ist es dann nicht so«, sagte die Mutter ganz leise,»und ist es nicht so, als ob wir durch die Entfernung der Möbel zeigten, dass wir jede Hoffnung auf Besserung aufgeben und ihn rücksichtslos sich selbst überlassen? Es ist das beste, wir suchen das Zimmer genau in dem Zustand zu erhalten, in dem es früher war, damit Gregor, wenn er wieder zu uns zurückkommt, alles unverändert findet«.
Beim Anhören dieser Worte der Mutter erkannte Gregor, dass der Mangel jeder unmittelbaren menschlichen Ansprache, im Laufe dieser zwei Monate seinen Verstand verwirren hat. Anders konnte er es sich nicht erklären, dass er ernsthaft wollte, dass sein Zimmer ausgeleert war. Er hatte wirklich Lust, das warme Zimmer in eine Höhle verwandeln zu lassen. Er wird freilich nach allen Richtungen ungestört kriechen!
Aber die Schwester war leider anderer Meinung. Sie hatte sich angewöhnt, bei Besprechung der Angelegenheiten Gregors als besonders Sachverständige gegenüber den Eltern aufzutreten. So war auch jetzt der Rat der Mutter für die Schwester Grund genug, auf der Entfernung nicht nur des Kastens und des Schreibtisches, sondern auf der Entfernung sämtlicher Möbel, mit Ausnahme des Kanapees, zu bestehen. Es war natürlich nicht nur kindlicher Trotz und das Selbstvertrauen, das sie zu dieser Forderung bestimmte. Sie hatte doch auch tatsächlich beobachtet, dass Gregor viel Raum zum Kriechen brauchte.
Vielleicht aber spielte auch der schwärmerische Sinn der Mädchen ihres Alters mit, der bei jeder Gelegenheit seine Befriedigung sucht. Wollte sie die Lage Gregors noch schreckenerregender machen? Um dann noch mehr für ihn leisten. Denn in einen Raum, in dem Gregor ganz allein ist, wird wohl kein Mensch außer Grete jemals eintreten.
Und so ließ sie sich von ihrem Entschlusse durch die Mutter nicht abbringen. In diesem Zimmer schien die Mutter unsicher. Sie verstummte und half der Schwester nach Kräften beim Hinausschaffen des Kastens. Nun, den Kasten konnte Gregor noch entbehren. Aber muss der Schreibtisch bleiben! Kaum hatten die Frauen mit dem Kasten das Zimmer verlassen, als Gregor den Kopf unter dem Kanapee hervorstieß.
Zum Unglück war es gerade die Mutter, welche zuerst zurückkehrte, während Grete im Nebenzimmer den Kasten hielt und ihn allein hin und her schwang. Die Mutter aber war Gregors Anblick nicht gewöhnt. Er könnte sie krank machen. So eilte Gregor erschrocken im Rückwärtslauf bis an das andere Ende des Kanapees. Das Leintuch bewegte sich vorne ein wenig. Das genügte, um die Mutter aufmerksam zu machen. Sie stockte, stand einen Augenblick still und ging dann zu Grete zurück.
XII
Trotzdem sich Gregor immer wieder sagte, dass ja nichts Außergewöhnliches geschehe, sondern man nur ein paar Möbel umgestellt, wirkte doch dieses Hin- und Hergehen der Frauen, ihre kleinen Zurufe, das Kratzen der Möbel auf dem Boden, wie ein großer Trubel auf ihn. Er zog an sich seinen Kopf und Beine. Er drückte den Leib bis an den Boden. Und sagte er:
«Das kann ich nicht lange aushalten«.
Sie räumten ihm sein Zimmer aus. Sie nahmen ihm alles, was ihm lieb war. Den Kasten, in dem die Laubsäge und andere Werkzeuge lagen, hatten sie schon hinausgetragen. Sie lockerten jetzt den Schreibtisch, an dem er als Handelsakademiker, als Bürgerschüler, ja sogar schon als Volksschüler seine Aufgaben geschrieben hatte. Da hatte er wirklich keine Zeit mehr, die guten Absichten zu prüfen, welche die zwei Frauen hatten. Und die Frauen arbeiteten schon stumm. Man hörte nur das schwere Tappen ihrer Füße.
Die Frauen stützten sich gerade im Nebenzimmer an den Schreibtisch, um ein wenig zu verschnaufen. Und so brach er denn hervor. Er wechselte viermal die Richtung des Laufes. Er wusste wirklich nicht, was er zuerst retten soll. Da sah er das Bild. Das war eine Dame in Pelzwerk. Er kroch eilends hinauf und presste sich an das Glas. Das festhielt ihn. Das tat seinem heißen Bauch wohl. Dieses Bild wenigstens, dass Gregor jetzt ganz verdeckte, wird nun gewiss niemand wegnehmen. Er verdrehte den Kopf nach der Tür des Wohnzimmers, um die Frauen bei ihrer Rückkehr zu beobachten.
Sie kamen schon wieder. Grete hatte den Arm um die Mutter gelegt und trug sie fast.
«Also was nehmen wir jetzt?«, sagte Grete und sah sich um.
Da kreuzten sich ihre Blicke mit denen Gregors an der Wand. Grete behielt ihre Fassung. Sie beugte ihr Gesicht zur Mutter, um diese vom Herumschauen abzuhalten. Dann sagte sie:
«Komm, wollen wir nicht lieber noch ins Wohnzimmer zurückgehen?«
Die Absicht Gretes war für Gregor klar. Sie wollte die Mutter in Sicherheit bringen und dann ihn von der Wand hinunterjagen. Ha! Er saß auf seinem Bild und gab es nicht her. Lieber wird er Grete ins Gesicht springen.
Aber Gretes Worte hatten die Mutter erst recht beunruhigt. Sie trat zur Seite, erblickte den riesigen braunen Fleck auf der geblümten Tapete. Sie rief, ehe sie sah, dass das Gregor war, mit schreiender, rauer Stimme:
«Ach Gott, ach Gott!«
Dann fiel sie mit ausgebreiteten Armen über das Kanapee hin und rührte sich nicht.
«Du, Gregor!«rief die Schwester mit erhobener Faust und eindringlichen Blicken.
Es waren die ersten Worte, die sie an ihn gerichtet hatte. Sie lief ins Nebenzimmer, um irgendeine Essenz zu holen, mit der sie die Mutter aus ihrer Ohnmacht wecken könnte. Zur Rettung des Bildes war noch Zeit. Gregor wollte auch helfen. Er klebte aber fest an dem Glas und musste sich mit Gewalt losreißen. Er lief dann auch ins Nebenzimmer. Wollte er der Schwester irgendeinen Rat geben, wie in früherer Zeit? Während sie in verschiedenen Fläschchen kramte, erschreckte er sie, als sie sich umdrehte. Eine Flasche fiel auf den Boden und zerbrach. Ein Splitter verletzte Gregor im Gesicht. Irgendeine ätzende Medizin umfloss ihn. Grete nahm nun soviel Fläschchen, als sie nur halten konnte, und rannte mit ihnen zur Mutter hinein. Die Tür schlug sie mit dem Fuße zu.
Gregor war nun von der Mutter abgeschlossen. War sie durch seine Schuld vielleicht nahe dem Tod? Die Tür durfte er nicht öffnen. Die Schwester muss bei der Mutter bleiben. Er hatte jetzt nichts zu tun, als zu warten. Er begann er zu kriechen, überkroch alles, Wände, Möbel und Zimmerdecke und fiel endlich in seiner Verzweiflung mitten auf den großen Tisch.
Es verging eine kleine Weile. Gregor lag matt da. Ringsherum war es still. Vielleicht war das ein gutes Zeichen. Da läutete es. Das Mädchen war natürlich in ihrer Küche eingesperrt. Grete ging daher öffnen. Der Vater war gekommen.
«Was ist geschehen?«waren seine ersten Worte.
Gretes Aussehen hatte ihm wohl alles verraten. Grete antwortete mit dumpfer Stimme. Sie drückte ihr Gesicht an des Vaters Brust:
«Die Mutter war ohnmächtig, aber es geht ihr schon besser. Gregor ist ausgebrochen.«
«Ich habe es ja erwartet«, sagte der Vater,»ich habe es euch ja immer gesagt! Aber ihr Frauen wollt nicht hören.«
Gregor war es klar, dass der Vater Gretes kurze Mitteilung schlecht gedeutet hatte. Deshalb musste Gregor den Vater jetzt besänftigen.
Gregor flüchtete sich zur Tür seines Zimmers und drückte sich an sie. Beim Eintritt vom Vorzimmer wird der Vater her gleich sehen, dass Gregor die beste Absicht hat, sofort in sein Zimmer zurückzukehren. Das ist nicht nötig, ihn zurückzutreiben. Man muss nur die Tür öffnen, und er wird gleich verschwinden.
Aber der Vater war nicht in der Stimmung, solche Feinheiten zu bemerken.
«Ah!«rief er gleich beim Eintritt.
Gregor zog den Kopf von der Tür zurück und hob ihn gegen den Vater. So hatte er sich den Vater wirklich nicht vorgestellt, wie er jetzt dastand. Trotzdem, trotzdem, war das noch der Vater? Der gleiche Mann, der müde im Bett lag, wenn früher Gregor zu einer Geschäftsreise ausgerückt war? Der ihn an Abenden der Heimkehr im Schlafrock im Lehnstuhl empfangen hatte? Er hatte nur die Arme zum Zeichen der Freude gehoben. An ein paar Sonntagen im Jahr und an den höchsten Feiertagen ging er zwischen Gregor und der Mutter, in seinen alten Mantel. Fast immer stand er still und versammelte um sich seine Begleitung.
XIII
Nun aber war er recht gut aufgerichtet[65]. Über dem hohen steifen Kragen des Rockes entwickelte sich sein starkes Doppelkinn. Unter den buschigen Augenbrauen drang der Blick der