Robert Esser

Handbuch des Strafrechts


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Programm, das die Forderungen der Aufklärung an eine Reform des Strafrechts zusammenfasst.[111] Der Text bildet damit sozusagen die Schnittstelle zwischen der zeitgenössischen Philosophie, vor allem der politischen Philosophie Frankreichs, und der Strafrechtswissenschaft Europas.

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      Um diese Grundsätze im Strafrecht zur Anwendung zu bringen, verwendet Beccaria das in der Aufklärung hoch im Kurs stehende Denkmodell des Gesellschaftsvertrags:

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      Erst ein Denken in Zweck-Mittel-Zusammenhängen erlaubt die Verwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips, welchem für die Rationalisierung und Humanisierung der Strafrechtspflege entscheidende Bedeutung zukam: Strafen, die nicht einmal geeignet sind, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, sind schon aus diesem Grund ungenügend. Sie müssen ferner erforderlich sein, es darf also kein anderes gleich wirksames Mittel geben, welches weniger in geschützte Rechtspositionen eingreift (näher → AT Bd. 1: Eric Hilgendorf, Strafrechspolitik und Rechtsgutslehre, § 17 Rn. 52 ff.).

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      Es verdient besondere Beachtung, dass sich Fragen der Geeignetheit eines Mittels und seiner Erforderlichkeit grundsätzlich empirisch lösen lassen. Damit sind derartige Fragen anders diskutierbar als rein normative Fragestellungen. Über Faktenfragen lässt sich, wie schon die Alltagserfahrung lehrt, meist weit einfacher Konsens erzielen als über Fragen der Wertung. Hinzu kommt, dass die Einführung der Empirie die Zuhilfenahme wissenschaftlicher Erkenntnisse erheblich erleichtert. Die Erforschung der Wirkung von Strafe ist heute die Domäne der strafrechtlichen Sanktionenforschung und, allgemeiner, der Kriminologie. Das Denken in Zweck-Mittel-Zusammenhängen ist daher eine wesentliche Voraussetzung für die Verwissenschaftlichung des Nachdenkens über das Strafrecht.

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      Die zweite gegen Beccaria gerichtete Kritik, nämlich dass er keine Handhabe gegen die bedenkliche Strafrechtsausweitung unserer Zeit böte (s.o. Rn. 74), überzeugt ebenfalls nicht. Beccaria behandelt das Thema gar nicht. Die Probleme unserer Zeit kannte er nicht und konnte sie auch nicht kennen. Immerhin ermöglicht das von Beccaria hochgehaltene Verhältnismäßigkeitsprinzip durchaus, einem übereifrigen Strafgesetzgeber Grenzen aufzuzeigen. Es sind dies allerdings, und darin wird man