unmöglichkeit (§ 275 BGB), ein Widerruf (vgl. §§ 355ff. BGB) oder Rücktritt (§ 346 BGB) sowie eine Vereinbarung der Parteien über einen Erlass (§ 397 BGB) in Betracht. Bei Abtretung (§§ 398ff. BGB) oder einer Schuldübernahme (§§ 414ff. BGB) verändert sich die persönliche Zuordnung des Anspruchs ebenfalls jeweils so |45|gravierend, dass von einer rechtsvernichtenden Einwendung gesprochen werden kann.

      Doch auch, wenn ein Anspruch entstanden und nicht erloschen ist, kann dieser nicht durchsetzbar sein. Das klassische Beispiel hierfür ist die Einrede der Verjährung (§§ 194ff. BGB). Aber auch Leistungsverweigerungsrechte nach §§ 320 und 273 BGB hemmen die Durchsetzbarkeit zumindest vorübergehend. Für das Verständnis wichtig ist es, sich vor Augen zu führen, dass diese Einreden – im Gegensatz zu den rechtsvernichtenden Einwendungen – den Bestand des Anspruchs an sich nicht beeinträchtigen. Dieser besteht weiterhin. Der Anspruchsinhaber kann seine Forderung nur nicht mehr durchsetzen. Daher nennt man diese Einwendungen rechtshemmend.

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