Christian Jäger

Examens-Repetitorium Strafrecht Allgemeiner Teil, eBook


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Schlägen ersichtlich die auf Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit des Opfers in feindlicher Willensrichtung ausgenutzt hat.

      b) Subjektiver Tatbestand Fraglich ist allerdings, ob eine für den Vorsatz beachtliche wesentliche Abweichung vom Kausalverlauf gegeben ist. Denkbar erscheint dies, weil A zum Zeitpunkt der Verursachungshandlung (Schläge auf den Hinterkopf) den konkreten Todesverlauf (spätere Zufügung der Halsschnitte) nicht in sein Bewusstsein aufgenommen hatte.

      aa) Der BGH hat eine solche wesentliche Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf jedoch abgelehnt, indem er das Zweitgeschehen (endgültige Tötung des Opfers) als nach allgemeiner Lebenserfahrung vorhersehbar betrachtete.

      bb) Dencker hat deshalb für Konstellationen der vorliegenden Art den Vorschlag unterbreitet, nur auf die Ersthandlung abzustellen und den Todesbegriff neu zu definieren als das endgültige Abschneiden einer Chance zu leben.[110] Danach wäre der Tod hier schon nach den ersten heimtückisch gesetzten Schlägen eingetreten, da das Opfer durch diese bereits dem Tode geweiht war. Auf das Durchschneiden des Halses käme es daher auch nach dieser Auffassung nicht mehr an.

      cc) Stellungnahme: Weder die Auffassung des BGH noch die Lösung von Dencker können überzeugen. Kritisch ist gegenüber der Auffassung des BGH einzuwenden, dass man einen Zweitakt nicht als vom Vorsatz umfasst betrachten kann, für dessen Verwirklichung der Täter später selbst noch einen weiteren Tötungsentschluss fassen muss. Hierin unterscheidet sich die vorliegende Konstellation vom Jauchegruben-Fall, in dem der Täter beim Zweitakt gerade keinen neuerlichen Tötungsvorsatz mehr gefasst hat. Aber auch die Lösung von Dencker ist abzulehnen, weil sie dazu führen müsste, einen Menschen, bei dem noch Vitalfunktionen feststellbar sind, als tot zu bezeichnen. Dies hätte zur Konsequenz, dass die Organentnahme von im Sterben befindlichen Spendern straflos möglich wäre. Richtiger dürfte es sein, im vorliegenden Fall Erst- und Zweitakt als Einheit zu betrachten. Insoweit wäre die mit Heimtücke begonnene Tötung (durch die Schläge) nur als mit anderen Mitteln (durch die Halsschnitte) zu Ende geführt zu betrachten. Denn in Wahrheit handelt es sich vorliegend um eine einheitliche Tat, sodass der Fall anders liegt als der Jauchegruben-Fall. Vorliegend ist nicht die Verursachung einer weiteren (anderen) Tat, sondern das eigenhändige Zuendeführen der ursprünglichen (gleichen) Tat zu bejahen. Dies ist auch der Grund, weshalb es an einer Verdeckungsabsicht fehlt; denn eine Zäsur führt nicht ohne Weiteres zu einer Bewertung der Ersthandlung als andere Tat.[111] Gerade die Einheitlichkeit muss zur Bejahung einer einheitlichen Heimtücketötung Anlass geben. Der Angeklagte führte daher mit den Halsschnitten nur die durch die Schläge begonnene identische heimtückische Tötung zu Ende.

      2. Ergebnis: A hat sich wegen vollendeten Mordes nach §§ 211, 212 StGB strafbar gemacht. Nach Auffassung des BGH liegt der Grund dafür darin, dass A durch die heimtückischen Schläge den späteren Tod durch die Halsschnitte verursacht hat. Nach hier vertretener Auffassung liegt dagegen eine einheitliche heimtückische Tötung vor, die mit den Schlägen begann und durch die Halsschnitte nur zu Ende geführt wurde. Die kurzfristige Zäsur durch das Wegfahren ändert hieran nichts. Da beide Akte dieser einheitlichen Tötung vom Vorsatz getragen waren, kommt es danach auf die Frage der unwesentlichen Abweichung nicht an.

      III. Die gleichzeitig verwirklichten §§ 223, 224 StGB treten hinter §§ 211, 212 StGB im Wege der Subsidiarität zurück.

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      Ein weiteres im Rahmen des Vorsatzes immer wieder auftauchendes Problem stellt die Abgrenzung der aberratio ictus vom error in persona vel obiecto dar.[112] Veranschaulicht wird dieser Unterschied besonders eindringlich durch die beiden folgenden berühmten Fälle:

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       Lösung:

      I. In Betracht kommt eine Strafbarkeit der A nach § 212 StGB wegen vorsätzlicher Tötung des C.

      1. Der tatbestandliche Erfolg – Tod des C – ist kausal und zurechenbar eingetreten.

      2. Subjektiv setzt § 212 StGB aber auch Vorsatz hinsichtlich der Tötung voraus.

      a) Dieser wäre hier jedenfalls dann zu bejahen, wenn die A bedingten Vorsatz auch hinsichtlich des Todes eines Kollegen gehabt hätte. Dies dürfte vorliegend aber deshalb zu verneinen sein, weil sie durch die Aufforderung „Schön selber trinken“ sogar Vorkehrungen dagegen getroffen hatte, dass ein anderer von dem Schnaps trinkt. Es ist daher zu ihren Gunsten davon auszugehen, dass sie darauf vertraute, ihr Mann werde ihrem Hinweis folgen, weshalb nicht von einem bedingten (generellen) Vorsatz hinsichtlich der Tötung von Kollegen auszugehen ist.[114]

      b) Fraglich ist allerdings, ob die Tötung deshalb als vorsätzlich betrachtet werden kann, weil A immerhin einen Menschen töten wollte und dies letztlich auch getan hat, auch wenn sie nicht den C, sondern ihren Mann B als Opfer vorgesehen hatte. Was die tatsächliche Einordnung dieses Irrtums anbelangt, so lag insoweit nicht eine Objektsverwechselung (error in persona vel obiecto) vor, bei dem der Täter lediglich über die Identität des Angriffsziels irrt, sondern das Fehlgehen der Tat beruhte im vorliegenden Fall vielmehr darauf, dass die A zwar das korrekte Ziel ins Auge gefasst hatte, der Angriff aber nicht nach ihrer Vorstellung verlief und dadurch ein anderes Objekt als das ins Visier genommene getroffen wurde (aberratio ictus).

      Hinweis für die Klausurbearbeitung: Zwar könnte man auch lediglich darauf hinweisen, dass es sich um eine aberratio ictus handelt; jedoch empfiehlt es sich durchaus an dieser Stelle, zu zeigen, dass man zu einer konsequenten Einordnung der Irrtumsfälle und zu einer Abgrenzung zwischen error in persona und aberratio ictus in der Lage ist.

      Fraglich ist, welche rechtlichen Konsequenzen aus dieser aberratio ictus für den Vorsatz zu ziehen sind.

      Denkbar wäre, die Abweichung für unbeachtlich zu erklären, indem man davon ausgeht, dass derjenige, der einen (bestimmten) Menschen töten will und – infolge der Abirrung – einen (anderen) Menschen tötet, den objektiven und subjektiven Tatbestand des Totschlages erfüllt hat, weil er ein gleichwertiges – dem Tatbestandsmerkmal Mensch unterfallendes – Subjekt getötet hat (sog. Gleichwertigkeitstheorie).[115] Eine derartige Sicht wird jedoch dem Wesen des Vorsatzes nicht gerecht. Vorsatz ist bei den Erfolgsdelikten als „Kausalverläufe steuernder Verwirklichungswille“[116] zu verstehen. Im Enzianfläschchenfall bezog sich dieser allein auf die Person des B. „Wer demjenigen, der ein bestimmtes Tatobjekt verletzen will, unterstellt, er habe damit auch den Willen, überhaupt ein (beliebiges) Objekt dieser Objektsgattung zu verletzen, arbeitet mit einer dem Schuldprinzip widerstreitenden Fiktion, hinter der das Bild eines nicht vorhandenen dolus generalis aufscheint. Man darf nicht aus einem Versuch eine Vollendung machen, indem man den Versuch durch den Erfolg einer Fahrlässigkeitstat komplettiert.“[117] Die Person des C hatte die A nämlich im Sinne einer konkreten Gefährdung nicht in ihr Bewusstsein aufgenommen. Zwar wird in der Lit. teilweise auch angenommen, dass die Rechtsfigur der aberratio ictus in sog. Fernwirkungsfällen ausscheide.[118] Jedoch ist dies in dieser Allgemeingültigkeit und jedenfalls dann abzulehnen, wenn das Geschehen – wie hier – auf ein konkretes Opfer hin gesteuert wird. Deshalb liegt eine rechtlich bedeutsame Abirrung vor (aberratio ictus), die den Vorsatz entfallen lässt.[119]

      3. Ergebnis: A ist nicht wegen vorsätzlicher Tötung an C strafbar, sodass auf Mordmerkmale an dieser Stelle nicht mehr eingegangen werden muss.

      Hinweis: