Herbert Diemer

Jugendgerichtsgesetz


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52 905 75 468 2005 780 659 57 687 77 229 2008 734 669 54 771 70 127 2012 773 901 44 984 69 809 2017 716 044 28 479 50 434

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      Der Anteil von Jugendlichen und Heranwachsenden unter den Abgeurteilten 2017 von 14 % und unter den Verurteilten von 11 scheint für eine geringer werdende Bedeutung der Jugendgerichtsbarkeit zu sprechen (Anteil 1985 = 21,3 %). Doch muss neben der demographischen Entwicklung (DVJJ (Hrsg.), Und wenn es künftig weniger werden – die Herausforderung der geburtenschwachen Jahrgänge, 1987), der zunehmend höhere Anteil informeller Erledigungen berücksichtigt werden. So betrug der Anteil der nach den §§ 45, 47 im Jahre 2017 informell sanktionierten Jugendlichen und Heranwachsenden schon 77,5 % ( je nach Bundesland zwischen 65-89 %), Boers/Scherff, ZJJ 2020, 7.

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      Verurteiltenziffer (Deutsche Verurteilte je 100 000 Einw. der gleichen Personengruppe; früheres Bundesgebiet)

      Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 3: Strafverfolgung, 2017, 17.

Jahr insgesamt Jugendliche Heranwachsende Erwachsene
1995 1 070 1 167 2 581 1 010
2005 1 125 1 662 3 120 1 012
2008 1 069 1 619 2 700 966
2015 823 859 1 837 784
2017 754 774 1 570 772

      Die Verurteiltenziffer ist also bei den Jugendlichen 2017 um 9,9 % und bei den Heranwachsenden um 14,5 % gegenüber 2015 gesunken, während sie bei den Erwachsenen um 1,5 % zurückgegangen ist.

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      § 1 begrenzt den Anwendungsbereich des JGG auf Jugendliche und Heranwachsende und damit auf die Altersgruppe der 14-, aber noch nicht 21-Jährigen (Ausnahmen bis zum 24. Lebensjahr im Jugendstrafvollzug). Das Jugendstrafrecht gilt auch für die Dauer des Wehrdienstverhältnisses eines Jugendlichen oder Heranwachsenden bei der Bundeswehr, doch sind die Sondervorschriften der §§ 112a-112e zu beachten. Maßgebend ist das Alter zur Zeit der Tat, das ist der Zeitpunkt der Handlung bzw. Unterlassung, nicht des Taterfolges, der Strafverfolgung oder der Aburteilung. (Strafverfahren 2020 vor dem Landgericht Hamburg gegen den 93-jährigen Angeklagten, der als 17-jähriger 55 – Wachmann im KZ Stutthof war).

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      Kinder sind nach § 19 StGB schuldunfähig, woraus sich materiell-rechtliche und prozessuale Konsequenzen ergeben:

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      Auch bei Dauerdelikten und natürlicher oder rechtlicher Handlungseinheit darf der Zeitraum vor Vollendung des 14. Lebensjahres nicht berücksichtigt werden. Unter dem Aspekt des Gebotenseins ist Notwehr gegenüber Angriffen von Kindern regelmäßig ausgeschlossen. Eine Ausnahme gilt nur, wenn die Schuldunfähigkeit nicht erkennbar und dieser Irrtum unvermeidbar war (SK-Rudolphi/Rogall § 199 Rn. 7, 8). Ein Kind kann Vortäter einer Hehlerei sein (BGHSt 1, 47), freilich nicht in der Beschuldigten-, sondern nur in der Zeugenrolle. Die Beteiligung von Kindern kann für den schuldfähigen Täter den Qualifikationssrund gemeinschaftlich z.B. der §§ 224 Abs. 1 Nr. 4, 244 Abs. 1 Nr. 2, 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllen. zugunsten eines Kindes ist eine Begünstigung nach § 257 StGB möglich, dagegen eine Strafvereitelung nach § 258 StGB ausgeschlossen.

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      Das Alter von 14 Jahren ist eine Verfahrensvoraussetzung. Schuldunfähigkeit und damit Strafunmündigkeit sind ein in jedem Stadium des Verfahrens zu beachtendes Prozesshindernis. Eine Strafverfolgung gegenüber Kindern ist unzulässig (vgl. auch Polizeiliche Dienstvorschrift [PDV] 382 „Bearbeitung von Jugendsachen“ 1995, Nr. 3.4.1), Ein Kind kann nicht Beschuldigter sein, Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen verbieten sich. Die Festnahme eines erkennbar Strafunmündigen kann nicht nach § 127 StPO gerechtfertigt werden. Die entgegenstehende Entscheidung KG JR 1971, 30 (vorläufige Festnahme nach Schneeballwürfen) überzeugt nicht, weil der Hinweis auf die Verhinderung weiterer Taten und die Feststellung der gesetzlichen Vertreter zwecks Klärung einer Aufsichtspflichtverletzung das Kind in eine Objektrolle drängt. Ostendorf spricht in diesem Zusammenhang zu Recht von einer unzulässigen strafrechtlichen Vertreterhaftung ( § 1 Rn. 3). Für Durchsuchungen gegenüber Kindern bietet weder § 102 StPO (kein Verdacht einer strafbaren Handlung) noch § 103 StPO (Kind ist keine „andere Person“) eine Rechtsgrundlage (a.A. OLG Bamberg NStZ 1989, 40 m. krit. Anm. Wasmuth). Eine körperliche Untersuchung nach § 81a StPO ist ebenso ausgeschlossen wie eine erkennungsdienstliche Behandlung nach § 81b StPO (zust. Hirt Krim 2003, 572). Entsprechendes gilt für alle Eingriffsnormen, die an den Beschuldigten-Status anknüpfen (Eisenberg StV 1989, 556).

      Entscheidend ist nämlich, dass es sich gem. § 152 Abs. 2 StPO um eine verfolgbare Straftat handelt – eine Voraussetzung, die bei Kindern gerade nicht gegeben ist. Im Strafverfahren ist auch die Polizei dem Legalitätsprinzip unterworfen, so dass der Beschuldigtenbegriff der StPO nur einheitlich interpretiert werden kann und nicht unter präventiv-polizeilichen Aspekten verändert werden darf. § 163 Abs. 1 StPO gibt der Polizei keine weitergehenden Befugnisse. Auch können Erwachsene, die als strafunmündige Kinder Delikte begangen haben für ihre Taten nicht ausgeliefert werden (OLG Hamm StraFo 2007, 160). Obwohl Kinder »von der Berührung mit der Strafrechtspflege zu bewahren“ sind (schon RGSt 57, 206 f.), gab es nach einer in Berlin durchgeführten empirischen Untersuchung gegenüber angezeigten Kindern in der Altersgruppe zwischen 10 und 14 Jahren bei über 6 % Durchsuchungen und bei fast 27 % kurzfristig freiheitsentziehende prozessuale Zwangsmaßnahmen (Bruckmeier u.a. in: Autorengruppe Jugenddelinquenz (Hrsg.): Handlungsorientierte Analyse von Kinder- und