Flügel, die an drei Meter betragen mochte.
»Das hat der Junge von Euch gelernt, Estrangero«, lachte Don Juan, »es ist bewundernswert. Ich habe, als ich im Kriege war, auch schießen gelernt, aber es liegt nun einmal nicht in unserer Art; es ist Zufall, wenn eine Kugel auf solche Entfernung trifft.«
»Es war ein guter Schuß«, sagte der Fremde trocken. »Aurelio wird ein vortrefflicher Schütze werden.«
Sie sprachen noch mancherlei, aber allmählich kam die Müdigkeit über alle. Die Mittagshitze war drückend, und die Straußenjagd war anstrengend gewesen; einer nach dem anderen streckte sich zum Schlaf aus. Nur Aurelio wachte noch lange in der Freude über sein ungewöhnliches Jagdglück.
Stunden später brachen sie auf; sie wollten noch vor Sonnenuntergang die Estancia erreichen. Die Pferde waren ausgeruht, hatten geweidet und wurden auch noch getränkt, obgleich ein Pampaspferd vierundzwanzig bis sechsunddreißig Stunden ohne Wasser auskommen kann und oft genug auch muß. Auch der Fremde hatte sein starkes Maultier bestiegen und sich bereit erklärt, die Jagdgesellschaft zu begleiten, sehr zur Freude Aurelios, der seinen Kondor vor sich festgebunden hatte, und zur Zufriedenheit Juan Perez‘, der dem Deutschen herzlich und dankbar zugetan war, seit er den Jungen vor dem Zugriff des Jaguars gerettet hatte.
Sie ritten zunächst ziemlich schnell, da sie sich viele Leguas von ihrem Heim entfernt hatten; später wurde es dann nötig, die Pferde langsamer gehen zu lassen. Nun gesellte sich Don Juan dem Deutschen zu, und beide ritten in einiger Entfernung hinter den anderen her.
»Ihr lebt noch immer einsam in Euren Felsschluchten, amigo?« fragte Don Juan.
»Ja, amigo, und es ist gut so«, antwortete der Fremde.
Der Gaucho warf ihm von der Seite her einen prüfenden Blick zu. »Ihr scheint die Menschen nicht sonderlich zu lieben«, sagte er. Der andere antwortete nicht gleich; über sein offenes Gesicht liefen Schatten, die Augen unter den dichten Brauen waren zusammengezogen, als lauschten sie nach innen.
»Ich sehne mich jedenfalls nicht nach Menschen«, sagte er dann schließlich. Er wandte sich Perez zu. »Sucht mich zu verstehen«, fuhr er fort, »ich bin kein Menschenfeind. Ich habe meine Heimat seinerzeit verlassen müssen, politischer Umstände wegen, die Euch nicht weiter interessieren können, und dann habe ich, schon hier im Lande, einige trübe Erfahrungen gemacht.«
»Die mag wohl jeder Mensch im Leben machen«, sagte nachdenklich der Gaucho. »Ihr lebt schon lange hier?«
»Vier Jahre werden‘s demnächst«, antwortete der Deutsche. »Früher habe ich in Entre Rios gewohnt; es leben dort Landsleute von mir. Ein gewisses trauriges Erlebnis hat mich dann davongetrieben. Ich ging über den Parana und fand in den Bergen von Cordoba eine neue, mir zusagende Heimstätte. Dort hause ich seitdem.«
»Wenn ich Euch so ansehe«, sagte der Gaucho, »Ihr seid noch jung, ich schätze Euch auf nicht viel über Dreißig, obgleich Haar- und Barttracht Euch älter machen. Man sagt, die Zeit heile viele Wunden. Sollte es sich wirklich lohnen, in Eurem Alter mit den Menschen zu grollen? Auch ein tätiges Leben schenkt Vergessen.« Der Fremde streifte ihn mit einem nachdenklichen Blick, sagte aber nichts.
»Ihr müßt vielleicht über eine solche Äußerung eines Halbwilden staunen«, fuhr Don Juan fort. »Ich weiß schon, daß ich ein Halbwilder bin. Ich verstehe den Lasso und die Bolas zu schwingen, kann aber nur mühsam lesen und schreiben. Nun, Estrangero, ich war auch einmal jung und ein wilder, reichlich gedankenloser Gesell, der in den Tag hinein lebte und nicht mehr von der Welt wußte, als er in der Pampa und auf seinen Kriegszügen gesehen hatte. Dann hat mir Gott eines Tages eine Aufgabe gestellt, mir, dem wilden Gaucho. Seht, seit jenem Tag hat mein Leben einen Sinn, und ich bemühe mich, die Aufgabe mit meinen schwachen Kräften zu lösen. Mich dünkt nun, jeder Mensch hat Pflichten zu erfüllen, die ihm Gott auferlegt hat, der eine diese, der andere jene. Glaubt Ihr wirklich, daß Euch nicht auch ein Auftrag fürs Leben geworden ist, Ihr, der Ihr jung und kräftig wie ein schmollendes Kind in Eurer Felshöhle hockt? Seid mir nicht böse, daß ich Euch das so geradezu sage, aber ich bin für dieses Leben Euer Schuldner, und wahrhaftig, ich meine es gut.«
»Ihr braucht mir das nicht zu versichern, Don Juan«, sagte der Deutsche, »und Ihr müßt reden, wie Euch der Schnabel gewachsen ist. Vielleicht kann ich Euch eines Tages eine Antwort geben, für heute müßt Ihr sie mir noch erlassen.«
Sie schwiegen nun wieder eine Weile; der Fremde schien in Grübeln versunken, und Juan Perez störte ihn nicht. Der Deutsche selbst brach schließlich das Schweigen. »Ich bin zum erstenmal diesseits des Parana mit Ureinwohnern zusammengestoßen«, sagte er.
Don Juan zuckte bei diesen Worten so heftig zusammen, daß er unwillkürlich die Zügel anzog und sein Pferd zum Stehen brachte. »Indios?« fragte er, »diesseits des Parana? Wo?«
»Zwei Tagesreisen von hier«, sagte der Deutsche.
»Caracho! Wieviel?«
»Oh, es waren nur drei.«
»Führten sie Lanzen?«
»Nein.«
»Por le nombre de dios, was ist das?«
»Fürchtet Ihr Gefahr?« fragte der Fremde und schien einigermaßen erstaunt.
»Was haben die Puelchen hier in der Pampa zu schaffen? Wie benahmen sie sich übrigens gegen Euch?«
Der Deutsche lachte knurrend. »Oh, ich bin ganz gut mit ihnen fertig geworden«, sagte er. »Ich habe sie in ihrem Lager überrascht. Sie zogen etwas grimmige Gesichter, schienen aber Respekt vor meiner Büchse zu haben.«
»Wie waren sie gekleidet?«
»Einer trug den Poncho, die anderen Fellmäntel. Und alle drei hatten sie Perlenbänder in den Haaren.«
»Puelchen!« Der Gaucho schien noch immer fassungslos. »Und sie ließen Euch entkommen?« staunte er.
»Was heißt entkommen?« lachte der Deutsche. »Wir verkehrten freundschaftlich miteinander. Der mit dem Poncho sprach ganz gut Spanisch. Vielleicht haben mein Äußeres und meine Sprechweise ihnen gesagt, daß ich kein Argentinier sei. Sie forschten nach meiner Landsmannschaft, mit der sie natürlich, als ich sie ihnen verriet, nicht viel anzufangen wußten.«
»Sagten sie nicht, was sie hier wollten?«
»Wenn ich sie richtig verstanden habe, wollten sie nach dem Parana, um Stuten in Empfang zu nehmen, die ihnen die Regierung versprochen hat.«
Der Gaucho war sehr ernst geworden. So hoch nach Norden kamen diese Burschen? Das sah verdächtig aus. »Außer diesen dreien saht Ihr keine Indios?« fragte er.
»Nein.«
»Wunderbar genug, daß sie Euch entkommen ließen.«
»Und warum sollten sie mir feindlich gegenübertreten?«
»Ihr kennt die Puelchen nicht, Aleman«, sagte der Gaucho. »Sei überzeugt, daß Ihr Euer Leben nur Eurer Büchse zu verdanken habt. Alle Wetter! Die Roten in der Pampa! Laßt uns eilen. Das müssen die Nachbarn wissen. Die Grenze muß gewarnt werden. Und sprecht bitte nicht mit Aurelio von dieser Begegnung. Es sind jetzt sechs Jahre her, daß wir mit den Puelchen kämpften, nachdem sie unvorstellbares Elend über die einsam gelegenen Estancias gebracht hatten. Sicher wollen sie jetzt, da die Pampa mehr denn je von Truppen entblößt ist und sie neue Kraft gewonnen haben, abermals einen Ansturm versuchen. Hinter den drei Burschen, die Ihr getroffen habt, lauert sicherlich der teuflische Jankitruß. Vorwärts! Vorwärts!« rief er den anderen zu, und alle setzten sich in Galopp.
Die Pampa ist pfadlos. Der Estrangero würde ohne den Kompaß, den er mit sich führte, sicherlich nie den Weg zu den Bergen von Cordoba zurückgefunden haben. Der Gaucho aber, von früher Jugend an mit der Pampa vertraut, mit den Augen eines Falken und dem Ortssinn eines Hundes begabt, richtet sich nach unscheinbaren Merkmalen, um den Weg in der Wüste mit unfehlbarer Sicherheit zu finden. Er sieht am fernen Horizont Dinge, die ein ungeübtes Auge selbst mit dem Fernglas nicht wahrnehmen würde.
So nahm denn die kleine Reiterschar unter der Führung Don Juans ihren Weg in schnurgerader Richtung durch die Ebene. Die Pferde liefen in leichtem Galopp; sie sollten nicht