1. Kriminalstrafe
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Innerhalb der jugendstrafrechtlichen Reaktionsmöglichkeiten ist die Jugendstrafe die härteste freiheitsentziehende Sanktion. Sie ist echte Kriminalstrafe, darf jedoch, wie sich aus § 2 Abs. 1 ergibt, nicht mit der Freiheitsstrafe des allgemeinen Strafrechts gleichgesetzt werden. Die Jugendstrafe unterscheidet sich in der Zielrichtung (§ 18 Abs. 2), ist insoweit selbstständig und vom allgemeinen Strafrecht unabhängig (Nr. 1 und 2 RiJGG zu § 17). Sie schließt aber als Strafe i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG anders als Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel die Einbürgerung aus, solange sie nicht getilgt ist (VG Darmstadt Beschl. v. 10.6.2008 – 5 K 753/08 [juris]).
2. Verfassungsmäßigkeit
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Negative empirische Befunde und daraus resultierende kriminologische Kritik waren für die Praxis der Anlass, die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Jugendstrafe zu stellen. Wäre der Erziehungsgedanke ein „utopischer Programmsatz realitätsfern gleichsam im luftleeren Raum“, könnte ein Eingriff in die Freiheitsrechte von der Verfassung her nicht gerechtfertigt werden. Die Verhängung von Jugendstrafe als Erziehungsstrafe würde gegen die Menschenwürde verstoßen, wenn „der Jugendstrafvollzug seit eh und je und zugleich ohne konkrete Aussicht auf Verbesserung, also irreparabel, erziehungsfeindlich“ wäre. Eine solche generelle Erziehungsfeindlichkeit hat das OLG Schleswig im Hinblick auf positive Ansätze in einzelnen Jugendstrafanstalten und bei Modellversuchen nicht feststellen können und deswegen die Verfassungsmäßigkeit von § 17 Abs. 2 bejaht (NStZ 1985, 475 m. Anm. Schüler-Springorum und StV 1985, 420 m. Anm. Streng). Die Entscheidung behält auch zukünftig große praktische Bedeutung, weil neuere kriminologische Erklärungsansätze und Ergebnisse der Sanktionsforschung Eingang in die Rechtsprechung gefunden haben (Sonnen JA 1985, 309; vgl. auch Heinz ZJJ 2004, 42: die hohe Rückfallquote bei Jugendstrafe ohne Bewährung von 77,8 % betreffend). Zum Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für den Jugendstrafvollzug, der bisherigen verfassungswidrigen Praxis (so auch Butz 2004) und dessen zukünftige Anforderungen an die Gestaltung: BVerfGE 116, 69 ff. Vgl. die anschließende JStVollzG der Länder in Teil II. Rückfallquote nach einem 6-jährigen Beobachtungszeitraum 80 % = Jehle/Albrecht/Hohmann-Fricke/Tetal 2013, S. 159: Mehrzahl der Rückfälle in den ersten vier Quartalen.
1. Notwendigkeit einer Reform
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Die Voraussetzungen der Verhängung von Jugendstrafe sind reformbedürftig, eine isolierte Reform ist aber aktuell nicht vorgesehen (BT-Drucks. 16/13142, S. 65). Nach einem Beschluss der Justizministerkonferenz vom Juni 2014 sollen wegen der in die Zeit des Nationalsozialismus zurückreichenden Entstehungsgeschichte die Tatbestandsvoraussetzungen der schädlichen Neigungen neu gefasst werden. Auch ohne unmittelbare Gesetzesänderung ergeben sich aus dem 1. JGGÄndG mittelbar erhebliche Konsequenzen für die Rechtsanwendungspraxis. Ausgehend von der hohen Rückfallwahrscheinlichkeit (bei Jugendstrafe ohne Bewährung 77,8 % = Jehle/Heinz/Sutterer S. 37) und den schädlichen Nebenwirkungen für die Entwicklung junger Menschen hat der Gesetzgeber als kriminalpolitisches Leitprinzip festgehalten, dass stationäre Sanktionen weitgehend durch ambulante Maßnahmen wie Betreuungsweisung, sozialer Trainingskurs und Täter-Opfer-Ausgleich ersetzt werden können, ohne die Rückfallgefahr zu erhöhen (BT-Drucks. 11/5829, 1). Unter den Aspekten von Verhältnismäßigkeit und Subsidiarität sind deswegen die Voraussetzungen in § 17 Abs. 2 wesentlich restriktiver zu interpretieren, als es gegenwärtig der Fall ist.
a) Faktische Schlechterstellung junger Menschen
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Die Notwendigkeit einer restriktiven Interpretation ergibt sich auch daraus, dass entgegen der ursprünglichen Zielrichtung einer Besserstellung junger Menschen im Jahre 1923 sich die Praxis soweit geändert hat, dass heute kritisch gefragt wird, ob unser Jugendstrafrecht zu einer Strafe für die Jugend geworden ist (Pfeiffer DVJJ-J 1991, S. 114). Bei einem empirischen Vergleich der Strafzumessung nach Jugendstrafrecht und allgemeinem Strafrecht ergeben sich Hinweise für eine härtere Bestrafung junger Straftäter (Dünkel 1990, S. 124 ff.; Heinz in: DVJJ (Hrsg.), 1990, S. 45, Ostendorf Grdl. z. §§ 17, 18 Rn. 4; Walter/Wilms NStZ 2007, 4). Unterschiedliche Täter-, Taten- und Sanktionsstrukturen erschweren allerdings einen direkten Vergleich. Das Problem verringert sich bei einer Gegenüberstellung benachbarter Altersgruppen, z.B. von 20- und 21-Jährigen. So ergibt sich nach einer Untersuchung von Heinz zur Sanktionspraxis in Baden-Württemberg 2006 eine Internierungsrate (unbedingte Jugend- bzw. Freiheitsstrafe) von 8,1 % bei den 20-Jährigen, während sie bei den 21-Jährigen nur 5,3 % beträgt, so dass Jugendstrafrecht keinesfalls als milder bezeichnet werden kann (Heinz 2009, S. 29–80). Im langfristigen Vergleich erkennt Heinz drei Punitivitätswellen (1914–1920; ab 1930 und ab 1955) während entsprechende Entwicklungen ab 1970 und ab 1995 bei weitem nicht so ausgeprägt waren und auch aktuell nicht so eindeutig sind.
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Gefahren für eine Schlechterstellung liegen aber zum Teil in der Einbeziehung der noch nicht verbüßten Jugendstrafe nach § 31 Abs. 2, die dazu verführt, nach dem Motto zu verfahren „einmal schädliche Neigungen – immer schädliche Neigungen“ (Pfeiffer DVJJ-J 1991, 117, der einen Jugendrichter zitiert; ebenso Sonnen KrimPäd 2004, S. 20–24). Zum anderen resultiert diese Schlechterstellung aus einem Hochhangeln auf der Sanktionsleiter (vgl. Gerken/Berlitz 1988, S. 11 ff.). Auf dem Göttinger Jugendgerichtstag 1980 ist sehr klar herausgearbeitet worden, dass die Frage, ob man immer strenger werden müsse, aus pädagogischen, psychologischen und soziologischen Gründen zu verneinen und auch unter rechtlichen Aspekten nicht anders zu beantworten ist (DVJJ (Hrsg.), 1981, S. 354 ff.). Die Schlechterstellung von Jugendlichen und Heranwachsenden