Steffen Stern

Verteidigung in Mord- und Totschlagsverfahren


Скачать книгу

Frau den ungehemmten Aggressionen des Mannes zum Opfer fällt[80]. In hoher Zahl lassen sich die Täter durch heftige Gemütsbewegungen – sog. Affekte[81] –, diese vielleicht gepaart mit Alkohol[82], zur Tat hinreißen. Dem Angriff auf das Leben des anderen haftet zumeist wenig Planvolles an, wenngleich dem Tatgeschehen mitunter eine lange Phase des Nachstellens und des diffusen Drohens vorgelagert sein kann[83]. Nach dem Geschehen ist der Täter zutiefst erschüttert und überaus geneigt, sich für seine Schandtat „selbst zu richten“. Im Zuge der Tatortanalyse[84] finden sich Hinweise auf das Bemühen emotionaler Wiedergutmachung (sog. Undoing). Der Täter aus dem Umfeld des Opfers versucht durch seine Handlungsweise, die Tat symbolisch durch das Zudecken, Falten der Hände oder Reinigen des Opfers ungeschehen zu machen[85]. Seine Ergreifung lässt in der Regel nicht lange auf sich warten. Gott sei Dank kommt bei nicht wenigen Gewaltangriffen das (zumeist weibliche) Opfer mit dem Leben davon. Wenn die Frau Glück hat, lässt der Affekttäter von sich aus von ihr ab, weil er „zu Verstand kommt“ oder plötzlich doch Mitleid empfindet[86]. Vor allem Würge- und Drosselvorgänge[87] werden ohne äußeren Zwang abgebrochen. Dann stellt sich die Frage des strafbefreienden Rücktritts[88]. Einigen Frauen gelingt die Flucht erst durch List oder massive Gegenwehr, andere überleben, weil Nachbarn oder Unbeteiligte dazwischentreten. Die Intensivmedizin tut ein Übriges. Oft hat es zuvor Phasen der Trennungen und Versöhnungen gegeben, des Bedrohens und des Verzeihens. Dann vielleicht die ersten Handgreiflichkeiten, schließlich Morddrohungen.

      28

      

      29

      

      Affekttäter kommen aus allen Bevölkerungsschichten. Arbeiter und Angestellte, aber auch Ingenieure, Ärzte, Studienräte und sogar Pastoren haben sich schon auf der Anklagebank wiedergefunden, nachdem sie ihre Geliebte bzw. Ehefrau getötet oder dies zumindest versucht haben. Die „verhängnisvolle Affäre“, die einen Seitensprung zum Albtraum werden lässt, bis das Fass überläuft und ein seriöser Anwalt zum „Mörder“ wird, ist kein lebensfernes Konstrukt. Vor Jahren musste sich das Aachener SchwurG mit der Totschlagsanklage gegen einen Chefarzt befassen, weil er eine Krankenschwester seiner Krebsstation erstochen hatte. Zu ihr hatte er lange Zeit eine außereheliche Beziehung unterhalten, bis ihr Drängen und Fordern, sich von Ehefrau und Kindern zu trennen, immer extremere Züge annahm. Erst ein demonstrativ zur Schau getragener Parasuizid, dann anonyme Briefe an die Ehefrau. Schließlich die Drohung, ihn durch Indiskretionen beruflich zu ruinieren. Seinen herbeigeführten Rauswurf als Arzt bezahlte die Unglückliche mit ihrem Leben. Außer sich, drang der Onkologe nachts durch ein winziges Toilettenfenster in ihre Wohnung ein und erstach die junge Frau mit einem Küchenmesser. Anschließend lenkte er nach stundenlanger Irrfahrt seinen Pkw gegen einen Brückenpfeiler. Wie durch ein Wunder überlebte er diesen „Unfall“ schwerverletzt. Natürlich können auch Frauen im Affekt töten, wie jedermann aus der Vita der Schauspielerin Ingrid van Bergen weiß, die 1977 „rasend vor Eifersucht“ ihren zwölf Jahre jüngeren Lebensgefährten erschoss.

      30

      31

      32

      33

      

      34