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Allgemein wird die restriktive Interpretation vor allem im Bereich der subjektiven Tatbestandsmäßigkeit zu diskutieren sein (so auch Eisenberg § 1 Rn. 24c, d). Ein genereller Ausschluss für bedingten Vorsatz und unbewusste Fahrlässigkeit (vgl. Märker Vorsatz und Fahrlässigkeit bei jugendlichen Straftätern, 1995) ist nach geltendem Recht aber nicht vertretbar; Lüderssen Die Beurteilung der inneren Tatseite bei jungen Tätern, speziell mit Blick auf den bedingten Vorsatz, in: FS Schreiber, 2003, S. 289–314.
Auch bei § 24 StGB sind die Rücktrittsvoraussetzungen jugendspezifisch zu interpretieren.
Zu den Straftatvoraussetzungen des § 244a StGB hat das LG Koblenz NStZ 1998, 197 m. krit. Anm. Glandien entschieden, dass die Vorschrift nicht auf Verbrecherbanden aus dem Bereich der organisierten Kriminalität beschränkt ist, sondern auch auf Jugendbanden Anwendung findet, eine Position, die jetzt auch der BGH in NStZ-RR 2000, 344; BGH Beschl. v. 22.3.2006 [5 StR 38/06] vertritt. Die typischen Abziehdelikte werden strafrechtlich als Raub oder räuberische Erpressung bewertet (vgl. AG Bremerhaven DVJJ-J 2000, 190), doch sollte das Tatbestandsmerkmal der Drohung „mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben“ angesichts prahlerischer und häufig rein verbaler Aggression jugendgerecht, also restriktiv interpretiert werden (Rentzel-Rothe DVJJ-J 2000, 192).
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Reformchancen auf der Ebene der Straftatvoraussetzungen ergeben sich schließlich bei den Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründen. Ein Beispiel dafür ist der von der Deutschen Bewährungshilfe entwickelte und über die Fraktion DIE GRÜNEN in das Gesetzgebungsverfahren zum 1. JGGÄndG eingebrachte Vorschlag, der allerdings nicht mehr berücksichtigt, sondern nur als Merkposten festgehalten werden konnte:
§ 4 Rechtliche Einordnung der Taten Jugendlicher
Die Tat eines Jugendlichen ist nicht strafbar,
1. | wenn sie keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat oder |
2. | wenn die Folgen der Tat im Wesentlichen beseitigt, wiedergutgemacht oder sonst ausgeglichen worden sind (Tatfolgenausgleich). |
(Kerner u.a., DVJJ-J 1990, 19 f. und DVJJ-J 1990, 63).
Nach dem geltenden öJGG ist gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 2 ein Jugendlicher nicht strafbar, wenn er vor Vollendung des 16. Lebensjahres ein Vergehen begeht, ihn kein schweres Verschulden trifft und nicht aus besonderen Gründen die Anwendung des Jugendstrafrechts geboten ist, um den Jugendlichen von strafbaren Handlungen abzuhalten (vgl. Jesionek/Edwards Das österreichische Jugendgerichtsgesetz, 4. Auflage 2010).
2. Rechtsfolgen der Tat
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Aus dem StGB-Abschnitt über die Rechtsfolgen der Tat (§§ 38–76a StGB) sind nur anwendbar
– | das Fahrverbot als Nebenstrafe nach § 44 StGB (vgl. § 76 S. 1), |
– | von den Maßregeln der Besserung und Sicherung die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt, die vorbehaltene Sicherungsverwahrung (§ 66a StGB, § 7 Abs. 2–5), die Führungsaufsicht und die Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 61 Nr. 1, 2, 4 und 5 StGB; vgl. § 7), bei § 69 ist allerdings im Hinblick auf die Folgekriminalität (Fahren ohne Fahrerlaubnis) bei Jugendlichen und Heranwachsenden „Zurückhaltung angezeigt“, AG Saalfeld DVJJ-J 2001, 426, |
– | die Vorschriften über die Einziehung (§§ 73 ff. StGB). Das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, das seit dem 1.7.2017 gilt, hat zu einer Kontroverse in der Strafrechtsanwendung im Verfahren sowie in der Literatur geführt. Es geht um zwei Grundpositionen: Die Anwendung der Vorschriften soll grundsätzlich möglich sein, während die gegenteilige Meinung eine Einschränkung nach dem Leitprinzip des Erziehungsgedankens verlangt. Deutlich wird die Problematik in dem Anfragebeschluss des 1. Strafsenats zur unbeschränkten Anwendbarkeit des Gesetzes zur Vermögensabschöpfung: Der Senat beabsichtigt zu entscheiden: Im Jugendstrafverfahren steht die Entscheidung über die Einziehung von Taterträgen nach § 73 Abs. 1 StGB und des Wertes von Taterträgen nach § 73c S. 1 im Ermessen des Tatgerichts (§ 8 Abs. 3 S. 1 JGG). Der Senat fragt bei dem 2. und 5. Strafsenat an, ob sie an der entgegenstehenden Rechtsauffassung festhalten. (BGH Beschl. v. 11.7.2019, 1 StR 478/18, JR 2019, 593 ff. mit Anmerkung Eisenberg). Dabei erscheint der Hinweis auf ein Ermessen bereits als Kompromiss zwischen der ausschließlichen Anwendung bzw. Ablehnung. Die Problematik ist nach einer Analyse von Gesetzgebung und aktueller Rechtsprechung von Schady/Sommerfeld ZJJ 2019, 235 wie folgt gelöst: Es gibt keine Sonderbestimmungen bzw. Einschränkungen im JGG, so dass die Anwendung der §§ 73 ff StGB gegeben ist. Zutreffend hat der BGH in seinem Beschluss angemerkt, dass es keinen Anhaltspunkt für eine inhaltliche Befassung mit der Einziehung im Jugendstrafverfahren oder gar mit einer Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der Neuregelung des Rechts der Vermögensabschöpfung im Jugendstrafrecht gegeben hat. Insoweit ist davon auszugehen, dass das Problem des Systembruchs nicht gesehen worden ist, woraus sich die Forderung nach einer Gesetzeskorrektur ergibt. Richtig ist aber, dass es keine rechtsstaatlich einwandfreie Lösung über eine gesetzeskorrigierende Auslegung geben kann. Gegenwärtig lässt sich eine Möglichkeit zugunsten von Jugendlichen und Heranwachsenden nur über eine Interpretation prozessualer Regelungen in den §§ 421 u. 435 StPO erzielen. |
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An die Stelle der allgemeinen Rechtsfolgen tritt das von den Strafrahmen des BT losgelöste Sanktionssystem des JGG (§§ 5–32, 88), das unter Reduzierung strafender Akzente vom Erziehungsgedanken beherrscht ist und so zur Subsidiarität von Strafe und Strafverfahren führt, dabei flexibler, jugendgemäßer und vor allem weniger stigmatisierend ist bzw. sein sollte. Wegen des Verbots der Schlechterstellung (vgl. § 55 Rn 6) junger Menschen gegenüber Erwachsenen bleibt aber § 60 StGB (Absehen von Strafe) anwendbar, BayObLG DVJJ-J 1993, 79; NStZ 1991, 584 m. Anm. Scheffler NStZ 1992, 491. Mangels anders lautender Vorschriften bleibt auch § 51 Abs. 2 StGB anwendbar, so dass eine bereits verbüßte Jugendstrafe kraft Gesetzes anzurechnen ist (ohne dass es eines Ausspruchs in der Urteilsformel bedarf), wenn gem. § 31 Abs. 2 unter Einbeziehung eines früheren Urteils einheitlich auf Jugendstrafe erkannt wird, BGH NStZ 1996, 279 m. zust. Anm. Brunner; § 31 Rn. 44.
3. Strafverfahren
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Sondervorschriften über die Jugendgerichtsverfassung und das Jugendstrafverfahren finden sich in den §§ 33–81a. Die StPO-Regelungen über Strafbefehl und beschleunigtes Verfahren, Privatklage und Nebenklage sowie Entschädigung des Verletzten sind für die Gruppe der Jugendlichen nach den