Jugendgerichtstag 2017 in Berlin, 2019; DVJJ (Hrsg.), Verantwortung für Jugend – Perspektiven und Qualitätssicherung in der Jugendkriminalrechtspflege, 26. Deutscher Jugendgerichtstag 2004 in Leipzig, 2006; DVJJ (Hrsg.), Fördern, Fordern, Fallenlassen, 27. Deutscher Jugendgerichtstag 2007 in Freiburg, 2009; DVJJ (Hrsg.), Achtung für Jugend – Praxis und Perspektiven des Jugendkriminalrechts, 28. Deutscher Jugendgerichtstag 2010 in Münster, 2011; DVJJ (Hrsg.), Jugend ohne Rettungsschirm. Herausforderungen annehmen, 29. Deutscher Jugendgerichtstag 2013 in Nürnberg, 2015; Eisenberg Probleme des Jugendstraf- und Jugendstrafverfahrensrechts, NJW 2010, 1507; Goerdeler Das Ziel der Anwendung des Jugendstrafrechts, ZJJ 2008, 137–147; Heinz, W. Sekundäranalyse empirischer Untersuchungen zu jugendkriminalrechtlichen Maßnahmen, deren Anwendungspraxis, Ausgestaltung und Erfolg (Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz), 2019; Heinz, W. Das strafrechtliche Sanktionensystem und die Sanktionierungspraxis in Deutschland 1882 bis 2008, 2010; Jehle/Albrecht/Hohmann-Fricke/Tetal Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen. Eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2010 ibs 2013 und 2004 bis 2013, BMJV 2016; Jehle/Heinz/Sutterer Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen. Eine kommentierte Rückfallstatistik, BMJ 2003; Jehle /Albrecht/Hohmann-Fricke/Tetal Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen – Eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2007 bis 2010 und 2004 bis 2010, BMJ 2013; Knauer Europäische Menschenrechtskonvention, ZJJ 2019, 39-49 Lösel/Bender/Jehle (Hrsg.), Kriminologie und wissensbasierte Kriminalpolitik – Entwicklungs- und Evaluationsforschung, 2007; Meier What works? Die Ergebnisse der neueren Sanktionsforschung aus kriminologischer Sicht, JZ 2010, 112–120; Rössner u.a. Düsseldorfer Gutachten: Empirisch gesicherte Kenntnisse über kriminalpräventive Wirkungen, 2002; Schruth Rechtliche Grenzen strafender Pädagogik im staatlichen Auftrag, ZKJ 2010, 181–188; Sherman, L. et al. Preventing Crime: What works, what doesn‘t, what‘s promising, 1997; Sherman, L. et al. Evidence-Based Crime Prevention, 2002; Sonnen Jugendkriminalpolitik zwischen Glauben und Wissen, StV 2005, 94–99; Sonnen/Guder/Reiners-Kröncke Kriminologie für Soziale Arbeit und Jugendstrafrechtspflege, 2007; Streng Ansätze zur Gewaltprävention bei Kindern und Jugendlichen, ZIS 2010, 227–235; Walsh Der Umgang mit jungen „Intensivtätern“. Ein Review zu kriminalpräventiven Projekten in Deutschland unter Wirksamkeitsgesichtspunkten, ZJJ 2017, 28-46; Walter, M. Beiträge zur Erziehung im Jugendkriminalrecht, 1989; Winkler Erziehung sinnlos? – Zum sozialpädagogischen Umgang mit jungen Mehrfachauffälligen, in: BMJ (Hrsg.) 2009, S. 135–151.
I. Ziel und Anwendungsbereich
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§ 2 Abs. 1 enthält erstmals in der Geschichte des JGG eine ausdrückliche Zielbestimmung. Ziel des Jugendstrafrechts ist es, erneuten Straftaten entgegenzuwirken, also Rückfallkriminalität von Jugendlichen und Heranwachsenden zu vermeiden. Die Formulierung „vor allem“ lässt Raum für weitere Reaktionsüberlegungen wie Normverdeutlichung (vgl. § 13) und Schuldausgleich (vgl. § 17 Abs. 2, 2. Var.). Ausgeschlossen bleiben Aspekte der negativen Generalprävention, der Abschreckung anderer (BT-Drucks. 16/6293, 10), wie sich aus dem Wortlaut ergibt, dass erneuten Straftaten eines und nicht von Jugendlichen und Heranwachsenden entgegengewirkt werden soll. Unzulässig ist die eigenständige Verfolgung generalpräventiver Zwecke, auch wenn etwa normverdeutlichende Nebeneffekte nicht auszuschließen sind (Streng § 1 Rn. 15-23).
Der Weg zur Zielerreichung ist „vorrangig“ der Erziehungsgedanke. „Vorrangig“ weist darauf hin, dass sich nicht hinter jeder Straftat eines jungen Menschen ein Erziehungsdefizit verbirgt. Nicht immer ist ein erzieherischer Bedarf gegeben. Die Frage, ob durch die ausdrückliche Zielbestimmung der Legalbewährung die Kritik „am diffusen Inhalt des Erziehungsprinzips“ ausgeräumt ist, hat die Bundesregierung dahingehend beantwortet, dass das Ziel eines künftigen Lebens ohne Straftaten dem Maß und der Gestaltung der erzieherischen Einwirkung „klare Konturen“ gibt und zugleich Grenzen setzt (BT-Drucks. 16/13142, 6, 7). In der Tat bedarf es an dieser Stelle keiner Stellungnahme dazu, ob der Erziehungsgedanke pädagogisch, psychologisch, soziologisch oder juristisch zu verstehen ist (Erziehung „durch“, „statt“ oder „als“ oder „nach“ Strafe). Erziehung meint positive Individual-(Spezial-)Prävention, setzt auf soziale Integration und orientiert sich an § 1 SGB VIII (Recht auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit), wobei der Akzent auf Eigenverantwortlichkeit und Gemeinschaftsfähigkeit zu setzen ist (zum Problem „Werte und Gesellschaft“ Schumacher ZJJ 2008, 374–378); Herrmann/Dölling Kriminalprävention und Wertorientierungen in komplexen Gesellschaften, 2001; Herrmann Werte und Kriminalität, 2003; Herrmann/Dölling/Resch Zum Einfluss elterlicher Werteerziehung und Kontrolle auf Kinderkriminalität, in: FS Wolfgang Heinz, 2012, S. 398-414).
Der Erziehungsgedanke diente 1923 der Ablösung der absoluten Straftheorie des Schuldausgleichs und der Vergeltung, 1943 dem NS-ideologischen Menschenbild und 1953 der fürsorgerischen Orientierung im JWG. 1990 ist die sozialpädagogische Leitfunktion in § 1 SGB VIII als Recht auf Förderung und Erziehung verankert worden, freilich nicht als subjektives Recht, sondern als Grundorientierung mit Konsequenzen auch für das Jugendstrafrecht über die §§ 12, 38 JGG, 52 SGB VIII (Mitwirkung der Jugendhilfe in Verfahren nach dem Jugendgerichtsgesetz als andere Aufgabe neben Leistungen zugunsten junger Menschen und Familien). Die am Kindeswohl ausgerichteten Ziele der Förderung der individuellen und sozialen Entwicklung, der Vermeidung und des Abbaus von Benachteiligungen, die Unterstützung der Eltern sowie die angestrebte Verwirklichung, Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen, dazu beizutragen, positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu schaffen oder zu erhalten, reichen wesentlich weiter als, erneuten Straftaten eines Jugendlichen oder Heranwachsenden entgegenzuwirken. Der in Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/800 neuformulierte § 38 Abs. 2 nimmt ausdrücklich Bezug auf die im Hinblick auf die Ziele und Aufgaben der Jugendhilfe bedeutsamen Gesichtspunkte („Jugendhilfe vor Strafrecht“, Trenczek). Im Zusammenhang mit dem Recht auf individuelle Begutachtung werden in der europäischen Richtlinie als besondere Bedürfnisse von Personen unter 18 Jahren Schutz, Erziehung, Ausbildung und soziale Integration genannt (Artikel 7 Abs. 1). Ein Überblick über die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) in jugendkriminalrechtlichen Fragen wie zur erzieherischen Orientierung ist für Knauer Anlass für weitergehende Überlegungen zu einem neuen Erziehungsbegriff, entwickelt über die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Rechts der Europäischen Union (Knauer ZJJ 2019, 39-41).
Gegenwärtig ist Erziehung selbst nicht Ziel und Anliegen des Jugendstrafrechts, sondern Orientierungshilfe bei der Interpretation der im JGG verwendeten Begriffe „erzieherische Einwirkung“, „aus Gründen der Erziehung“ oder „erhebliche erzieherische Nachteile“. Gemeint sind erzieherische Mittel zur Zielerreichung nicht nur als äußere Reaktion, sondern auch innerlich verbunden mit positiven Einstellungen wie Unrechtseinsicht und Normakzeptanz (BT-Drucks. 16/6293, 9). Ein in sich geschlossenes System der Ausrichtung des Erziehungsgedankens für das Verfahren unter dem Vorbehalt des elterlichen Erziehungsrechts und für die Rechtsfolgen hat Rössner entwickelt (Meier/Bannenberg/Höffler 4. Auflage, 2019, S. 1-30 – Rössner/Bannenberg). Verfassungsrechtlicher Ausgangspunkt ist das als Resozialisierung bezeichnete Vollzugsziel der sozialen Integration bzw. das Erziehungsziel im Jugendstrafrecht unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Schutzfunktion. „Zwischen dem Integrationsziel des Vollzuges und dem Anliegen, die Allgemeinheit