Daraus folgt, dass der polizeiliche Vermerk über einen nur telefonisch gestellten Strafantrag mangels eigenhändiger Unterschrift formunwirksam ist.
Leicht zu übersehen ist es, wenn der Verletzte auf das Stellen eines Strafantrages z.B. gegenüber der Polizei verzichtet hat. Liegt ein solcher Verzicht vor, kann dieser nicht mehr zurückgenommen werden,[20] wenn er – wichtig! – gegenüber dem Gericht oder den in § 158 Abs. 1 StPO genannten Stellen (z.B. Staatsanwaltschaft oder Polizei) erklärt wurde. Gleiches gilt, wenn der Verletzte einen bereits eingelegten Strafantrag zurücknimmt. Gem. § 77d Abs. 1 S. 3 StGB kann kein neuer Strafantrag gestellt werden.
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Schließlich sollten Sie wissen, dass der Verletzte (beachte im Fall seines Todes § 77b Abs. 4 StGB) den Strafantrag innerhalb einer Dreimonatsfrist stellen muss (§ 77b StGB). Auch hier lauern Problemstellungen. Beispielsweise ist die Berechnung der absoluten Ausschlussfrist gem. § 77b StGB klausurrelevant. Ausschlussfrist bedeutet, dass die Frist (fernab der Regelung des § 77c StGB) weder verkürzt noch verlängert werden kann; auch ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 44 f. StPO) ausgeschlossen.[21] In § 77b Abs. 2 StGB wird der Beginn der Frist von der Kenntnis des Berechtigten von der Tat und der Person des Täters abhängig gemacht. In einem Examensfall war das deshalb problematisch, weil der Verletzte erst fünf Monate nach der Tat Kenntnis vom Namen des Beschuldigten erhielt und dann Strafantrag stellte. Für die Kenntnis gem. § 77b StGB ist es aber gerade nicht erforderlich, dass der Berechtigte den Namen des Täters kennt. Es ist ausreichend, dass er Angaben zur Person des Täters tätigen kann, die ihn individualisierbar machen.[22] Im Examensfall hätte der Verletzte den Täter direkt nach der Tat individualisieren können, sodass die Frist mit Ablauf des Tattages begann; sein erst fünf Monate später gestellter Strafantrag war verfristet.
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Hat der Verletzte bzw. sonstige Berechtigte eines absoluten Strafantragsdelikts keinen Strafantrag gestellt, liegt ein Strafverfolgungshindernis vor. Der hinreichende Tatverdacht ist aus Rechtsgründen zu verneinen. Für die Klausur bedeutet das, dass Sie nur einen Satz zu schreiben brauchen.
Formulierungsbeispiel:
„Mangels eines durch den Verletzten Johannes Oesterling wirksam gestellten, gem. § 194 Abs. 1 S. 1 StGB aber erforderlichen Strafantrags, besteht kein hinreichender Tatverdacht gem. § 185 StGB.“
Sofern dies in Ihrem Bundesland zulässig ist, markieren Sie sich im Gesetz die absoluten Strafantragsdelikte. Klausurrelevant sind z.B.:
• | Hausfriedensbruch, § 123 Abs. 2 StGB |
• | Beleidigungsdelikte, §§ 185, 186, 187 StGB (dort § 194 Abs. 1 S. 1 StGB) |
• | Haus- und Familiendiebstahl, § 247 StGB (gilt auch bei Betrug, § 263 Abs. 4 StGB!) |
• | Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248b Abs. 3 StGB |
• | Vereiteln der Zwangsvollstreckung, § 288 Abs. 2 StGB |
• | Pfandkehr, § 289 Abs. 3 StGB |
• | Vollrausch, § 323a Abs. 3 StGB |
• | Jagdwilderei, § 294 StGB |
C. Verjährung
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Für Nutzer des Onlinekurses: Das Thema wird im Kursfall „Verjährung“ behandelt.
Aus Gründen der Rechtssicherheit und zur Herstellung von Rechtsfrieden können Straftaten – mit Ausnahme von Mord (§ 78 Abs. 2 StGB) – verjähren, sog. Verfolgungsverjährung gem. §§ 78 f. StGB. Davon zu unterscheiden ist die Vollstreckungsverjährung gem. § 79 StGB, die nicht klausurrelevant ist. Abhängig vom Unrechtsgehalt der Straftat sind die Verjährungsfristen unterschiedlich lang ausgestaltet und richten sich nach der Strafandrohung der betreffenden Strafvorschrift, § 78 Abs. 3 StGB. Strafschärfungen oder Strafmilderungen sind dabei (wie übrigens auch bei der Kategorisierung von Vergehen und Verbrechen, § 12 Abs. 3 StGB) ohne Bedeutung, § 78 Abs. 4 StGB.
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Für das fragliche Delikt prüfen Sie zunächst die Dauer der Verjährungsfrist gem. § 78 Abs. 3 StGB. Im Anschluss müssen Sie den Beginn der Verjährung feststellen Gem. § 78a StGB beginnt sie mit der Beendigung der Tat. Schließlich prüfen Sie, ob die Verjährungsfrist gem. § 78b StGB ruhte oder gem. § 78c StGB unterbrochen war.
Beispiel:
Der Beschuldigte hat am 1. März 2015 gegenüber seiner Versicherung wahrheitswidrig behauptet, dass sein versichertes Fahrrad gestohlen worden sei. Am 1. April 2015 überweist die Versicherung daraufhin die Schadenssumme. Erst am 1. April 2020 wird der Sachverhalt ausermittelt. Verjährung?
Lösung:
Gem. § 263 Abs. 1 StGB wird für Betrug eine Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe angedroht. Deshalb beträgt die Verjährungsfrist gem. § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB 5 Jahre. Die Verjährungsfrist beginnt gem. § 78a StGB mit Beendigung der Tat. Der Betrug ist beendet mit der letzten Erlangung eines vom Vorsatz erfassten Vermögensvorteils,[23] das ist hier der 1. April 2015. Bei der Berechnung des Verjährungsbeginns ist der Tag, auf den das fristauslösende Ereignis fällt, miteinzubeziehen.[24] Dies bedeutet, dass die Verjährungsfrist mit dem Ablauf des Tages endet, der nach seiner Bezeichnung dem Anfangstag vorangeht.[25] In unserem Beispiel ist das der 31. März 2020. Der Betrug kann ab dem 1. April 2020 wegen Eintritts der Verjährung nicht mehr verfolgt werden.
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Anders läge es im Beispiel, wenn die Verjährungsfrist gem. § 78c StGB unterbrochen worden wäre. Die Rechtsfolge der Unterbrechung ist in § 78c Abs. 3 S. 1 StGB geregelt: Die Verjährung beginnt grundsätzlich von Neuem. Klausurrelevant ist beispielsweise die Unterbrechungshandlung gem. § 78c Abs. 1 Nr. 1 StGB. Hätte im Beispiel die zuständige Staatsanwaltschaft die erste Vernehmung des A am 15. März 2020 angeordnet (auf die tatsächliche Durchführung kommt es nicht an)[26], wäre dies gem. § 78c Abs. 1 Nr. 1 3. Var. StGB eine taugliche Unterbrechungshandlung gewesen, sodass am selben Tag die Verjährung des Betruges – in den Grenzen der absoluten Verjährung gem. § 78c Abs. 3 S. 2 StGB (= das Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist; hier 10 Jahre) – erneut begonnen hätte.
Erwähnenswert ist bei § 78c Abs. 1 Nr. 1 StGB, dass die Unterbrechungshandlungen der Anordnung, Bekanntgabe und Vernehmung als Einheit zu betrachten sind, mit der Folge, dass die Verjährungsfrist durch sie nur einmalig unterbrochen wird. Wurde also die Vernehmung von der Staatsanwaltschaft angeordnet, wird die Verjährungsfrist nicht nochmals durch die später erfolgende Vernehmung unterbrochen.
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Sollte einmal aus tatsächlichen Gründen unklar bleiben, ob Verjährung eingetreten ist (z.B. es bleibt offen, ob der Beschuldigte die Versicherungssumme am 1. oder am 5. April 2015 erlangt hat), gilt der Grundsatz in dubio pro reo ausnahmsweise auch für die Strafverfolgungsvoraussetzung der Verjährung.[27]
Anmerkungen